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24.12.2024

Im siebten Harfen-Himmel

Im Rebdorfer Engel-Orchester von Johannes der Täufer darf die Harfe nicht fehlen. Foto: Robert Zenger.

Inmitten all der musizierenden Engel, die gemeinsam ein veritables Orchester bilden, sitzt sie, die heilige Cäcilia, frühchristliche Märtyrerin und Patronin der Musik, wie wir sie kennen: an der Orgel. So zu sehen an der prächtig geschwungenen Emporenbrüstung in der Klosterkirche St. Johannes der Täufer in Eichstätt-Rebdorf. Und ganz rechts außen, da spielt ein Engel Harfe. Achtung Kitsch-Alarm! Gerade noch erlebt: Das Engels-Instrument, gespielt von einem zierlichen blondgelockten Mädchen, dem der Vater das 40 Kilo schwere Teil zur glühweindunstumwaberten Bühne auf den Weihnachtsmarkt geschleppt hat, auf dass der Schnee leise rieselt. Musikalisch, versteht sich. Was den meisten einfällt zur Harfe: sie ist eines der ausdehnungsmäßig mächtigsten Instrumente des Orchesters, das meist bloß optisch auffällt und akustisch selten durchdringt.

Allen schwerhörigen Spöttern und Verächtern sei gesagt: die Harfe ist eines der ältesten Instrumente der Menschheit, sie wurde schon vor über 5.000 Jahren in Mesopotamien gespielt. Orpheus konnte mit den Tönen seiner Lyra, eine Verwandte der Harfe, sogar Tote berühren, er brachte damit den Höllenhund Kerberos zum Verstummen und befreite Eurydike aus dem Bann des Hades. David, der spätere König, spielte für Saul und entzückte nicht nur den mit seinen Harfenkünsten. Das Alte Testament erwähnt das Instrument häufig, vor allem in den Psalmen, wie sich denken lässt, im Neuen Testament wird die Harfe nur fünf Mal erwähnt. Das Instrument wird bei kultischen Übungen eingesetzt, bei Prozessionen, bei Kriegs- und Siegeszügen. Immer wieder ruft der Psalmist dazu auf, Gott mit Harfenspiel zu preisen.

 

Alles zum Thema Harfe

Bernadette Kerscher braucht keine tiefergehende Exegese, um zu beweisen: Die Harfe ist das schönste Musikinstrument! Die komplette Biografie der 67-jährigen gebürtigen Französin belegt diese Behauptung mühelos und wer einmal einen Blick auf das Lebenswerk dieser unwiderstehlichen Harfen-Enthusiastin werfen durfte, wird schwerlich widersprechen. Als Kind lernt sie das Harfenspiel der Volksmusik ihrer bretonischen Heimat kennen und lieben. Sie studiert Harfe in Stuttgart und Würzburg, spielt im Orchester, in unterschiedlichsten Ensembles, gibt Solokonzerte, komponiert für ihr Instrument und spielt Tonträger ein. In Tübingen erst, dann in Nürnberg, baut sie eine Harfenschule auf, unterrichtet selbst und eröffnet gleichzeitig das erste eigene Harfengeschäft. Ihre Geschäftsidee nimmt Formen an, sie repariert Harfen, verleiht Instrumente aus ihrer Sammlung, beginnt einen Notenkatalog anzulegen. Der Laden in Nürnberg wird zu klein, der folgende in Schwabach bietet auch nicht lange ausreichend Platz für ihr Unter-nehmen.

Weil sie die Harfe beherrscht und die Ansprüche an ihr Instrument kennt, beginnt sie folgerichtig, selbst Harfen zu bauen. Und die stetig wachsende Nachfrage gibt ihr und ihrem Qualitätsanspruch Recht. Im Jahr 2000 erwirbt sie in Röttenbach-Mühlstetten, 40 Kilometer südlich von Nürnberg, mitten auf dem flachen Land, ein ehemals bäuerliches Anwesen, kehrt das Unterste zuoberst und macht nach aufreibenden Um- und Anbauten aus Kuh- und Schweineställen und weiteren Gebäuden das „Fachzentrum für Harfen“ mit dem wohlklingenden Namen „Glissando“. Die umtriebige und durchsetzungsstarke Frau hat, unterstützt von Ehemann Wolfgang und den Söhnen Jan Philipp (38) und Mathis (32), einen eigenen Kosmos, sozusagen den siebten Harfen-Himmel für Liebhaber und Kenner geschaffen. In Schauräumen über vier Etagen kann man Instrumente für unterschiedlichste Zwecke sehen und ausprobieren, große Pedalharfen, Hakenharfen, sogenannte Schoßharfen, Therapieharfen, Reiseharfen und neuerdings auch E-Harfen. Die hat man nach anfänglichen Zweifeln ins Angebot aufgenommen, um ein jüngeres Publikum anzusprechen, das jenseits des klassischen Wegs experimentiert. Kunden kommen von weit her, Privatleute, Hochschulen, Orchester, Profis wie Amateure, testen, leihen oder erwerben ein Instrument. „Glissando“ ist erste Adresse bei allen Fragen um die Harfe, hier gibt es neben der großen Instrumentenauswahl kompetente Beratung und Service in allen Fällen, die Kerschers reparieren Instrumente, vermitteln gebrauchte, vermieten welche, und nehmen sich mit ihren Kunden viel Zeit beim Ausprobieren des Instruments. Saiten und Zubehör, Stimmschlüssel und Notenständer, Schemel, Podeste, schützende Hüllen, Transporthilfen, Harfenkarren gibt es natürlich ebenfalls.

Sehr gefragt ist auch der ständig wachsende Notenkatalog des Hauses mit über 6.000 Titeln. Und so wie die Partituren in großen meterlangen Archivschränken sortiert sind, erkennt man plötzlich, wie vielseitig einsetzbar die Harfe ist, für welche Besetzungen und manchmal auf den ersten Blick ungewöhnlichen Paarungen, vom Duo bis zum großen Orchester, für sie komponiert wurde und wird. Vom Gassenhauer bis zur ganz selten gehörten Auftragskomposition ist hier so gut wie alles vorrätig oder wird besorgt, wenn gewünscht.

 

Die Hakenharfe

Herzensangelegenheit und Hauptprodukt sind die sogenannten Hakenharfen aus eigener Manufaktur. Sie sind wie ihre großen Schwestern, die Pedalharfen, nach der Umstimmungstechnik benannt. Den Wechsel der Tonart erreicht man bei ersteren mit der Betätigung der Pedale während des Spiels, bei letzteren ist der Wechsel durch die Verkürzung der Saiten mittels eines Hakens - meist vor dem Spiel - möglich. Kerscher hat es beim Bau dieser Instrumente zu einer Meisterschaft gebracht, das erfordert musikalisches Wissen, handwerkliches Können, technische Findigkeit, Materialkenntnis und -beherrschung und ansprechende gestalterische Ideen. So entstanden über Jahre zahlreiche Kollektionen von Instrumenten für Groß und Klein, aus unterschiedlichsten Holzarten mit individueller Gestaltung. Seit 2015 beschäftigt „Glissando“ im unweit gelegenen Niedermauk auf noch einmal 500 Quadratmetern zehn weitere Mitarbeitende in der Produktion.

Auf das einschlägige Image der Harfe als Engels-Instrument  für vornehmlich weihnachtliche Klänge angesprochen, lächelt Bernadette Kerscher nur. Sie kann mit „Glissando“ mühelos den Beweis antreten, dass dieses Instrument so unendlich viel mehr ist und kann. Beim Verlassen des Raumes fällt der Blick auf eine bäuerliche Hinterglasmalerei der heiligen Cäcilia. Sie spielt auf der Harfe. Selbstverständlich.

Michael Heberling für [inne]halten – Die Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt

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