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Noch mehr vom Schüler her denken

Religionslehrer im Bistum Eichstätt sind für den neuen „Lehrplan plus“ gut gerüstet

Mit dem legendären Nürnberger Trichter schien Bildung ganz einfach zu funktionieren: Der Lehrer flößt von oben Wissen ein und füllt damit den Schüler auf, der das stumm über sich ergehen lässt. Moderne Lehrpläne dagegen müssen die Individualität der Mädchen und Buben berücksichtigen, ihre unterschiedlichen Biographien und Erfahrungen. Und weil die Kinder von heute in einer immer komplexeren, sich rasant veränderten Gesellschaft aufwachsen, will die Bildungspolitik weg von der reinen Inhaltsvermittlung. Stattdessen soll der Unterricht Schlüsselqualifikationen und Lebenskompetenz vermitteln. Die Weiterentwicklung des Lehrplans in Bayern zum „Lehrplan plus“ soll diesem Gedanken Rechnung tragen. Entsprechende  Bildungsstandards wurden für alle Fächer erarbeitet.

Auch die Verantwortlichen für katholische Religionslehre haben ihre Hausaufgaben gemacht, so dass ab dem kommenden Schuljahr die Erst- und Zweitklässler in Bayern nach dem neuen „Lehrplan plus“ arbeiten. Für alle Religionslehrerinnen und -lehrer an Grundschulen im Bistum Eichstätt hat ein sechsköpfiges Team der Bischöflichen Schulabteilung eine Arbeitshilfe unter dem Titel „Kompetenzorientiert unterrichten – wie geht das?“ erstellt und – aufgeteilt in Zweierteams – bei zwanzig Fortbildungsveranstaltungen in der ganzen Diözese Eichstätt präsentiert. Weitere Schulungen sind geplant.

Was versteht man unter religiöser Kompetenz? Eine der Definitionen in der Arbeitshilfe lautet: „Religiöse Kompetenz ist das Leben und die Welt aus der Perspektive der Religion entdecken, verstehen und deuten zu können.“ Nun gilt es für die Lehrkräfte nicht, das Rad neu zu erfinden. Der Religionsunterricht sei auch bisher schon der Ort und Raum gewesen, der Antworten anbiete auf die großen Fragen des Lebens und Menschseins, sagt Barbara Buckl, die Leiterin der Arbeitsgruppe. Auch an Kreativität fehle es den Kolleginnen und Kollegen nicht, „wir haben schon immer mit einem großen Methodenrepertoire gearbeitet“, meint die stellvertretende Leiterin der Bischöf-lichen Schulabteilung, die selbst mehr als 30 Jahre Religionsunterricht erteilt hat.

Was wissen die Kinder?

Eine wesentliche Neuerung, die der Lehrplan plus mit sich bringe, sei aber „dass sich der Blickwinkel ändert“, dass die individuelle Ausgangslage des einzelnen Schülers noch stärker beachtet werde. Dazu sieht der kompetenzorientierte Lehrplan, der bayernweit nach und nach für alle Altersstufen und Schularten eingeführt werden soll, die sogenannte Lernstandserhebung vor: Ehe die Religionslehrer ein neues Thema angehen, möchten sie wissen, was die Kinder bereits darüber wissen – und ziehen diese bewusst mit ein. Hans Korell, Ausbilder im religionspädagogischen Seminar der Bischöflichen Schulabteilung, nennt ein aktuelles Beispiel: Wenn die Religionslehrerin in der ersten Klasse die Kinder nach dem Osterfest frage, „dann kann es sein, dass ein Kind über die Ebene des Osterhasen nicht hinauskommt, während ein anderes schon ein tieferes Verständnis hat.“ So ein Kind könne für seine Mitschüler zum Experten werden. „Wieso muss die Lehrerin so tun, als sei sie die Einzige, die etwas über das Thema weiß?“ Neu ins Lehrplan-Konzept aufgenommene Lernaufgaben, die die Kinder in Gruppenarbeit angehen und bei denen sie sich intensiv auf ein Thema einlassen können, sieht Korell als „ganz großes Plus“.

Die Dietfurter Religionslehrerin Maria Hauk-Rakos, die den Lehrplan plus bereits mit ihren Schülern erprobt, kann das bestätigen: „Es lohnt sich, sich für manche Projekte mit den Kindern noch mehr Zeit zu nehmen.“ Es komme jetzt auch vor, dass Kinder Fernseh-sendungen mit dem im Verbindung brächten, was gerade in Religion erarbeitet wird und ihr das vor Stundenbeginn erzählten. „Das ist für mich nach 24 Jahren Unterricht neu und bereichernd“, freut sich Hauk-Rakos.

Auch Marianne Oettl, Religionslehrerin in Gaimersheim und Mitarbeiterin im diözesanen Schulreferat, erprobt seit Weihnachten mit ihren Schülern den überarbeiteten Lehrplan. Als dessen großes Plus sieht auch sie „die Schülerorientierung“ und die Reflexionskultur, die den Kindern noch mehr Selbständigkeit zugestehe. „Ich hab’ den Vorteil, dass ich Doppelstunden habe und damit auch mehr Zeit und Raum für Gruppenarbeit“, berichtet Oettl, die seit 30 Jahren Religionslehrerin ist.

Aber auch, wenn der Frontalunterricht weniger wird und der Lehrer verstärkt zum Moderator, so möchte Oettl doch eine Rolle nicht aufgeben – die der Verkünderin und Erzählerin, denn „wir haben eine Botschaft“. In den vergangenen 30 Jahren habe zwar das religiöse Grundwissen der Kinder nachgelassen, nicht aber das Interesse an biblischen Geschichten, „die hören Grundschüler nach wie vor gern“.

Fragen zulassen

Bei den Fortbildungen, die jetzt im Bistum stattfanden, wurde ein berührender Kurzfilm gezeigt: Ein kleines Mädchen spielt mit seinem Fußball mitten auf dem Friedhof, kickt immer wieder gegen einen Grabstein. Ein Mann kommt hinzu und weist sie zurecht: „Hier ist kein Spielplatz!“ Aber sie spiele hier immer mit ihrem Bruder, erwidert das Mädchen ganz selbstverständlich und verweist auf den Grabstein, auf dem der Name des Siebenjährigen steht. Sie meint, ihr Bruder lebe jetzt unter der Erde. Daraufhin entwickelt sich ein Gespräch. „Dein Bruder ist tot, weißt Du, was das bedeutet?“, fragt der Erwachsene. Er bemüht sich dem Kind die Begriffe „Himmel“ und „Seele“ zu erklären und lässt es doch ratlos zurück. Nicht nur Antworten zu geben, sondern auch kindliche Fragen zuzulassen, darin sehen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fortbildung am Ende bestärkt.  

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 15 vom 13. April 2014