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Ernstfälle, die sich keiner wünscht

Krisenseelsorge ist ein wichtiges Arbeitsfeld der Schulpastoral im Bistum / Mobiles Diözesanteam

Es war an einem 9. Dezember, als in einer Klasse des Neumarkter Ostendorfer-Gymnasiums ein Platz leer blieb. Die Mädchen und Jungen, die an jenem Tag eine Mitschülerin verloren, seien seither „an jedem Monats-Neunten richtig abgesackt“, hat ihr Religionslehrer Helmut Enzenberger beobachtet. Nun jährt sich der Todestag ihrer Klassenkameradin zum ersten Mal „und wir überlegen, wie wir diesen Tag gestalten“, erzählt der Theologe und Referent für Schulpastoral, der zugleich Diözesanbeauftragter für Krisenseelsorge im Schulbereich (KiS) im Bistum Eichstätt ist und die Arbeit eines bistumsweit aktiven Teams koordiniert (siehe Interview S. 5). Mobile Einsätze bei „Großschadenslagen“ (Schwerer Schulbusunfall, Amoklauf) gehören ebenso zu den Aufgaben des KiS-Teams wie Fortbildungen zum Thema „Todesfälle im schulischen Kontext“. Derzeit leitet Enzenberger einen dreiteiligen Kurs für interessierte Lehrerinnen und Lehrer jeder Schulart. Die KiZ war bei einem der Treffen im Schulzentrum Rebdorf dabei.

Andreas Fichtl, Lehrer an der Eichstätter Mittelschule und einziger Mann in der Zuhörerrunde, hat sich Zeit genommen, obwohl er selbst Mitglied des KiS-Teams ist. Aber „Auffrischung tut immer gut“, meint der Pädagoge, „und die Situation ist jedes Mal anders“. Fast 20 Jahre ist es her, dass an seiner Schule eine Schülerin im Sportunterricht tot zusammenbrach. Fichtl, damals bereits Beratungslehrer, stand weitgehend unvorbereitet vor der Aufgabe, geschockte Schüler und Lehrer zu betreuen. „Das hat mich immer beschäftigt“, begründet er, warum er sich gleich anmeldete, als die Diözese Eichstätt erstmals Fortbildungen in Krisenseelsorge anbot.

Ruhe bewahren

Dass solche Schulungen mittlerweile sehr gefragt sind, weiß auch Barbara Hegner. Die evangelische Religionspädagogin, die an Grund- und Mittelschulen im Raum Treuchtlingen unterrichtet, ist froh, dass bei der Fortbildung der diözesanen Eichstätter Schulabteilung noch ein Platz für sie frei war. „Mir war es einfach wichtig, Handwerkszeug vermittelt zu bekommen“, sagt sie. Wie schnell der Ernstfall eintreten kann, wurde ihr kürzlich angesichts eines Schulbusunfalls bewusst, bei dem ein Junge verletzt wurde.

Daniela Donauer, Lehrerin für Religion und Mathematik an der Realschule Berching, hat als Mitglied des schulinternen Kriseninterventionsteams schon einen Todesfall im schulischen Umfeld erlebt: Der ehemalige Rektor, den die älteren Schüler „und natürlich die Lehrer“ noch gut kannten, war kurz nach seiner Pensionierung ganz überraschend gestorben.

Spektakulär war ein Fall aus Bayreuth, von dem Helmut Enzenberger kürzlich gehört hat: Ein Schüler war bei dem Versuch, aus Jux aufs Schuldach zu klettern, abgestürzt. Was auch passiert: „Ruhe bewahren, Durchatmen“, legt er seinen Lehrerkollegen jetzt bei der Fortbildung ans Herz. Eine Grundregel sei es auch, immer gleich die Schulleitung zu informieren. Die schicke dann je nach Situation einzelne oder alle Mitglieder des schulinternen Kriseninterventions-Teams (SiKiT) in die betroffenen Klassen. In großen Schulzentren oder Gymnasien ist es nicht ungewöhnlich, dass SiKiT-Teams zwei Dutzend Mitglieder zählen. „Wir haben am Ostendorfer-Gymnasium 25“, berichtet Enzendorfer. Vertreter von Schulleitung, Lehrerkollegium und Eltern gehörten ebenso dazu wie der Hausmeister.

Wie „auf Automatik“

Enzenberger führt seinen Zuhörern in Rebdorf vor Augen, wie nach einem Unfall oder angesichts einer Todesnachricht „das ganze System Mensch auf Automatik umschaltet“, als ob ein Hebel umgelegt werde. Drei Grundmuster seien dabei festzustellen: Der eine reagiere kämpferisch und aggressiv, der andere erstarre, der dritte schließlich fliehe. Zu letzterem Verhalten erzählt der Pastoralreferent ein Beispiel: Als die Nachricht vom Suizid einer Schülerin in der Mittagszeit durchsickerte und die Schüler pausenbedingt quer übers Schulgelände oder auch in der Stadt verstreut waren, „da mussten wir erst mal schauen, ob alle wieder da sind“ und keiner panisch weggelaufen sei. In solch einer Grenzsituation „ist der Schüler nicht Herr seines Verhaltens“.

Für das Erstgespräch mit der betroffenen Klasse rät Enzenberger, zwei Schulstunden einzuplanen. „In der folgenden Stunde wär’ dann Mathe gut.“ Gefühle anzusprechen oder meditative Elemente einzubringen sei zu diesem Zeitpunkt zu früh. Aber es komme auch die Zeit um eine Kerze anzuzünden. „Der christliche Glaube sagt uns: Die Dunkelheit ist kein gottloser Ort“, versichert Enzenberger und verweist auf Worte, mit denen der Prophet Hosea den Herrn beschreibt: „Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück am dritten Tag richtet er uns wieder auf.“

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 49 vom 7. Dezember 2014