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„Man kann nicht mehr wegschauen“

In Eichstätt wurden jetzt die ersten sieben Stolpersteine für ehemalige jüdische Mitbürger verlegt

Die Stolpersteine, die heute gesetzt werden, führen nicht zum realen Straucheln sondern zum mentalen Innehalten, sie sind keine Behinderung, sondern Aufforderung zum Nachdenken und Erinnern“ – diese Worte fand Dr. Claudia Grund im Namen und Auftrag der Diözese Eichstätt bei der Verlegung von sieben Gedenksteinen an fünf Orten der Stadt.

Mit der Idee, die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig vor den Häusern ehemaliger jüdischer Mitbewohner zu platzieren, befasst man sich in Eichstätt schon länger (siehe Kasten rechts). Realisiert haben sie jetzt zwölf Schülerinnen und Schüler aus der gesamten 10. Jahrgangsstufe am Gabrieli-Gymnasium. Sie entschieden sich, in den zurückliegenden beiden Jahren das Projekt-Seminar Stolpersteine zu belegen, das ihr Lehrer Wolfgang Wollny anbot. Sie befassten sich mit der Idee des Künstlers (siehe Kasten unten), holten Stellungnahmen, etwa beim Zentralrat der Juden, ein, besuchten Gedenkorte in Bayern, warben für ihre Idee mit Ständen in der Fußgängerzone, sammelten Spenden (für 120 Euro kann jeder eine Patenschaft für einen Gedenkstein übernehmen) und überzeugten schließlich den Stadtrat von ihrem Vorhaben, der daraufhin sein einstimmiges Placet gab. Vor allem aber recherchierten die Gymnasiasten akribisch die Geschichte der Eichstätter Juden, derer zu gedenken war. Hilfe bekamen sie dabei vom ehemaligen Diözesanarchivar Brun Appel.

Mit Anfang der 80er-Jahre begann nicht nur in Eichstätt die hohe Zeit der regionalgeschichtlichen Forschungen über jüdisches Leben. An den Schulen entstanden Facharbeiten, Gedenkbücher erschienen, die auf mühsam zusammengesuchtes Material aus verstreuten Archivalien zurückgriffen. So leistete Appel in Eichstätt quasi Pionierarbeit, deren schönste Frucht für ihn bis heute die Projektwochen „Wider das Vergessen“ im Jahr 1996 waren. Aus dieser singulären Großveranstaltung heraus formierte sich der Gesprächskreis Christentum – Judentum, der erstmals die Stolpersteine ins Gespräch brachte, das Seminar-Projekt der Gabrieli-Schüler unterstützte und sich um die Verlegung weiterer Stolpersteine bemühen will.

Einer der P-Seminar-Teilnehmer war Valentin Müller (20), er meint: „So viele wissen heute nicht, was damals geschehen ist. Die zentralen Gedenkorte sind weit von uns weg. Mit diesen Stolpersteinen kommt die ganze grausame Geschichte in unsere Realität hinein. Man kann nicht mehr wegschauen“. Müllers Familie wohnt heute noch in einem der Häuser, vor denen jetzt Stolpersteine liegen. In der Luitpoldstraße 14 lebten die Eheleute Emilie und Hermann Dachauer. Sie zogen – wie alle Eichstätter Juden – spätestens nach der Pogromnacht 1938 aus Eichstätt weg. Auf dem Gedenkstein kann man lesen, dass Hermann Dachauer 1942 in Theresienstadt, seine Frau 1944 in Auschwitz ermordet wurden. Zur Verlegung der Stolpersteine waren eine Enkeltochter mit ihrem Ehemann und ein Enkelsohn aus den USA nach Eichstätt gekommen. John Dachauer sagte: „Ich bin sehr glücklich über diese Steine. Das ist heute einer der Höhepunkte meines Lebens“.   

Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 23 vom 7. Juni 2015