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Neue Lust am Glauben haben

Kardinal Paul Josef Cordes über Priesternachwuchs, Laienbewegungen und geistige Kommunion

KiZ:Herr Kardinal Cordes, Sie waren als Gesandter des Papstes in Eichstätt, um 450 Jahre Collegium Willibaldinum mitzufeiern, Sie haben in Ihrer Predigt von der Bedeutung des Jubiläumsdatums gesprochen, für Eichstätt, für die deutsche Kirche, wenn nicht sogar für die Universalkirche. Worin besteht ihrer Ansicht nach diese Bedeutung?

Kardinal Paul Josef Cordes: Die Frage nach den Dienern in der Kirche ist eine über die Jahrhunderte immer wieder gestellte Frage. Das Problem einer soliden Ausbildung von Priestern, einer Hinführung zu einem tiefen geistlichen Dienst, bestand lange Zeit und insofern war Trient und danach Eichstätt ein wichtiger Ansatzpunkt für eine Verbesserung, eine Erneuerung. Das tridentinische Konzil wollte den Missständen in der Kirche entgegentreten und ein Faktor war das Seminar-Dekret, das in Trient formuliert und dann hier in Eichstätt realisiert wurde.

Sie haben bei aller Festtagsfreude die Sorge angesichts des Mangels an geistlichen Berufen nicht unerwähnt gelassen.

Kardinal Cordes: Es gibt viele Faktoren, die es uns heute als normal erscheinen lassen, dass es weniger Priester gibt. Manches, was früher über den geistlichen Dienst hinaus bei den Priestern verankert war, wird heute zu recht von anderen Instanzen getragen. Diese Differenzierung geht unter Umständen so weit, dass das Spezifikum des priesterlichen Dienstes ein wenig aus dem Blick gerät. Wenn etwa die Identität des Priesters früher von der Kultur geschützt und gestützt war – der Pfarrer war einfach der Pfarrer, das reichte ihm und das reichte den Leuten – sind diese Zeiten heute vorbei. Unsere gewandelte Kultur ist hier nicht mehr tragfähig. Insofern muss der Priester heute von der Theologie her, vom Wort Gottes, der Offenbarung und der Geschichte der Kirche her, eine neue Identität bekommen.

In ihrer Predigt sprachen Sie von Vorgängen, die „die Ermächtigung der Geweihten und ihre Identität beträchtlich verunklären“. Was heißt das?

Kardinal Cordes: Es gibt manche Verunklärungen, dadurch dass das Bild des Priesters, wie gerade beschrieben, beschädigt wurde. Es gibt Verunklärungen durch einige dumme Theologen, durch ambitionierte Laien, die die Autorität des Priesters für sich in Anspruch nehmen, ohne Priester zu sein. All das macht natürlich die Entscheidung eines jungen Mannes, den Priesterberuf zu ergreifen, schwieriger.

Vielfach wird von Strukturreformen eine Besserung der Lage erwartet. Gerade war etwa zu lesen, dass man im Erzbistums München-Freising „die Frage nach dem Miteinander von Laien, Priestern und Ehrenamtlichen“ neu stellen wolle, „auch was die Frage der Leitung angeht“.

Kardinal Cordes: Für mich ist das Stichwort Leitung viel komplexer, als es meistens gesehen wird. Im katholischen Amtsverständnis gehören Verkündigung, Liturgie und Leitung der Gemeinde untrennbar zusammen. Ich kann nicht sagen, Verkündigung und Liturgie machen die Priester und Leiten tun andere. Da wird aus dem soziologischen Leitungsbegriff etwas übertragen in einen theologisch-geistlichen Raum und das geht nicht. Leitung heißt, die Gemeinde mit dem Wort Gottes zu führen und sie vor den Herrn zu tragen in der Feier der Liturgie. Die ganz Fortschrittlichen sprechen von kooperativer Leitung, das ist problematisch. Ich würde jederzeit zugestehen, das gewisse Verwaltungsaufgaben abgezweigt werden können, Leitung ist und bleibt aber eine vom Zweiten Vaticanum dem Priester zugesprochene Amtsaufgabe.

Welche Bedeutung hat für Sie, der Sie als Kenner und Förderer der Geistlichen Bewegungen bekannt sind, das Laienapostolat und auf welche Weise wird sein Wirken hilf- und segensreich?

Kardinal Cordes: Ich habe immer wieder festgestellt, dass in den Gruppen der geistlichen Gemeinschaften immer wieder auch geistliche Berufungen wachsen. Die angebliche Alternative zwischen Laienaufgabe in der Kirche und geistlichem Amt ist eine theoretische Konstruktion. Da, wo gläubige Laien im kirchlichen Dienst, nicht weil sie damit Geld verdienen, sondern aus Glaubensengagement, Christus verkündigen, da gibt es auch Priesterberufe. Bei den Fokolaren, bei Comunione e Liberazione, im Neokatechumenat, und bei den Charismatikern versammeln sich sehr kompetente Laien. Es gibt in Deutschland zwei Seminare des Neokatechumenats, eines in Berlin und eines in Bonn, da erlebe ich Aufbruch, junge Leute, die inzwischen eine gewichtige Stütze des Diözesanklerus sind. Da sollte man nicht sagen, solche Impulse brauchen wir nicht. Deutschland ist in Bezug auf geistliche Bewegungen Entwicklungsland, da gibt es eine Phobie, die ich nicht nachvollziehen kann.

Anlässlich Ihres 80. Geburtstags vor wenigen Wochen erschien Ihre Autobiographie mit dem Titel „Drei Päpste. Mein Leben“. Sie schreiben von sich, Sie seien mit den Erfahrungen Ihres mittlerweile 34 Jahre langen Lebens und Wirkens im Vatikan „Advokat der Personalisierung von innerkirchlichem Miteinander“. Was meinen Sie damit?

Kardinal Cordes: Durch viele Faktoren sehen wir sehr leicht um uns herum zuerst die Strukturen, das System, wir sind Mitglieder, Teilnehmer, Kunden. Einerseits braucht es Struktur und System, andererseits erleben wir hier Entfremdung. Und das angeblich seelenlose System kritisieren wir sehr schnell, sehr vehement. Wir kritisieren aber nie nur eine Institution, sondern immer Menschen dahinter, darin. Das habe ich im Vatikan eben auch erlebt in den Reaktionen, die von außen kamen, gegenüber Papst Benedikt etwa, ein sehr sensibler Mensch, der an manchem schwer getragen hat. Davon wollte ich auch in meinem Buch geschrieben haben und insofern, ganz banal gesagt, Verteidiger der Zwischen- und Mitmenschlichkeit sein.

Als langjähriger Präsident des Päpstlichen Werkes „Cor unum“ ist Ihnen unter anderem das Leid der Flüchtlinge auf allen Kontinenten ganz und gar nicht fremd. In Deutschland, vor allem auch Bayern, stehen in diesen Tagen alle gesellschaftlichen Gruppen vor gewaltigen Herausforderungen, was den Umgang mit Flüchtlingen angeht. Was muss die Kirche konkret tun in dieser Lage?

Kardinal Cordes: Es ist wichtig, dass wir das Problem an uns heran kommen lassen und nicht denken, dafür gibts doch sicher eine Institution. Jeder von uns versucht gerne, zu delegieren, auch die Verantwortlichkeit. Aber ich habe auch immer wieder erfahren, dass die Menschen heute nicht unsensibel sind, zum Beispiel seinerzeit beim großen Tsunami in Asien, da geben die Leute, wenn sie informiert werden, unendlich viel. Genau so beim Oderhochwasser damals und anderswo. Wir können, auch wenn das nicht einfach ist, Politiker beeinflussen, dafür sorgen, dass das System Demokratie menschlich reagiert. Wir können, wie ihr Bischof hier, ganz konkret ein Zeichen setzen, mit der Bereitstellung einer Flüchtlingsunterkunft.

Zur Zeit tagt die Bischofssynode in Rom. So aufgeregt die Medien hierzulande berichten, der Prozess der Treffen und Gespräche wird noch eine ganze Zeit lang keine abschließende Einordnung zulassen. Dennoch werden auch Sie schon jetzt Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen haben, die „die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“ betreffen.

Kardinal Cordes: Zur Stunde dauert die Synode noch an, es ist sozusagen ein schwebendes Verfahren, deshalb will ich mich hier nicht dazu äußern.

Sie haben in einem ausführlichen Beitrag, der am 4. Oktober in der Deutschen Tagespost erschien, darauf hingewiesen, dass die derzeit diskutierten Bestrebungen, wiederverheirateten Geschiedenen den Empfang der heiligen Kommunion zu ermöglichen, die „Autorität aller geweihten Hirten“ übersteige, die schließlich an die Heilige Schrift gebunden seien, die eindeutig über den Ehebruch spricht. Gleichzeitig sagen Sie, dass den wiederverheirateten Geschiedenen „neu unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden“ sei. Ihr Vorschlag: die sogenannte geistige Kommunion.

Kardinal Cordes: Wir haben die geistige Kommunion vergessen, sie kommt auch nicht mehr im Katechismus vor. Dabei ist sie eine Hilfe für alle Menschen, die Gott suchen, denen der Weg zum Empfang des Sakraments aber versperrt ist. Dazu zählen auch die wiederverheirateten Geschiedenen, die sich nach dem Herrn sehnen. Die geistige Kommunion ist aber vor allem neu in die Pastoral zu bringen, weil so viele Menschen heute nur noch über die elektronischen Medien an Messfeiern teilnehmen und nicht die heilige Kommunion empfangen können, weil es so viele alte, allein und weit entfernt lebende, nicht mehr mobile Menschen gibt, die das auch wollen. Eucharistische Anbetung oder Wallfahrten sind alte Formen und Praktiken, die es früher gab, die verschwanden und die seit einiger Zeit wieder aufleben, so könnte es auch mit der geistigen Kommunion gehen.

Der Auftrag des heiligen Vaters an Sie als Päpstlicher Legat beim Seminarjubiläum lautete: „Geistliche Ermunterung“ der Christen, der Seminaristen. Was sprechen Sie Ihnen zu?

Kardinal Cordes: Wir sollten uns wieder gegenwärtig machen: der liebe Gott ist immer noch allmächtig. Wir sind so mit Problemen beladen, dass wir die Grundbotschaft „Christus ist auferstanden und hat den Tod besiegt“ erst wieder feiern lernen müssen. Das ist an diesem Wochenende hier passiert und das ist prima gelungen. Wir sind in Deutschland so überzeugt davon, dass nur der intellektuelle Impuls uns weiterbringt, ich habe aber vor allem durch die geistlichen Bewegungen gelernt, dass unter Umständen emotionale Erlebnisse viel mehr Energie geben unseren Glauben zu leben, als ein Referat – denken wir nur an die Weltjugendtage. Deswegen ist so ein Fest wie dieses Seminarjubiläum so wichtig, nicht dass dann hinterher groß darüber geschrieben werden kann, sondern weil die Leute neu Lust am Glauben haben.      

Interview: Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 42 vom 19. Oktober 2014