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Starke Präsenz statt Prozession

Nürnberger Stadtpfarreien feiern Fronleichnam gemeinsam/Eichstätter Diözesanpriester predigt

Als Dr. Wolfgang Börschlein, Jahrgang 1965, noch ein junger Ministrant war, zog er an Fronleichnam mit einer großen Menschenmenge durch die Straßen seiner beschaulichen Heimatpfarrei Pleinfeld und machte Halt an blumengeschmückten Altären. Heute ist Börschlein Seelsorger einer Großstadtgemeinde im Nürnberger Süden, der Pfarrei zum Guten Hirten in Langwasser. Dort gehört die eigene Fronleichnamsprozession der Vergangenheit an, der Traghimmel ist sorgfältig zerlegt und verstaut. Stattdessen ruft Pfarrer Börschlein seine Pfarreimitglieder zu reger Beteiligung an der zentralen, bistumsübergreifenden Fronleichnamsfeier aller Nürnberger Katholiken auf, zu der die Katholische Stadtkirche seit 40 Jahren alljährlich auf dem Hauptmarkt vor der Nürnberger Frauenkirche einlädt. Die Prediger bei dieser „statio urbis“ wechseln sich ab. Heuer wird mit Wolfgang Börschlein wieder einmal ein Pfarrer aus dem Bistum Eichstätt ans Mikrofon treten.

Welt im Wandel

„Berührt sein“, lautet das Thema seiner Predigt, in die Börschlein persönliche Erfahrungen einfließen lässt: In Oberviechtach, wo er vor 30 Jahren seinen Grundwehrdienst absolviert hat und wohin er bis heute Kontakte pflegt, wurde vor einiger Zeit auf Initiative deutscher und amerikanischer Feuerwehrleute ein Denkmal errichtet, das an die Anschläge vom 11. September 2001 erinnert. Es beinhaltet das einzige in Deutschland befindliche Stahlteil aus den Überresten des zerstörten World Trade-Centers in New York. „Als ich das erste Mal davorstand, sind die Bilder hochgekommen und mir ist es eiskalt den Buckel ‘runtergelaufen“, erzählt der Geistliche. Wie erstarrt sei er gewesen und tief berührt. Später seien ihm Parallelen zum Glauben in den Sinn gekommen: Viele Menschen tasteten sich vorsichtig an Gott heran, um sich dann von seinem Tod und seiner Auferstehung berühren  zu lassen.

Mit den ersten Tagen des Septembers 2001 verbindet Börschlein eine weitere Erinnerung. Er übernahm damals die Pfarrei Zum Guten Hirten. Dort war schon unter seinem Vorgänger die Tradition eigener Fronleichnamsprozessionen beendet worden. Solche „könnten wir heute gar nicht mehr auf die Füße stellen“, verweist Börschlein auf den Aufwand für Genehmigungen und Straßensperren. In Nürnberg sind halt nicht nur viele Straßen mehrspurig, sondern auch die Wege zu Rathaus, Feuerwehr und Polizei länger als in Landgemeinden.

Zudem sei die Großstadt eine säkularisierte Welt, meint der Seelsorger, der den Anteil Konfesssions- oder Religionsloser in seinem Stadtteil mit 40 Prozent beziffert. Die Leute, die nach dem Krieg als Vertriebene nach Nürnberg-Langwasser kamen und Fronleichnamsprozessionen noch hoch halten, sind alt geworden und oft nicht mehr gut zu Fuß. Familien fallen aus, seit die Pfingstferien immer stärker für Urlaubsreisen genutzt werden, bei jungen Leuten läuft der Fronleichnamsdonnerstag unter „verlängertes Wochenende“. „Aber in dieser Hinsicht hat sich ja auch auf dem Land Vieles gewandelt“, fügt Börschlein hinzu.

Noch hielten die meisten der Pfarreien im Dekanat Nürnberg-Süd an ihrer eigenen Fronleichnamsprozession fest, weiß er. An der zentralen Feier beteiligen sich neben der Pfarrei zum Guten Hirten von Eichstätter Seite offiziell nur die Pfarreien St. Maximilian Kolbe und Menschwerdung Christi. Pfarrer Börschlein bietet in seiner eigenen Gemeinde einen zusätzlichen Gottesdienst am Vorabend oder am Abend des Feiertags an – insbesondere für die Älteren, die nicht mehr bis in die Innenstadt fahren wollen.

„Eine schöne Sache“

3.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr zur „statio urbis“,  die für Börschlein als zentrale Anlaufstation im Kirchenjahr „unheimlich wichtig“ ist, um der Vereinzelung der Katholiken in der Großstadt entgegenzutreten.

So sehen es auch Marga und Ludwig Ullinger, 77 und 81 Jahre alt. 1968 waren die gebürtigen Nürnberger in ihr neu errichtetes Reihenhaus im schnell wachsenden Stadtteil Langwasser gezogen und hatten sich gleich in ihrer neuen Heimatpfarrei zum Guten Hirten engagiert. Marga Ullinger leitet bis heute den Frauenkreis, ihr Mann war Pfarrgemeinderat und ist immer noch Kommunionhelfer und Lektor. Früher war er auch Himmelträger bei der Fronleichnamsprozession in der Pfarrei. Die Kinder gingen im Kommuniongewand und als Ministranten mit. Ludwig Ullinger weiß noch, wie die Prozession – ehe sie schließlich ganz eingestellt wurde – auf den Sonntag verlegt wurde, damit die Leute am Donnerstag auf den Hauptmarkt gehen konnten.

„Viele haben gerne mitgemacht, aber ihre eigenen Traditionen nicht begraben“, stellt der frühere Nürnberger Stadtdekan Theodor Kellerer fest. Als er 1962 als Kaplan nach Nürnberg kam, gab es schon eine zentrale Veranstaltung aller Innenstadtgemeinden – allerdings noch in Form einer Prozession von St. Elisabeth zur Frauenkirche. Zwei, drei Jahre, bevor die Bistümer Eichstätt und Bamberg 1976 die katholische Stadtkirche ins Leben riefen, sei dann die Feier auf dem Hauptmarkt in ihrer heutigen Form entstanden.

Die  Ullingers sind fast immer dabei gewesen, zuletzt auch mit den Enkelkindern. Aber mit zunehmendem Alter „wird’s auch für uns schwieriger“, sagen sie. „Man muss beizeiten da sein, um noch einen Platz zu bekommen“, weiß Marga Ullinger, aber die Anstrengung lohne sich, denn die gemeinsame Feier der Nürnberger Katholiken sei „eine sehr schöne Sache“. Dazu zählt sie auch das traditionelle anschließende gemütliche Beisammensein auf dem Rathausplatz. „Da trifft man auch Leute wieder, die in eine andere Pfarrei gezogen sind.“

Die zentrale Fronleichnamsfeier der katholischen Stadtkirche Nürnberg auf dem Hauptmarkt, an deren Vorbereitung heuer Mitglieder der Pfarrei zum Guten Hirten mitwirken, beginnt am 4. Juni um 10 Uhr. Hauptzelebrant ist Stadtdekan Hubertus Förster. Die Kollekte dient dem Notfonds der Katholischen Hochschulgemeinde Nürnberg, mit dem bedürftige Studierende aus Entwicklungsländern unterstützt werden.

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 22 vom 31. Mai 2015