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22.01.2025

Gemeinwohl-Ökonomie: Wirtschaften im Dienst aller

Planze, Symbol für Nachhaltigkeit. Foto: Simone Hoffmann

Gemeinwohl-Ökonomie - ein zartes Pflänzchen, das auch in der Kirche Wurzeln schlägt. Foto: Simone Hoffmann

Eichstätt – Die Wirtschaft ist eines der Hauptthemen der Bundestagswahl 2025. Dabei geht es den Parteien vor allem darum, die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Die Gemeinwohl-Ökonomie, die auch Papst Franziskus befürwortet, stellt das wachstums- und profitzentrierte Wirtschaftsmodel in Frage. Bei den Kirchen stößt diese Bewegung auf zunehmendes Interesse.

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) basiert auf dem Prinzip, dass wirtschaftliches Handeln nicht primär der Gewinnmaximierung, sondern dem Gemeinwohl dienen soll. Papst Franziskus hat in seinen Enzykliken „Evangelii Gaudium“ (2013) und „Laudato si'“ (2015) die Notwendigkeit betont, Wirtschaft und Gesellschaft auf das Gemeinwohl auszurichten. Das deutsche Grundgesetzt und noch deutlicher die Bayerische Verfassung (Art. 151) schreiben es sogar vor: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Die Realität sieht anders aus. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland weiter auseinander.

„Diese Wirtschaft tötet“

In „Evangelii Gaudium“ ruft der Papst dazu auf, ein „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ zu sagen. Er warnt mit drastischen Worten: „Diese Wirtschaft tötet“ (EG 53). Das Oberhaupt der katholischen Kirche fordert eine „Rückkehr der Wirtschaft und der Finanzwelt zu einer ethischen Herangehensweise, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt“ (EG 58). Das Gemeinwohl kommt in „Evangelii Gaudium“ 27 Mal zur Sprache.

In „Laudato si'“ widmet der Papst ein ganzes Kapitel dem Thema: „Das Prinzip des Gemeinwohls“. Er macht klar, dass Wirtschaft und Umwelt untrennbar miteinander verbunden sind. „Die ganzheitliche Ökologie ist nicht von dem Begriff des Gemeinwohls zu trennen, einem Prinzip, das eine zentrale und Einheit schaffende Rolle in der Sozialethik spielt. Es ist ‚die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen‘“ (LS 156). Die Umwelt, so der Papst, ist ein gemeinsames Gut, das Erbe der gesamten Menschheit und die Verantwortung aller (LS 95).

Vom Papier in die Praxis

„Evangelii Gaudium“ und „Laudato si“ inspirierten weitere Dokumente, wie zum Beispiel „Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag – Handlungsempfehlungen zu Ökologie und nachhaltiger Entwicklung für die deutschen (Erz-)Diözesen“, 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) veröffentlicht. In gleichen Jahr veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Text „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“. Die Texte der DBK und EKD ermutigen die Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen ausdrücklich, sich selbst ehrgeizige Ziele für nachhaltige Veränderungsprozesse zu setzten.

Einige kirchliche Einrichtungen machen sich in diesem Zusammenhang auf den Weg der Gemeinwohl-Ökonomie. Laut Oliver Koch, Sprecher der Arbeitsgruppe Kirche der GWÖ-Deutschland, haben bereits elf katholische und dreizehn evangelische Organisationen eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Dazu gehören mehrere Einrichtungen der Diakonie, das Katholisches Bildungswerk Traunstein sowie die Caritasverbände Gütersloh, Köln, Paderborn und Ruhr-Mitte. „Tatsächlich sehen wir insbesondere bei der katholischen Kirche ein großes Interesse an der Gemeinwohl-Bilanzierung von Einrichtungen der Caritas“, sagt Koch.

Im Erzbistum Freiburg setzen sich Kirchengemeinden im Projekt der „Werkstatt Ökonomie Heidelberg“ mit dem Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie auseinander. Die Werkstatt vernetzt die Akteure und Akteurinnen, um bisherige Projekte und Erfahrungen aus der Kirche und der GWÖ-Bewegung zusammenzuführen und weiterzuentwickeln.

Das Bistum Passau arbeitet an der Weiterentwicklung seiner „Leitlinien für Ökologie, Gemeinwohl-Ökonomie und weltweite Entwicklungszusammenhänge“. Die geltende Fassung von 2020 schreibt unter dem Stichwort „Nachhaltiges Wirtschaften“ vor: „Beginnend mit Energie, Lebensmitteln und Büromaterialien gilt es, in diözesanen Einrichtungen und Kirchengemeinden die Beschaffung an ökologischen und sozialen Kriterien sowie an Langlebigkeit und Qualität auszurichten.“ Im Bistum Eichstätt ist „Nachhaltigkeit/Solidarischer Lebensstil“ ein Schwerpunkt des Strategieprozesses. Das Bischöfliche Ordinariat verpflichtet sich in seiner Umweltpolitik „dauerhaft umweltgerecht und sozialverträglich zu handeln sowie nachhaltiges Wirtschaften zu fördern“. Durch Umsetzung solcher Leitlinien bewegen sich kirchliche Einrichtungen in Richtung Gemeinwohl-Ökonomie, auch wenn sie noch nicht entsprechend zertifiziert sind. „Mit einer Gemeinwohl-Bilanz können kirchliche Einrichtungen zeigen, für welche Werte sie stehen und so ihre Glaubwürdigkeit erhöhen“, sagt Oliver Koch.

Gemeinwohl-Bilanz einer Kirchengemeinde

Die Gemeinwohl-Bilanz ist das wichtigste Instrument in der Gemeinwohl-Ökonomie, um das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen, staatlichen, kirchlichen und anderen Organisationen zu messen. Anders als bei rein finanziellen Bilanzen wird dadurch nicht nur der Gewinn, sondern auch der Nutzen für die Gesellschaft ermittelt. Das Unternehmen oder die Einrichtung wird nach den Kriterien Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz bewertet. Es sind Werte, für die auch die christliche Soziallehre steht. Für Aspekte wie Umweltschutz, CO2-Reduzierung und gute Arbeitsbedingungen gibt es Pluspunkte. Umweltbelastungen oder Personalabbau zum Beispiel führen zu Abzügen. Alle Punkte zusammengerechnet ergeben die Gemeinwohl-Bilanz der Firma oder Einrichtung. Sie dient als Werkzeug, um Fortschritte im ethischen Wirtschaften messbar zu machen und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit herzustellen.

Ein Beispiel, wie die Gemeinwohl-Bilanz einer Kirchengemeinde auszieht, zeigt die Pfarrei Pforzheim, die 2024 als erste Kirchengemeinde der Erzdiözese Freiburg einen Gemeinwohlbericht vorgelegt hat. Die Diözese fördert die Stelle einer Klimaschutzmanagerin für die Pfarrei und hat das Projekt finanziert. Es ist Teil eines Programms, mit dem das Erzbistum bis 2030 klimaneutral werden will. „Durch die Erstellung der Gemeinwohlbilanz wurden viele positive Aktivitäten sichtbar gemacht. Es wurde aber auch aufgezeigt, wo noch Handlungsbedarf besteht. Dazu wurden Ziele formuliert, die in den nächsten ein bis zwei Jahren umgesetzt werden sollen“, sagt Klimaschutzmanagerin Stefanie Wetzke.

Geschichte der GWÖ

Die Idee, dass die Wirtschaft dem Gemeinwohl dienen soll, ist nicht neu. Bereits in seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ wies der Club of Rome 1972 darauf hin, dass ein unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt nicht möglich sei. Die Autoren des Berichts forderten eine Neuorientierung hin zu nachhaltigen Wirtschaftsweisen, um soziale und ökologische Katastrophen zu vermeiden. Die Gemeinwohl-Ökonomie greift diese Gedanken auf und entwickelt sie weiter.

Einen entscheidenden Impuls dazu gab in den 2010er Jahren der österreichische Autor und Aktivist Christian Felber. Er wollte eine Alternative zu den dominierenden neoliberalen Wirtschaftsmodellen schaffen und entwarf eine Wirtschaftsordnung, die auf ethischen Werten und der Orientierung am Gemeinwohl basiert. Die Idee fand rasch Anklang, insbesondere in Europa, und wurde durch zahlreiche Bürgerbewegungen, Unternehmen und Kommunen weiterentwickelt. Mittlerweile existiert ein umfangreicher Rahmen, der Werkzeuge wie die Gemeinwohl-Bilanz umfasst und konkrete Schritte zur Implementierung der Prinzipien der GWÖ in Organisationen, Unternehmen und Gemeinden bietet.

Im September 2015 sprach sich der Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss für die Integration der Gemeinwohl-Ökonomie in den Rechtsrahmen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten aus. Heute umfasst die GWÖ-Bewegung nach eigenen Angaben weltweit 11.000 Unterstützerinnen und Unterstützer, rund 4.500 Mitglieder in über 170 Regionalgruppen, über 1000 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen (darunter 44 Kommunen) in 35 Ländern. Weltliche Beispiele auf dem Gebiet der Diözese Eichstätt sind die Gemeinde Postbauer-Heng und die Brauerei Gutmann in Titting, die bereits eine Gemeinwohl-Bilanz veröffentlichen.

Text: Geraldo Hoffmann

Schöpfungstag zur Gemeinwohl-Ökonomie


Vor zehn Jahren befasste sich der Schöpfungstag der Diözese Eichstätt mit der Gemeinwohl-Ökonomie. Einer der Referenten, der aus Treuchtlingen stammende Günter Grzega, ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Münchner Sparda Bank, erklärte, dass es neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch ein Bruttogemeinwohlprodukt geben soll, das die Verteilung des Einkommens oder die Volksgesundheit bewertet. Im Video-Interview sagt er, dass es bei der Gemeinwohl-Ökonomie letztlich auch um Verteilung geht: „Jeder Mensch kommt eigentlich mit dem gleichen Recht der Teilhabe an unserem Planeten auf die Welt.“ Und dieses Recht gelte es zu verwirklichen.

Mehr Leben, weniger Konsum

Professor Niko Paech, Begründer der Postwachstumsökonomie, über Befreiung vom Überfluss.


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