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Dichtung und Maarheit

Eine Lesung und ein eher unübliches Interview mit dem Kinderbuchautor Paul Maar

Dauernd unterwegs, die Titel von Paul Maar, das kann jede Büchereimitarbeiterin bestätigen: das Sams, der Lippel, die Geburtstagsmaus, jede Menge anderer Tiere und Fabelwesen und höchst bemerkenswerter Menschentypen – die Bücher des 75-jährigen Franken sind seit über vier Jahrzehnten in Kinderzimmern wie in Schulen unverändert gefragt. Dauernd unterwegs ist auch der Autor selbst, mit Lesungen, wie an diesem sehr heißen Sommersonntag auf Hirschberg. Die Autorenbegegnung ist das Schmankerl der Jahreskurse des St. Michaelsbunds. Auf Maar sind die nach drei Tagen rechtschaffen müden Frauen und Männer, die hier Büchereien aus allen Teilen Bayerns repräsentieren, besonders gespannt, wegen siehe oben.
Er gehe chronologisch vor und lese der Reihe nach aus seinen Büchern, sagt Maar eingangs und in die Vorfreude mischt sich angesichts des Bücherstapels vielleicht hie und da Skepsis. Doch dann kommt alles ganz anders und gleich mit den ersten Zeilen seines ersten Buches „Der tätowierte Hund“ hat der völlig ungekünstelt lesende
Autor sein Publikum für sich eingenommen. 1967 entstand die Geschichte, in der sehr viele Geschichten stecken. Dieser Matrjoschka-Effekt ist etwas, das oft vorkommt in Maar-Büchern, aber kein Trick ist, sondern die blanke Notwendigkeit, wenn man so viel Fantasie hat und so gerne erzählt. Ein Löwe erzählt in dem Buch
die „Geschichte vom bösen Hänsel, der bösen Gretel und der Hexe“ dem staunenden Hund, der diese Geschichte ganz anders kennt. Sie sei ihm aber so von der Hexe erzählt worden, beteuert der Löwe und beide erkennen, dass es sehr darauf ankommt, wer einem eine Geschichte erzählt.  Tiefsinn und Humor sind bei Maar keine Feinde, man kann Lernen und Lachen, scheint seine Devise, sogar gleichzeitig. Und so pendelt der Vortrag im Folgenden zwischen pädagogischer Parabel und valentinesken Aal-Reimen. Und das Publikum folgt höchst amüsiert.

Sag die Wahrheit

Nach der Lesung, Autors Pflichtprogramm: Bücher signieren und Interviews geben. Der jetzt ebenso wie sein Publikum rechtschaffen müde und durchgeschwitzte Autor lässt sich zu einem Spiel überreden: Ich stelle eine Behauptung in den schlecht belüfteten Raum, er stimmt zu oder widerspricht, möglichst mit ein paar Worten mehr als Ja und Nein. Kein Problem, merke ich beim Vorgespräch („Ich darf abschweifen“ oder „Nein, ich fang anders an, dann dauerts noch länger“). Sein zustimmendes Grinsen ist der Startschuss.

Behauptung 1: Die elektronischen Medien, Fernsehen, PC, Mobiltelefone, die Kommunikationsrevolution im Internet mit Facebook, Twitter usw., verdrängen das gedruckte Wort, das Buch.
Paul Maar: Sie verdrängen es nicht ganz, aber sie schränken es ein. Ich habe eine Studie gelesen, dass Kinder, die sehr viel Medien nutzen, gleichzeitig sehr viel lesen, dass sich das also wohl nicht unbedingt ausschließt.
Behauptung 2: Die permanente Präsenz im weltweiten Netz tötet unsere Kreativität und Fantasie.
Maar: Da muss ich Ihnen Recht geben. Ich glaube, dass sehr viel Fantasie verloren geht, durch all das fertig Vorgekaute im Netz und es geht auch ein gewisses Maß an Selberdenken verloren. Ich merke das an mir selbst, früher musste ich nachdenken, heute schau ich bei Google nach.
Behauptung 3: Die Welt ist klein geworden, alles ist global, richtige Abenteuer gibt es keine mehr.
Maar: Ich glaube, wenn man Kind ist, findet man immer ein Abenteuer.
Behauptung 4: Jeder kann jederzeit jede Informationen erhalten, nichts bleibt verborgen, alle Fragen sind beantwortet, alle Geheimnisse sind enträtselt.
Maar: Meinen sie wirklich, dass alle Geheimnisse enträtselt sind (schmunzelt rätselhaft)?
Behauptung 5: Träume sind Schäume – sagt der Volksmund.
Maar: Nein, das glaube ich ganz und gar nicht. Ich habe sogar das Gefühl, dass viele meiner Geschichten meinen Träumen entsprungen sind. Manchmal mache ich mir direkt nach dem Aufstehen die ersten Notizen.
Behauptung 6: Magie ist keine Zauberei – meint Marcus Agrippa.
Maar: Das stimmt. Wir hatten letzte Woche das Festival „Bamberg zaubert“. Da waren viele Magier, aber die haben nicht echt gezaubert (wieder dieses Schmunzeln).
Behauptung 7: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist – behauptet Ben Gurion.
Maar: Da sag ich nur ja.
Behauptung 8: Leicht Lesbares ist schwer zu schreiben.
Maar: O ja, ich habe das gemerkt, als ich angefangen hab, ein Erstlesebuch zu schreiben, wo die Vorgabe ist, möglichst keine Nebensätze, nur sechs Wörter in einer Zeile. Man muss das schreiben wie ein modernes Gedicht und sich immer wieder laut vorlesen, ob es stimmt.
Behauptung 9: Kinderbücher sind nichts für Erwachsene.
Maar: Da gibt es Leute, die behaupten genau das Gegenteil. Erst vor kurzem hat mir eine Buchhändlerin erzählt, sie hätte ihrem Partner ein Sams-Buch geschenkt, der könnte da was lernen.

„Samsige“ Momente

Ach ja, zum Sams hätte man ja gerne auch noch was gefragt, aber die Hitze und die Höflichkeit ... wenigstens die eine Frage: Angeblich verwandle man sich, wenn man 20 Jahre der Vater vom Sams ist, langsam selbst in ein Sams. Dieses Jahr werden es 40 Jahre, dass Maar das Sams erfunden, also an Vaterstatt angenommen hat. Ob er denn etwas von der „samsigen“ Extrovertiertheit an sich feststelle? Nein, lacht er, er sei eher ein Taschenbiermensch, zurückhaltend und höflich, samsige Momente habe er allenfalls ganz kurz bei Lesungen. Und dann kommt er noch auf Nasreddin Hodscha, den türkischen Eulenspiegel zu sprechen, dessen Abenteuer er in seinem Buch „Das fliegende Kamel“ nach- und neuerzählt und in die heutige Zeit weiterschreibt. Mit der Capella Antiqua Bambergensis, die Mittelaltermusik und orientalische Folklore zusammenbringe, sei er damit auf musikalischer Lesereise.

Und man könnte jetzt denken, ach ja, wieder so eine Integrationsgeschichte, und wie gut und wichtig so was ist, und wie total toll so was klappt. Und dann erzählt Maar, dass es wirklich total toll klappt, und es ist kein bisschen so, wie die meisten Erzählungen über solche Sachen sind, bei denen man sehr schnell weghört und freundlich nickt. Es kommt eben tatsächlich darauf an, wer eine Geschichte erzählt.

Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 32/33 vom 11./18. August 2013