Was lässt sich nach dem ersten Auftreten Leos XIV. über diesen Papst sagen?
Die Vorstellung Leos XIV. war ein Musterbeispiel für doppelgleisige Kommunikation. In seiner Ansprache positionierte sich der neue Papst sehr klar in Kontinuität zu seinem Vorgänger Franziskus. Er wählte den liturgischen Gruß des Bischofs, akzentuierte den Frieden als Geschenk des auferstandenen Christus und sprach von einer synodalen Kirche, die missionarisch ist und allen offen steht. Insofern spricht viel dafür, dass er Franziskus‘ Erbe weiterführen und diejenigen nicht enttäuschen wird, die Franziskus‘ Vision von Kirche teilen. Nicht umsonst zitierte Leo XIV. den berühmten Satz des Augustinus von Hippo: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“ Man darf darin sicherlich einen Teil seines Programms sehen.
Andererseits gibt es nicht nur die Kommunikation in Worten, sondern auch in Symbolen – und gerade für das Papsttum ist diese symbolische Kommunikation seit Jahrhunderten von enormer Bedeutung: Welche Kleidung wird zu welchem Anlass gewählt? Gibt es Auffälligkeiten bei der Sitzordnung? Was sagt der Papst vielleicht nicht? Hier ließ sich auf dem Balkon des Petersdoms ebenso wie am Tag darauf in der Sixtinischen Kapelle Interessantes beobachten:
Leo XIV. trat gerade nicht in der einfachen weißen Soutane auf wie Franziskus, sondern mit der roten Mozzetta und der goldbesetzten Stola – ebenso wie die Päpste in den Jahrzehnten vor Franziskus. Findige Journalisten beobachteten zugleich freilich dunkle Schuhe am neuen Papst, nicht die roten, die unter Benedikt XVI. zu Berühmtheit gelangten. Leo XIV. hielt keine spontane Ansprache wie seine Vorgänger, die sich allesamt um emotionale Nähe zwischen Papst und Volk bemüht hatten, und er bat auch nicht die Anwesenden um das Gebet. Vielmehr wählte er vorbereitete und wohlgesetzte Worte – das Manuskript schuf gleichzeitig eine Barriere zwischen ihm und den anderen – und erteilte dann den Segen einschließlich Ablass. In der Dankmesse am Tag nach der Wahl erschien er mit einem goldenen Kreuzstab (der ferula), den einerseits auch Franziskus genutzt hatte, der sich andererseits deutlich von der schlichten ferula mit dem leidenden Gekreuzigtem unterscheidet, die von Paul VI. bis zu Johannes Paul II. bevorzugt im Gebrauch war und die auch Franziskus zumindest anfangs häufiger nutzte.
Während Leo XIV. in seinen Worten also die Kontinuität zu Franziskus betonte, dürfte die Symbolik seines Auftretens eher als ausgestreckte Hand in Richtung von dessen konservativen Kritikern gedeutet werden.
Was lässt sich von Leo XIV. erwarten, wenn man an die Akzente denkt, die Leo XIII. gesetzt hat?
Kaum jemand hatte den Kardinal Robert Francis Prevost auf der Liste der möglichen Papstkandidaten. Dadurch hat sich glücklicherweise auch noch kein Bild verfestigt, wie der neue Papst denn nun zu sein habe – und wir dürfen uns noch von ihm überraschen lassen. Wenn man den bisherigen Berichten trauen kann, handelt es sich um einen Mann, der gut zuhören kann und ausgleichend wirkt – das wäre nicht wenig in einer teilweise ja auch zerstrittenen Kirche. Aufgrund seiner ersten Ansprache kann man vermuten, dass Friedensdiplomatie eine gewisse Rolle in seinem Pontifikat spielen dürfte; freilich war die Vatikandiplomatie aus guten Gründen stets diskret und gerade dadurch bisweilen relativ unbemerkt erfolgreich. Die Vision einer für alle offenen und missionarischen Kirche verlangt meines Erachtens aber auch nach sozialethischer Positionierung. Da Leo XIV. sich in seiner Ansprache an das Kardinalskollegium explizit auf die sozialethische Positionierung von Leo XIII. bezogen hat, ist durchaus zu erwarten, dass er zur Entwicklung der katholischen Soziallehre mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart einen wesentlichen Beitrag leistet.
Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann