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„Des Menschen Tage sind wie Gras“

Friedhöfe sind symbolträchtige Orte/Landesweiter Wettbewerb ging soeben zu Ende

Für die einen ist der Friedhofsgang an Allerheiligen unvermeidliche Pflichtübung. Andere kommen fast täglich, nehmen sich Zeit für ein Vaterunser für die Toten und eine Unterhaltung mit den Lebenden. Viele pflegen seit Jahrzehnten die Gräber ihrer Angehörigen und bemerken dabei, wie sich das Erscheinungsbild ihres Heimatfriedhofs allmählich wandelt: Immer mehr aufgelassene Familiengräber werden nicht mehr belegt, während Urnenwände neu entstehen. Gemeinderäte erwägen das Anlegen eigener Areale für Baumbestattung auf ihren Friedhöfen – auch in ländlichen Kommunen.

Angesichts des Wandels im Friedhofs- und Bestattungswesen regten die Bayerische Gartenakademie und der Bayerische Landesverband für Gartenbau zusammen mit den bayerischen Kreisfachberatern vor einigen Jahren die Gründung eines Arbeitskreises Friedhof an. Vertreter der Kirchen und der Kommunen, aber auch Steinmetze oder Friedhofsgärtner, entwarfen Gestaltungskonzepte, um unabhängig von allen Veränderungen sicherzustellen, „dass der Friedhof dem zutiefst menschlichen Bedürfnis ‚Trauer’ Raum gewährt“, wie es in einem Infoblatt des Gartenbauverbands heißt.

Zum Abschluss dieses Planungsprozesses fand heuer ein landesweiter Wettbewerb um Bayerns vorbildlichste Friedhofsanlagen statt, der auf große Resonanz stieß: 60 von 71 Gartenbau-Kreisverbänden beteiligten sich an der Aktion unter dem Motto „Unser Friedhof – Ort der Würde, Kultur und Natur“. Über die Kreisverbände der Obst- und Gartenbauvereine erging Einladung an alle kirchlichen und kommunalen Friedhofs-Träger. Jeder Kreisverband setzte eine Jury ein und kürte bis zu drei Preisträgern, die jetzt geehrt wurden (siehe Kasten unten).

Nischen für Trauernde

Eine der treibenden Kräfte, sowohl im Arbeitskreis Friedhof als auch beim Wettbewerb, war der Breitenbrunner Diakon Franz Kraus, im Hauptberuf Kreisfachberater für Gartenkultur, Landespflege und Umweltbildung am Landratsamt Neumarkt. Mit Kraus, der auch Sprecher der bayerischen Kreisfachberater ist, unternahm die KiZ einen Rundgang  über den neuen Friedhof von Forchheim bei Freystadt. Unter den 20 Teilnehmern aus dem Kreisverband Neumarkt wurde er von der Jury am besten bewertet.

Weil der Gottesacker um die Forchheimer Kirche herum zu klein geworden war, hatte die Gemeinde 1997 einen neuen, von einem Landschaftsarchitekten geplanten Friedhof am Dorfrand eröffnet. Eingebettet in grünen Rasen, wirkt er wie ein kleiner Park. Quer durch das Areal zieht sich ein Korridor aus zwei Buchenhecken, die den Blick lenken auf  das Hoffnungszeichen über den Tod hinaus – das Kreuz. Es ist eingearbeitet in eine Stele aus Metall, die ein einheimischer Künstler gefertigt hat. Kraus weiß noch, dass es seinerzeit im Dorf als „viel zu modern“ empfunden wurde. Aber längst hat sich der Aufruhr gelegt. Die Stele und der sie umgebende kleine Platz mit Blick auf Felder und Wiesen liegen am Rand des Friedhofs und bilden eine Nische für trauernde Menschen. Solche Rückzugsmöglichkeiten findet Kraus wichtig, denn „nichts ist schlimmer, als wenn ein Friedhof von vorn bis hinten überschaubar ist“. Der Schotter auf den Gehwegen ist so fein und verdichtet, dass auch Rollator- oder Rollstuhlfahrer zurechtkommen. Eine Reihe von Bänken laden zum Verweilen ein.

Was Pflanzen erzählen

Vielen Leuten sind Laubbäume am Friedhof ein Dorn im Auge, weil sie ihre Blätter über den Gräbern abwerfen. Kraus dagegen gefallen die vielen Bäume, die um den neuen Forchheimer Friedhof herum gepflanzt worden sind. „Der Friedhof ist auch ein Ort der Lebenden“, verweist der Diakon auf die österliche Botschaft. „Da ist der Baum ein ganz wichtiges Symbol“, meint er und zieht weitere Parallelen: So wie Bäume die Jahrhunderte überdauerten, „so tragen auch wir Menschen diesen Ewigkeitscharakter in uns“. Gleichzeitig erinnere das Laub, das im Herbst stirbt, an die menschliche Vergänglichkeit. „Deshalb muss es auch nicht sein, jedes Blatt einzeln einzusammeln“, schmunzelt Kraus.

Die Familiengräber auf dem neuen Friedhof Forchheim sind lediglich von dünnen, versenkten Metallrahmen eingefasst und von den Abmessungen her eher klein, was das Anpflanzen erleichtert. Ohnehin rät Gartenberater  Kraus, bis zu drei Viertel der Grabfläche mit einer Dauerbepflanzung zu versehen, um den Pflegeaufwand zu verringern. Immergrüne Bodendecker seien eine gute Alternative zu Grabplatten oder den momentan modernen Steinschüttungen. Sehr schöne Symbolpflanzen seien Gräser, erklärt Kraus und verweist auf den Psalm 103: „Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht  wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin.“

„Denk mal nach“

Wie die Grabsteine beschaffen sein sollen, legen die Friedhofsträger in ihren Satzungen fest. Manche stellen sehr detaillierte Regeln auf, andere lassen mehr Gestaltungsfreiheit. Ganz ohne Vorgaben „geht‘s nicht“, meint Kraus und appelliert zugleich an  den Gemeinschaftsgeist der Grabbesitzer, durch die Auswahl des Materials zu einem harmonischen Gesamtbild beizutragen. Er plädiert  für die Verwendung einheimischer Jura- oder Kalksteine, auch wenn die Steinmetze heute sehr viele  Steine aus Übersee in ihren Ausstellungsräumen präsentieren. „Brasilien, Indien, China sind die Hauptlieferanten“, weiß Kraus und will nicht ausschließen, dass gerade bei Steinen aus Indien oft Kinderarbeit im Spiel ist.

Damit der Friedhof licht und leicht wirkt, plädiert der Fachmann für schmale Steine, je schlichter, desto schöner. Individuell können sie trotzdem gestaltet sein, wie ein Grabstein für einen jung verstorbenen Mann zeigt: Kleine schlichte Bilder aus blauem Emaille, die in den Stein eingelassen sind erzählen davon, was er im Leben gern getan hat: Klavierspielen, Motorradfahren, Tauchen. Ein Grabzeichen könne im wahrsten Sinn des Wortes ein Denkmal sein, meint Kraus: „Denk mal nach – über diesen Menschen“.

Rütteln am Gesetz

In einigem Abstand zu den Familiengräbern ist auf dem Forchheimer Friedhof auch eine Urnenstele errichtet worden. Bislang ist erst eines der 18 Fächer belegt. Einige Meter entfernt befindet sich ein kleines Areal für Urnengräber. Auch dort ist erst eine Bestattung vorgenommen worden. Aber das wird sich noch ändern. „Der Wunsch nach Urnenbestattungen nimmt stark zu, so dass selbst in den kleinen Dorffriedhöfen Lösungen erforderlich sind“, heißt es im Abschlussbericht zum Friedhofswettbewerb im Kreis Neumarkt. Auf den Freystädter Friedhöfen etwa geht die Nachfrage nach Urnenbestattungen bereits auf 50 Prozent zu. In den östlichen Bundesländern oder im Ruhrgebiet seien es teilweise mehr als 90 Prozent, berichtet Kraus. Was viele nicht wissen: Die Beisetzung einer Urne in Wänden oder Stelen ist immer nur eine Zwischenlösung; nach Ablauf der Ruhefrist wird sie in der Regel vom Friedhofsträger anonym in der Erde versenkt.

Im Tod mit der Natur eins zu werden, seine Asche übers Meer oder in Bergschluchten verstreuen zu lassen, diesen letzten Wunsch haben immer mehr Menschen. Einige Bundesländer, wie etwa Bremen, haben bereits das Bestattungsgesetz gelockert. In Bayern dagegen gilt nach wie vor: Wenn jemand stirbt, muss er in einem  öffentlichen Friedhof bestattet werden. Sogenannte „Friedwälder“ werden nur genehmigt, wenn ein öffentlicher Träger dahintersteht. Diakon Kraus hält den Trend zur anonymen Bestattung „für keine glückliche Entwicklung“, weil kein Trauerort für die Hinterbliebenen da ist. Von vielen aber hört er heute: „Im Wald bin ich meinem Herrgott am nächsten.“

Andere entscheiden sich für  einen Mittelweg, die halbanonyme  Bestattung. Im Friedhof Labersricht, dessen Träger die Stadt  Neumarkt ist, können zum Beispiel unter den ausladenden Ästen einer großen, alten Weide Urnen beigesetzt werden. An einer zentralen Stelle daneben werden die Namen der Verstorbenen angebracht.

Treffpunkt im Dorf

Es ist wichtig, einen Ort zum Trauern zu haben“, stimmt Rosina  Grad mit Franz Kraus überein, „das erkennt man vielleicht erst, wenn der Angehörige nicht mehr da ist“. Die Gartenbauvereins-Vorsitzende aus Ottmaring (Pfarrei Töging) gehörte der Jury beim Friedhofswettbewerb an und war mit ihr zwei Tage lang auf Achse quer durch den Landkreis. Ihre Erfahrung bringt sie auch bei der Gestaltung des kleinen Ottmaringer Friedhofs ein, der die Kirche mitten im Dorf umgibt. Er ist ein Treffpunkt für die alten Leute, die täglich ihren Spaziergang  machen, die Gräber sind tadellos gepflegt. Dass nicht alle belegt sind, fällt nicht ins Auge, weil auch auf den freien Flächen Bodendecker wachsen. Ein Mitglied des Gartenbauvereins übernimmt die Pflege. Schön findet Grad, die für den Blumenschmuck in der Kirche zuständig ist, die grünen Grabeinfassungen, mal aus Mauerpfeffer, mal aus Sternmoos. Schon vor mehr als 35 Jahren habe der damalige Ortspfarrer den Anstoß zum Verzicht auf klobige Grabeinfassungen und zur Verwendung heller, einheimischer Steine gegeben, berichtet Grad. Vor ein paar Jahren ist der Zugangsweg behindertengerecht angelegt worden. Jeder gelangt jetzt leicht auf den Friedhof, ob mit Rollator, Kinderwagen oder Schubkarre. An der Rückseite der Kirche ist ein Grünstreifen für Urnengräber  mit pflegeleichter Gemeinschaftsbepflanzung vorgesehen. Denn auch in kleinen Dörfern ist es nicht mehr selbstverständlich, dass Angehörige regelmäßig vorbeikommen. Auch die Grads, deren drei Kinder weit entfernt wohnen, werden wohl diese Möglichkeit einmal nutzen. Denn, so meint Rosina Grad, „das ist mir viel lieber als ein großes Familiengrab mit Marmorplatte und vertrockneter  Schale“.

Gabi Gess, Kirchenzeitung Nr. 44 vom 1. November 2015