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Zwischen Gewalt und Hoffnung

Thérèse Mema erhält den Shalompreis 2015/Einsatz für traumatisierte Frauen im Kongo

Es ist nur schwer vorstellbar, welch unsagbares Leid Thérèse Mema aus dem Kongo in ihrem Leben schon gesehen hat. Doch „ihre Arbeit gibt Hoffnung auf Frieden und Versöhnung“, sagte Aachens missio-Präsident Prälat Klaus Krämer bei der Übergabe der jährlich vom Arbeitskreis Shalom der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) vergebenen Auszeichnung an die sichtlich bewegte Kongolesin. Die 33-jährige vierfache Mutter setzt sich für vergewaltigte und traumatisierte Frauen und Kinder in ihrer Heimatregion Bukavu im Ostkongo ein. Dabei arbeitet sie zusammen mit anderen geschulten Sozialarbeiterinnen in Trauma-Zentren, die das katholische Hilfswerk missio und die katholische Institution Justice et Paix errichtet haben, damit die Opfer die brutalen Geschehnisse aufarbeiten und wieder in ein normales Leben zurückgeführt werden können (siehe Kasten S. 31).

Mutig und tatkräftig

Nach Grußworten des Eichstätter Oberbürgermeisters Andreas Steppberger und Markus Eham, Vize-präsident der KU, überbrachte Bischofsvikar Georg Härteis der Preisträgerin Glück- und Segenswünsche sowohl von Bischof Dr. Gregor Maria Hanke OSB als auch von Prälat Christoph Kühn und Gerhard Rott vom Referat Weltkirche, die sich derzeit auf einer Tansania-Reise befinden (siehe S. 2). Indem Mema mutig und tatkräftig Verantwortung für die Opfer eines grauenvollen Kriegs übernehme, zeige sie der Welt deutlich, was es heiße, Mensch zu sein, betonte Härteis.

„Mit der Arbeit von Thérèse Mema gewinnt der Begriff Seel-sorge für mich besondere Bedeutung,“ stellte auch Prälat Krämer in seiner Laudatio heraus. Dem sichtlich berührten Publikum er-läuterte er eindrücklich die Hintergründe der Errichtung der inzwischen 16 Trauma-Zentren, in denen auch Mema tätig ist.

In dem zentralafrikanischen Staat mit einer Fläche von 2,3 Millionen Quadratkilometern seien eigentlich alle Voraussetzungen gegeben, damit seine Bevölkerung in Wohlstand leben könnte. Das Land verfügt über viele Bodenschätze wie Diamanten, Kupfer, Gold, Mangan und Coltan, deren Wert auf rund 300 Milliarden US Dollar geschätzt wird. Dennoch zähle der Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt – und vor allen Dingen für Frauen zu einem der gefährlichsten Orte.

Die Bodenschätze haben dem reichen Staat weniger Segen denn eine Hölle gebracht: Die brutal auf dem Rücken hilfloser Opfer ausgetragenen Kämpfe, die sich seit 20 Jahren vor allem im Osten der Republik Kongo abspielen, haben mit den wertvollen Bodenschätzen, zuallererst mit dem bei der Produktion von Mobiltelefonen benötigten Coltan zu tun, das hier in der Erde zu finden ist. Die Hälfte des weltweit benötigten, aus Coltan gewonnenen Metalls Tantal stammt aus dem Kongo. Rebellengruppen und Regierungstruppen liefern sich in den Minengebieten heftige und grausame Kämpfe um die Vorherrschaft; Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen, Verschleppungen und Morde sind an der Tagesordnung. Die Bevölkerung wird gezwungen, teilweise mit bloßen Händen in den Minen zu arbeiten; viele Familien müssen ihre Dörfer verlassen, weil sie sich auf dem Land nicht mehr sicher fühlen. Ein Staat im Sinne einer die Zivilbevölkerung schützenden Institution existiert kaum; vielmehr prägen Korruption und Vetternwirtschaft die staatliche Politik.

Seelen heilen

Genau hier setze die Arbeit von Thérèse Mema und dem Team um das katholische Büro von Justice et Paix an, erklärte Krämer. Traumatisierte Frauen und Kinder fänden Ansprechpartner, Zuhörer, medizinische, psychologische und praktische Hilfe. Da ist zum Beispiel Rachel, eine junge Frau, von deren Schicksal Krämer dem teilweise fassungslos lauschenden Publikum berichten konnte. Von einer Gruppe Rebellen wurde die junge Kongolesin eines Abends in ihrem Haus überfallen, erst vergewaltigt und dann in das Minengebiet verschleppt. Dort zwang man sie ein halbes Jahr, beim Abbau der begehrten Metalle in der Mine zu schuften. Allabendlich wurde sie vergewaltigt, bevor sie durch einen glücklichen Zufall die Hilfe der Sozialarbeiterinnen fand: „Mema und ihre Kollegen arbeiten rund um die Uhr dafür, um diese schwerverletzten Seelen zu heilen“, betonte Krämer.

Oft gehe die Tragödie nach einer Vergewaltigung noch weiter, nämlich dann, wenn die gepeinigten Frauen schwanger werden. Nicht selten werden sie dann von Eltern, Ehemann oder Familie ausgestoßen und als „wertlos“, ihre Kinder als „Rebellenkinder“ stigmatisiert, die unerwünscht sind. Thérèse Mema und ihre Mitarbeiterinnen bemühen sich dann, umfassende Familienarbeit mit Männern und Frauen zu leisten. Und sie hat großen Erfolg: Mit ihrem ausgeprägten Talent des Zuhörens gelingt es ihr, dass Frauen und Männer sich öffnen und sich ihr Leid von der Seele reden. Das schönste Erlebnis sei es dann, wenn ein Mann das kleine Kind seiner vergewaltigten Frau auf den Arm nehmen und sagen kann: „Thérèse, du hast meine Familie gerettet!“

Zum Abschluss seiner Festrede hielt Krämer noch eine besondere Überraschung für Mema bereit: Er überreichte ihr ein einzigartiges Kreuz, das in Liberia aus einer Granate gefertigt worden war und den Menschen dort als

Hoffnungszeichen gegolten hatte. 2008 segnete Papst Benedikt XVI. das Kreuz im Vatikan, bevor es wieder nach Aachen reiste. Nun solle es wieder zurück nach Afrika, sagte Krämer: „Ich kann mir keine geeignetere Person für dieses Kreuz als Thérèse Mema vorstellen.“

Die Preisträgerin dankte dem Arbeitskreis Shalom sichtlich gerührt für die große ideelle und finanzielle Auszeichnung. Es sei nicht einfach, immer stark zu sein und mit dem unsagbaren Leid so vieler Frauen und Kinder konfrontiert zu werden. Doch ihr Glaube, ihr Ehemann Théophile und ihre vier Kinder, die Erfolge ihrer Arbeit und das Wissen, nicht allein dazustehen, geben ihr immer wieder die Kraft, sich weiter für die gepeinigten Frauen und Kinder in ihrem Land zu engagieren. Mit zitternder Stimme appellierte die überzeugte Katholikin an ihre Zuhörer, auch ihren Beitrag dafür zu leisten, dass sich die „absurde Situation“ in ihrem Land ändere –indem sie beispielsweise beim Kauf eines Mobiltelefons nachprüfen, ob recycelte oder zertifizierte „unblutige“ Materialien darin verbaut seien. Denn der Zusammenhang zwischen den Mobiltelefonen der ersten Welt und dem grausamen Krieg in ihrer Heimat gingen jeden etwas an. Mema ging sogar noch einen Schritt weiter. Wenn insbesondere die europäischen Staaten nicht bald etwas gegen die Geschehnisse im Kongo unternähmen, dann drohe ein zweiter Völkermord in der gesamten Region der „Großen Seen“ in Zentralafrika: „Was uns alle verbindet, ist unser Glaube und unser Wunsch nach Frieden“, sagte Mema abschließend, „daran müssen wir alle arbeiten – Sie hier in Europa, wir in Afrika“.

Dagmar Kusche, Kirchenzeitung Nr. 26 vom 28. Juni 2015