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12.05.2025

Kirchenhistoriker: „Leo-Päpste lassen sich nicht auf ein eindeutiges Profil festlegen“

Prof. Bernward Schmidt und Papst Leo XIV.

Prof. Bernward Schmidt (links): „Der Name eines Papstes sagt immer auch etwas über sein Selbstverständnis.“ Fotos: Christian Klenk und DBK

Eichstätt – Hat sich der neue Papst mit seiner Namenswahl bereits auf ein Programm für sein Pontifikat festgelegt? Nicht unbedingt. „Die Leo-Päpste lassen sich nicht auf ein eindeutiges Profil festlegen, und man wird sehen müssen, welche Akzente aus der Geschichte Leo XIV. aufgreift und welche er ruhen lässt“, sagt Professor Bernward Schmidt, der Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt lehrt. Schmidt ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Kirchenhistoriker und Kirchenhistorikerinnen im deutschen Sprachraum. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Papst- und Konziliengeschichte. Sein erster Eindruck ist, dass Leo XIV. einerseits Kontinuität zu Franziskus betont, andererseits aber auch den konservativen Kritikern die Hand entgegenstreckt.

Herr Schmidt, worauf weist die Namenswahl Leo XIV. hin?

Bernward Schmidt: Der Name eines Papstes sagt immer auch etwas über sein Selbstverständnis. Leo XIV. hat bereits angedeutet, dass er von einer Reihe von Gründen für seine Namenswahl nur einen preisgegeben hat. In jedem Fall stellt er sich in eine relativ lange Reihe von Päpsten dieses Namens, die mit Leo I. (440-461) beginnt. Dieser Papst engagierte sich theologisch im Vorfeld des Konzils von Chalcedon (451), indem er vehement für die Lehre von den beiden Naturen in Jesus Christus eintrat – wahrer Mensch und wahrer Gott. Die Zeitgenossen schrieben ihm nicht nur theologische Autorität zu, sondern verliehen ihm auch (kirchen-) politische Macht: Mit ihm begann ein Weg, der den römischen Bischof zum „Vorgesetzten“ der anderen Bischöfe machte. Auch der Titel „Pontifex Maximus“ („höchster Priester“) wurde in dieser Zeit vom Kaiser auf den römischen Bischof übertragen.

Interessant ist es, den Bezug zu Leo IX. (1049-1054) herzustellen: Denn in seiner ersten Ansprache betonte Leo XIV. das von Papst Franziskus stark gemachte Prinzip der Synodalität – damit könnte er in Leo IX. einen historischen Verbündeten haben. Denn der aus Lothringen stammende Leo IX. war nicht nur der erste „Reisepapst“ der Kirchengeschichte, er hielt unterwegs an vielen Orten Synoden ab, um sein Programm von Kirchenreform mit regionalen Problemlösungen zu verbinden.

Leo X. (1513-1521) bleibt in Erinnerung als der Papst, der Martin Luther exkommunizierte, als Kunstmäzen hervortrat und sich – quasi auf der Höhe des vielgescholtenen „Renaissancepapsttums“ – in die internationale Politik verstrickte.

Die politischen Umwälzungen durch die Französische Revolution, die Ära Napoleons und die nachfolgende Restauration prägten die Amtszeit Leos XII. (1823-1829). Im Streit um das Erbe der Revolution setzte dieser Papst auf die konservative Karte: einerseits ultramontane Profilschärfung des Katholizismus durch Abgrenzung von allem, was nach Aufklärung und revolutionären Ideen roch; andererseits politische Annäherung an das restaurativ-repressive System Metternichs in Österreich. Aber es gab auch Signale der Öffnung: Leo XII. anerkannte die Unabhängigkeit ehemals spanischer Kolonien in Amerika und ließ die Werke Galileo Galileis vom Index der verbotenen Bücher streichen.

Leo XIII. (1878-1903) hatte ein anderes schweres Erbe anzutreten: Unter seinem Vorgänger Pius IX. war nicht nur die päpstliche Unfehlbarkeit definiert worden und der Kulturkampf im Deutschen Reich ausgebrochen, auch der Kirchenstaat war durch die Gründung des Staates Italien verlorengegangen und die Soziale Frage lastete schwer auf den Gesellschaften Europas und Nordamerikas. Leo XIII. konnte zwar keine substantielle Annäherung an den Staat Italien erreichen, formte aber die päpstliche Diplomatie dergestalt, dass er international politischen Einfluss nehmen konnte. In Erinnerung bleibt er aber vor allem für seine Enzyklika Rerum Novarum (1891), in der er die katholische Soziallehre prägte und ihr eine Mittelstellung zwischen Kapitalismus und Sozialismus zuwies. Es muss allerdings auch daran erinnert werden, dass Leo XIII. bald nach seinem Amtsantritt die Theologie engführte und den Thomismus als verbindliche Norm vorgab – was das Gespräch mit anderen Wissenschaften erheblich erschwerte.

Die Leo-Päpste lassen sich also nicht auf ein eindeutiges Profil festlegen und man wird sehen müssen, welche Akzente aus der Geschichte Leo XIV. aufgreift und welche er ruhen lässt. Aber ganz abgesehen von den Päpsten: Bruder Leo war einer der engsten Gefährten des Franziskus von Assisi, vom heiligen Franziskus ist sogar ein Brief mit Segen an Leo erhalten. Ob sich Leo XIV. auch davon inspirieren ließ?

„Ein Musterbeispiel für doppelgleisige Kommunikation“

Was lässt sich nach dem ersten Auftreten Leos XIV. über diesen Papst sagen?

Die Vorstellung Leos XIV. war ein Musterbeispiel für doppelgleisige Kommunikation. In seiner Ansprache positionierte sich der neue Papst sehr klar in Kontinuität zu seinem Vorgänger Franziskus. Er wählte den liturgischen Gruß des Bischofs, akzentuierte den Frieden als Geschenk des auferstandenen Christus und sprach von einer synodalen Kirche, die missionarisch ist und allen offen steht. Insofern spricht viel dafür, dass er Franziskus‘ Erbe weiterführen und diejenigen nicht enttäuschen wird, die Franziskus‘ Vision von Kirche teilen. Nicht umsonst zitierte Leo XIV. den berühmten Satz des Augustinus von Hippo: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“ Man darf darin sicherlich einen Teil seines Programms sehen.

Andererseits gibt es nicht nur die Kommunikation in Worten, sondern auch in Symbolen – und gerade für das Papsttum ist diese symbolische Kommunikation seit Jahrhunderten von enormer Bedeutung: Welche Kleidung wird zu welchem Anlass gewählt? Gibt es Auffälligkeiten bei der Sitzordnung? Was sagt der Papst vielleicht nicht? Hier ließ sich auf dem Balkon des Petersdoms ebenso wie am Tag darauf in der Sixtinischen Kapelle Interessantes beobachten:

Leo XIV. trat gerade nicht in der einfachen weißen Soutane auf wie Franziskus, sondern mit der roten Mozzetta und der goldbesetzten Stola – ebenso wie die Päpste in den Jahrzehnten vor Franziskus. Findige Journalisten beobachteten zugleich freilich dunkle Schuhe am neuen Papst, nicht die roten, die unter Benedikt XVI. zu Berühmtheit gelangten. Leo XIV. hielt keine spontane Ansprache wie seine Vorgänger, die sich allesamt um emotionale Nähe zwischen Papst und Volk bemüht hatten, und er bat auch nicht die Anwesenden um das Gebet. Vielmehr wählte er vorbereitete und wohlgesetzte Worte – das Manuskript schuf gleichzeitig eine Barriere zwischen ihm und den anderen – und erteilte dann den Segen einschließlich Ablass. In der Dankmesse am Tag nach der Wahl erschien er mit einem goldenen Kreuzstab (der ferula), den einerseits auch Franziskus genutzt hatte, der sich andererseits deutlich von der schlichten ferula mit dem leidenden Gekreuzigtem unterscheidet, die von Paul VI. bis zu Johannes Paul II. bevorzugt im Gebrauch war und die auch Franziskus zumindest anfangs häufiger nutzte.

Während Leo XIV. in seinen Worten also die Kontinuität zu Franziskus betonte, dürfte die Symbolik seines Auftretens eher als ausgestreckte Hand in Richtung von dessen konservativen Kritikern gedeutet werden.

Was lässt sich von Leo XIV. erwarten, wenn man an die Akzente denkt, die Leo XIII. gesetzt hat?

Kaum jemand hatte den Kardinal Robert Francis Prevost auf der Liste der möglichen Papstkandidaten. Dadurch hat sich glücklicherweise auch noch kein Bild verfestigt, wie der neue Papst denn nun zu sein habe – und wir dürfen uns noch von ihm überraschen lassen. Wenn man den bisherigen Berichten trauen kann, handelt es sich um einen Mann, der gut zuhören kann und ausgleichend wirkt – das wäre nicht wenig in einer teilweise ja auch zerstrittenen Kirche. Aufgrund seiner ersten Ansprache kann man vermuten, dass Friedensdiplomatie eine gewisse Rolle in seinem Pontifikat spielen dürfte; freilich war die Vatikandiplomatie aus guten Gründen stets diskret und gerade dadurch bisweilen relativ unbemerkt erfolgreich. Die Vision einer für alle offenen und missionarischen Kirche verlangt meines Erachtens aber auch nach sozialethischer Positionierung. Da Leo XIV. sich in seiner Ansprache an das Kardinalskollegium explizit auf die sozialethische Positionierung von  Leo XIII. bezogen hat, ist durchaus zu erwarten, dass er zur Entwicklung der katholischen Soziallehre mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart einen wesentlichen Beitrag leistet.

Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann

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