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07.02.2024

„Altern ist nichts für Feiglinge“: Rückblick auf ein halbes Leben in der Seniorenpastoral

Michael Schmidpeter und Regine Schneider. Foto: Geraldo Hoffmann

Michael Schmidpeter wirkte seit 1991, Regine Schneider seit 2015 in der Seniorenpastoral der Diözese Eichstätt. Foto: Geraldo Hoffmann/pde

Michael Schmidpeter war sein halbes bisheriges Leben als Referent für Seniorenpastoral der Diözese Eichstätt tätig. Seit 1991 hat sein Referat, das ab 2015 durch Gemeindereferentin Regine Schneider verstärkt wurde, mehr als 5.000 Menschen für die Begleitung von Seniorinnen und Senioren im Bistum qualifiziert. Das Themenspektrum der über 700 Kurse und Seminare reichte von „Auftankwochen“ über Biografiearbeit, Gebete mit Demenzerkrankten, Humor, Musik, Naturerfahrung, Oasentage, Seniorentanz und Tanzen im Sitzen bis hin zur „Würde am Ende“. Mit der Zeit sind Schmidpeter und Schneider selbst in die Generation ihrer Zielgruppe hineingewachsen und treten nun in den Ruhestand. Im Interview blickt Pastoralreferent Michael Schmidpeter auf seine Arbeit zurück und wirft auch einen Blick auf die Zukunft: „Es muss sehr viel mehr Miteinander zwischen verschiedenen Generationen geben“, ist er überzeugt.

Herr Schmidpeter, wie war die Seniorenpastoral aufgestellt, als Sie Ihren Dienst bei der Diözese Eichstätt begonnen haben?

Strukturell gab es nichts. Das „Referat Altenarbeit“ wurde erst 1991 eingerichtet – und zwar mit den Schwerpunkten „Altenseelsorge“ und „Altenbildung“. Damit war Eichstätt das letzte Bistum in Bayern, das eine entsprechende Stelle auf Diözesanebene eingerichtet hat. Andere Diözesen waren teils um Jahrzehnte voraus. Vereinzelt machten bei uns die Referentinnen un Referenten für Gemeindecaritas und Frauenseelsorge Angebote für Seniorengruppen und ihre Leitungen.

Was waren die Schwerpunktthemen damals in der Gesellschaft und in der Seelsorge für ältere Menschen?

In der Gesellschaft ging es vor allem um die Themen Wiedervereinigung, rechte Gewalt und Terror, den zweite Golfkrieg, die Konflikte auf dem Balkan und dann 1995 die Einführung der Pflegeversicherung. Altenheimseelsorge erfolgte damals, wenn überhaupt, durch Nonnen und Ruhestandsgeistliche in Form von Gebet, Besuch und Eucharistiefeier. In den Pfarreien gab es Seniorengruppen mit meist monatlichen Treffen, manchmal auch nur einen jährlichen Seniorennachmittag zum Beispiel im Advent. Meine Schwerpunkte in der ersten Zeit waren Bildungsveranstaltungen und Einkehrtage in Seniorenkreisen sowie die Begleitung von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Wie hat sich dieser Fokus im Laufe Ihrer Tätigkeit bei der Diözese und im Zuge des demografischen Wandels verändert?

Meine Stelle war zunächst gar keine Vollzeitstelle: Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt war mit 25 Prozent die Zusammenstellung und Betreuung einer pastoral-theologischen Materialsammlung im Bischöflichen Seelsorgeamt. Ab 1996 lag der Fokus voll auf der Seniorenarbeit, so dass vieles intensiviert werden konnte. Bereits 1995 startete das ökumenische Projekt „50Plus – Mündig mit Biß“ gemeinsam mit der Altenpastoral Bamberg und der evangelischen Kirche: Nürnberger Kirchen- und Pfarrgemeinden wurden zwei Jahre dabei begleitet, mit Menschen zwischen 50 und 60 Jahren in Kontakt zu kommen und mit dieser Generation gemeinsam Projekte zu entwickeln. In Kooperation mit dem Erzbistum Bamberg und dem Lehrstuhl für Psychogerontologie in Erlangen startete 1996 das erste Großprojekt mit der Konzepterstellung und den achttägigen Ausbildungskursen zu „Mehr Lebensqualität im Alter“ sowie dessen Umsetzung in örtlichen Trainingsgruppen mit ehrenamtlichen Moderatoren. Aufgrund der überragenden Resonanz wurde das Projekt erst auf ganz Bayern, dann auf das Bundesgebiet und nach Österreich ausgeweitet. Ab 2000 wurde das Kursangebot stärker differenziert, Themen wie Altenheimseelsorge, Biografiearbeit, Umweltbildung, Musik, Seniorentanz und Tanzen im Sitzen rückten in den Vordergrund.

Die größte Veränderung gab es in Bezug auf die Herkunft und die Tätigkeitsfelder der Kursteilnehmenden und der Interessierten ganz allgemein: In den ersten Jahren lag der Fokus bei den ehrenamtlichen Leitungen der pfarrlichen Seniorengruppen. Dazu kamen im Lauf der Zeit immer mehr Ehrenamtliche und Hauptberufliche aus den verschiedensten Einrichtungen der ambulanten und stationären Altenpflege und aus benachbarten Tätigkeitsfeldern. Seit 2017 die Pflegeheime auch Angebote zur sozialen Aktivierung und Betreuung machen müssen – refinanziert von der Pflegeversicherung – und dazu zusätzliche Betreuungskräfte einsetzen, nehmen diese in immer größerer Zahl an Kursen teil. Die Zeit von 2008 bis 2014 stand im Zeichen der Kampagne des Bayerischen Sozialministeriums „ganz jung. ganz alt. ganz ohr – Starke Stimmen für die Pflege“. Damit sollte ein Beitrag zur Vernetzung von Jung und Alt geleistet und pflegebedürftigen Menschen einen Platz in der Gesellschaft gegeben werden. Daraus entstanden zahlreiche Projekte von Jung und Alt, unter anderem die ersten Ausbildungskurse zum „Generationen-Mentor“, die ab 2016 dann bayernweit angeboten wurden. Die Corona-Pandemie brachte ab 2020 nochmal eine große Veränderung mit der Umstellung auf Online-Seminare. Das klappte ganz gut, die Teilnehmenden waren meist überrascht, wie viel es ihnen gebracht hat. Überragend war zum Beispiel die Resonanz auf unsere mehrteiligen Einführungskurse „Keine Angst vor digitaler Kommunikation! Einführung in Technik und Gestaltung von Videokonferenzen“.

Was hat Ihnen in der Seniorenpastoral am meisten Freude bereitet?

Generell die Rückmeldungen von Ehrenamtlichen und Hauptberuflichen, dass Angebote und Unterstützung für sie brauchbar und hilfreich waren. Es war schön, über einen langen Zeitraum hinweg wahrzunehmen, was aus oft unscheinbaren „Samenkörnern“ gewachsen ist; wie die Kursteilnehmenden enorm engagiert Dinge umgesetzt, in ihr Arbeitsfeld übersetzt und kreativ weiterentwickelt haben. Meine Erfahrung über all die Jahre ist, dass eine Anlaufstelle, Unterstützung, Begleitung und Austausch notwendig sind. Es braucht Ideen, Modelle und Konzepte. Noch viel wichtiger ist, Vertrauen zu haben, dass die Leute vor Ort am besten wissen, was und wie konkret umgesetzt werden kann, und sie dabei zu ermutigen. Freude bereitet hat mir auch die Zusammenarbeit mit anderen Referentinnen und Referenten sowie Kolleginnen und Kollegen insbesondere die mit Regine Schneider ab 2015: Endlich war ich nicht mehr Einzelkämpfer in der Seniorenpastoral.

Wie war es für Sie, selbst in die Generation hineinzuwachsen, für die Sie beruflich unterwegs waren, sprich: Wie nehmen Sie das eigene Älterwerden an?

In den ersten Jahren habe ich ganz bewusst meinen meist deutlich älteren Gegenübern signalisiert, dass sie die Experten fürs Älterwerden sind und ich eigentlich „zu jung“ bin. Durch meine Arbeit bin ich heute vielleicht ein wenig gelassener, weil ich aus vielen Begegnungen weiß, dass Altern zwar nichts für Feiglinge ist, dass aber ein glückliches, zufriedenes, gutes Altern auch dann noch möglich ist, wenn es von Einschränkungen und Verlusten mehr und mehr geprägt wird.

Was kann Seniorenseelsorge heute leisten?

Der Ansatz der Seniorenpastoral ist das Entdecken und Wahrnehmen der konkreten Lebenswirklichkeit älterer Menschen: selbstständig und rüstig, gebrechlich, dement oder pflegebedürftig, in der Familie, als Paar, allein oder im Heim lebend. So ist die Pastoral mit älteren Menschen insgesamt von dem Grundmotiv lebenslanger Begleitung geprägt. Damit Kirche nahe bei den immer zahlreicheren älteren Menschen ist, ist es wichtig die Alten- beziehungsweise Seniorenseelsorge in der Gesamtpastoral angemessen zu berücksichtigen. Es geht auch darum, das vielfältige Engagement älterer Menschen für die kirchliche Gemeinschaft wahrzunehmen, zu schätzen, und ältere Menschen als „Experten fürs Leben“ zu entdecken. Seniorenseelsorge trägt dazu bei, selbstverantwortetes und mitverantwortliches Leben im Alter als Bereicherung für Gesellschaft und Kirche zu sehen und gelebte Solidarität zwischen den Generationen zu fördern. Mit ihren Angeboten leistet sie auch einen wichtigen Beitrag, wenn es um die Würde bis zum Lebensende und die damit verbundenen ethischen Fragestellungen geht.

Wie kann die Kirche hier im Vergleich zu anderen Anbietern punkten?

Konkret kommt es natürlich auf die Ebene an: Auf Diözesanebene kann es eigentlich nur um die Unterstützung derer gehen, die vor Ort diese Arbeit leisten. Vor Ort sind wir, finde ich, als Kirche nach wie vor in der glücklichen Lage, dass wir unsere Stärken ausspielen können, oder uns vielleicht auch vermehrt darauf besinnen müssen: Pastoral kann sich – im Unterschied zu praktisch allen anderen Akteuren – den „Luxus“ leisten, nicht kommerziell und gewinnorientiert tätig sein zu müssen. Sie kann einfach den Menschen in seiner Ganzheit und mit seiner Lebensgeschichte wahr- und ernstnehmen, für ihn da sein. Wenn wir mit dieser Grundhaltung Menschen beim Älterwerden begleiten, mit ihnen neue Lebens- und Glaubenshorizonte erschließen, und dazu unsere Ressourcen an Räumen und Engagierten nutzen, dann kann Seelsorge ihren Beitrag leisten. Dazu braucht es aber auch einen Mentalitätswandel: Ältere Menschen sind keine Sondergruppe, die von anderen Gruppen abgeschieden ist. Sie gehören, wie andere auch, in die Mitte der Gesellschaft. Seniorinnen und Senioren sind zunächst einfach Erwachsene und wollen als solche behandelt werden – und sie wollen nicht nur immer unter sich sein. Die starren Grenzen zwischen verschiedenen Gruppen müssen durchlässiger werden, es muss sehr viel mehr Miteinander zwischen verschiedenen Generationen geben. Das passiert aber meist nicht von selbst, dazu braucht es Anstöße. Wer, wenn nicht wir als Kirche, die wir praktisch an jedem Ort noch Räume und Einrichtungen, Ehrenamtliche und Hauptberufliche haben, kann das zustande bringen – wo wir doch jeden Sonntag zusammen Eucharistie feiern: Alle gemeinsam, auch alle Generationen.

Welche Angebote dürfen auch künftig in der Seniorenpastoral der Diözese nicht fehlen?

Ich habe immer dafür plädiert und auch versucht so zu arbeiten, dass kirchliche Seniorenarbeit ihre Ressourcen und ihre Prioritäten zunächst bei denen einsetzt, die zu den „Ärmsten der Alten“ gehören. Damit meine ich all diejenigen, die zu wenig Kraft und Möglichkeiten haben, sich selbst zu helfen und ihr Alter zu gestalten. Das sind die nicht mehr mobilen Senioren und zum Beispiel auch pflegende Angehörige. Seniorenpastoral sollte nicht eine „katholische Verdoppelung“ von bereits örtlich vorhandenen Angeboten anderer Träger sein, sondern eher darin bestehen, das anzubieten, was andere nicht so gerne machen beziehungsweise auch nicht so gut können. Dazu ist es zunehmend wichtiger, sich mit anderen Trägern vor Ort zu vernetzen und zu kooperieren. Das halte ich auch für die Zukunft als wichtig. Es bedeutet zum Beispiel auch, dass Seniorenpastoral versuchen sollte, kleinräumige und niedrigschwellige örtliche Treffpunkte anzubieten, entgegen dem Trend zur Zusammenlegung in immer größere Einheiten. Neben regelmäßigen dauerhaften Angeboten (Stichwort „Seniorenkreis“) braucht es vermehrt andere Formen, die zeitlich begrenzt oder auch nur punktuell auf bestimmte Lebenssituationen, Themen und Interessen zugeschnitten sind. Diese Angebote können generationenübergreifend, am Sozialraum statt an Pfarrei- oder Konfessionsgrenzen orientiert und selbstorganisiert sein. Unbedingt braucht es weiterhin Angebote zur Mitarbeiterbildung und -begleitung: Das reicht von Ehrenamtlichen in pfarrlichen Seniorengruppen oder Besuchsdiensten über die Engagierten in ambulanten oder stationären Einrichtungen bis hin zu Hauptberuflichen in Pflege und Betreuung. Auch ein stärkeres Engagement in der Altenpflegepastoral wäre enorm wichtig – und zwar nicht nur in katholischen Einrichtungen. Das muss neben den Hilfs- und Pflegebedürftigen verstärkt auch deren Angehörige und die ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeitenden einschließen.

Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann

Kontakt

Fachbereich Erwachsenenpastoral
Tel.: (08421) 50 622
E-Mail: altenpastoral(at)bistum-eichstaett(dot)de

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