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Rettung für Menschen auf der Flucht

Militärdekan DDr. Michael Gmelch nahm an einem Einsatz der Deutschen Marine teil

Soldaten werden zu Menschenfischern“, anders könne man das nicht sagen, meint Michael Gmelch. Der Eichstätter Diözesanpriester war in seiner Funktion  als Militärdekan 30 Tage lang an Bord des Einsatzgruppenversorgers „Berlin“. Eines der Schiffe, die die Deutsche Marine im Juni zu ihrem ersten Flüchtlingsrettungseinsatz ins Mittelmeer entsandt hatte. Wenn Gmelch von  diesem Monat erzählt, von dem, was er da erlebt und was es bei ihm ausgelöst hat, dann merkt man, wie sehr er versucht, all das einzuordnen in sein Leben. Mit  abschließenden Urteilen und schlüssigen Antworten kann er zunächst nicht dienen, „ein Haufen Fragen“ sei geblieben. Anfragen auch an die weltpolitische Lage, ihre weltanschauliche Bewertung, nicht zuletzt Anfragen an die  eigene Person mit ihren begrenzten Einflussmöglichkeiten.

Auf Tuchfühlung

In Hunderte von Gesichtern, von Augenpaaren habe er geschaut, Augenblicke flüchtigen Kontakts mit meist jungen Leuten, die die Soldaten von Schleuserschiffen gerettet und an Bord genommen haben. Sie werden –notwendige Sicherheitsvorkehrung – von Soldaten in Vollschutz empfangen, erschöpfte, kranke, verletzte Flüchtlinge erhalten sofort ärztliche Hilfe. „Für ein paar  Sekunden fasse ich jeden am Handgelenk, markiere auf einem roten Plastikarmbändchen, das  jeder bekommen hat, was ich gerade zugeteilt habe: Decke, Wasser, Handtuch und eine Schale  Gemüsereis“. Befremdliche, aber zugleich auch beruhigende, tröstliche Ordnung und Struktur nach chaotischen Tagen und Wochen.

Spricht Gmelch im Lebenskundlichen Unterricht mit den Soldaten über all das, merkt er, wie  schwierig dieses Thema ist, wie unterschiedlich dessen Wahrnehmung und wie differenziert es besprochen sein will, damit man nicht in ­Stammtischparolen verfällt. Eine Mission wie die der beiden deutschen Schiffe erweitert den „Tagesschau-Horizont“, vor  dem die meisten bislang die Flüchtlingsdramen gesehen haben. Plötzlich ist man auf Tuchfühlung, erfährt leibhaftig, „was die alles haben erleben müssen, was sie alles  zurückgelassen haben: Familie, Verwandte, Freunde, Besitz, Hab und Gut. Sie haben nix dabei, als das, was sie am Leib tragen und vielleicht eine Plastiktüte“. Manchen  stehe ins Gesicht geschrieben, was sie erlebt haben: Todesgefahr auf der teuer erkauften Flucht in Lastwagen, Containern, in abgetakelten Booten, Misshandlungen, vielleicht Prostitution, ­Verletzungen, Krankheiten, der Tod nebenan, der drohende eigene Tod immerzu möglich.

„Wir brauchen Wissen, viel und spezielles Wissen, das belastbar ist“, sagt Gmelch, „damit wir überhaupt einordnen können, was da zur Zeit passiert“ – Kenntnisse übers Völkerrecht, über Flüchtlingskonventionen und Abkommen wie „Dublin 3“; welche Zu- sagen gibt es, werden sie ein- gelöst? Welche Lösungen für das anhaltende, vermutlich weiterwachsende Problem gibt es?

Was kann man tun?

Am Schiff jedenfalls geordnete Abläufe, annähernde Normalität. Aber normal sei nicht das richtige Wort, meint Gmelch, und die Ruhe nur eine kurze, vorübergehende. Keiner ist irgendwo ­angekommen, die Gefahr ist nicht vorbei, der  weitere Weg nach der Landung  ungewiss. „Sie kommen mit Glück in ein italienisches Flüchtlingscamp, wissen nicht, wohin weiter, die Europäer wissen‘s auch nicht. Sie  werden verfrachtet, gehen x mal durch die Mühlen der Bürokratie, versuchen Asyl, zumindest eine Duldung zu bekommen“, beschreibt Gmelch die absehbaren nächsten Schritte.

Was also kann man tun? „Ich weiß es nicht, da ist selbst nach der Erfahrung, ‚erste Hilfe‘ zum Überleben geleistet zu haben, nur  große Ratlosigkeit“. 50 Millionen Flüchtlinge weltweit, das sei „eine nicht mehr überschaubare Dimension, eine Völkerwanderung“. Und das wird das Problem der nächsten Jahrzehnte bleiben, davon ist auch Gmelch überzeugt: „Das müssen wir realisieren und damit müssen wir arbeiten, schon in den Schulen  und in unseren Gemeinden.  Flüchtlingshilfe muss in den Lehrplan und auf die Agenda von kommunalen wie kirchlichen Initiativgruppen und Helferkreisen“.

In dieser hochkomplexen Welt gebe es „keine unschuldigen und keine sauberen Lösungen“, ist Gmelch überzeugt, „machst du nix, machst du dich schuldig, machst du etwas, machst du dich auch schuldig“.

Teil der Lösung

Und seine Kirche, was bietet sie auf in diesem Kampf gegen die Unmenschlichkeit? „Es wäre schon viel getan, wenn sich Theologen, Geistliche, für bestimmte politische Vorgänge interessieren würden, nicht die notwendige  Hilfe für den Nächsten gegen  die Frömmigkeit ausspielen wollten, und die Antworten geben, die die christliche Ethik, die Lehre Jesu bereithält“, meint Gmelch. So werde Religion nicht Teil des Problems, wie man es ihr oft vorwirft, sondern Teil der Lösung. Der Papst habe mit seiner Reise nach Lampedusa ein deutliches Zeichen gesetzt und damit gefordert: Wir müssen das angehen!

Sein Glaube sei ihm angesichts solch konkreter Herausforderungen „ein Rahmen, ein Geländer“, stellt Gmelch fest. „Ich bin froh, dass ich da etwas habe, wenn‘s um Leben und Tod geht, wenn  alles schwankt und schwimmt“, sagt er. Und das ist dem Militärpfarrer im Flüchtlingsrettungseinsatz bewusst geworden, wie selten zuvor: Nächstenliebe ist politisch und die Menschenfischerei mehr als eine literarische Metapher.

Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 31 vom 2. August 2015