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Der Vater der italienischen Oper

Am 14. Juni wird der 250. Geburtstag des Komponisten Johann Simon Mayr gefeiert

Die Gemeinde der Klassikliebhaber bemisst die Größe eines Komponisten gerne an seiner gegenwärtigen Präsenz im allgemeinen musikalischen Bewusstsein. So gesehen ist Johann Simon Mayr ein glückloser, weil weithin vergessener Tonsetzer. Und dass er sich das Jahr seines 250. Geburtstages mit den ungleich populäreren Jubilaren Wagner und Verdi teilen muss, scheint die Legende vom unbekannten Erfinder der italienischen Oper zu stützen.

Die zurzeit nicht nur in und um Ingolstadt, sondern weit darüber hinaus stattfindenden Veranstal-tungen (siehe auch Kasten unten) strafen allerdings diese und einige weitere Mayr-Legenden Lügen.

Junges Talent

Johann Simon Mayr wurde am 14. Juni 1763 in Mendorf bei Altmannstein, das im Landkreis Eichstätt, aber im Bistum Regensburg liegt, geboren. Der Lehrerssohn erhielt schon früh musikalische Unterweisung durch seinen Vater, der in der Pfarrkirche St. Leodegar die Orgel spielte – eines der wenigen noch erhaltenen Instrumente des Ingolstädter Orgelbauers Caspar König (1675-1765). Ab dem siebten Lebensjahr wurde Mayr im nahen Benediktinerkloster Weltenburg erzogen und wechselte 1774 an das Jesuitenkolleg in Ingolstadt. Dort studierte er Theologie, Philosophie, Medizin und Jura. Er war Schüler des Rechtsgelehrten Adam Weishaupt, der 1776 die Geheimgesellschaft der Illuminaten gründete. Die spielten – wenngleich Mayr nie Mitglied war – eine Rolle bei der Entscheidung nach Italien zu gehen. Mayr begleitete seinen Arbeitgeber und Gönner Thomas de Bassus, dessen Schloss der hauptsächliche Treffpunkt der Illuminaten war, auf dessen Flucht vor der Polizei.

Oratorien und Opern

Ab 1789 studierte Mayr in Bergamo beim Kapellmeister der Kirche Santa Maria Maggiore, Carlo Lenzi, dann bei Fernando Bertoni, dem Kapellmeister des Markusdoms in Venedig. Mayr komponierte anfänglich fast ausschließlich Kirchen- und Kammermusik, zumeist Messen und Oratorien, zur Opernkomposition musste er bekehrt werden. Wie jede Konversion zeitigte auch diese vehemente Leidenschaft, die sich bei Mayr mit großer handwerklicher Kunst und auch Fleiß verband. Rund 60 Opern und 600 Kirchen- und Kammermusikstücke hat er wohl geschrieben. Es gibt einen Brief, in dem Mayr seinen Verleger Ricordi wissen lies, er wolle seine Kirchenmusiken nicht gedruckt
sehen. Treppenwitz der Musikgeschichte: Eben jener Verlag, Ricordi in München, hat 2012 mit der Internationalen Simon Mayr-Gesellschaft, der Stadt Ingolstadt sowie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt einen Kooperationsvertrag geschlossen, der die „quellenkritische Gesamtausgabe der Werke Mayrs“ vereinbart.

Giovanni Simone Mayr,  der nie mehr in seine Heimat zurückkehrte und ein Angebot Napoleons, als Operndirektor nach Paris zu kommen, ausschlug, erarbeitete sich den Ruf des „Vaters der italienischen Oper“ und muss als einer der bedeutendsten Komponisten dieser Gattung im frühen 19. Jahrhundert bezeichnet werden.

„Papa Mayr“

In gewisser Weise verdankt sich dieser Ruhm auch der Tatsache, dass Mayr als Kind seiner Zeit ein  Mann zwischen den Welten war. Nicht nur war er ebenso sehr Deutscher wie Italiener, katholisch geformt und klassisch gebildet. Er vereinte Frömmigkeit und Aufklärung, was sich schon an der Wahl klassischer antiker Stoffe für seine Werke zeigt. Mayr war einer, „der Glaube und Bildung zu verbinden trachtete, an das Gutwerden des Menschen durch Erkenntnis glaubte“, so sieht es auch der Präsident der Internationalen Simon Mayr-Gesellschaft e. V. Ingolstadt, Rainer Rupp. So erkläre sich auch Mayrs Einsatz für die musikalische Bildung armer, aber begabter Kinder. Der große Gaetano Donizetti (1797-1848) profitierte von diesem Denken und der leidenschaftlichen Begabung Mayrs als Musiklehrer. Er genoss die besondere musikalische Förderung, wie die Musikgeschichte weiß, mit beträchtlichem Erfolg, und verehrte Mayr zeitlebens wie einen Vater. Donizettis Grab, befindet sich übrigens neben dem Mayrs – der starb 1845, 85-jährig und erblindet, Guiseppe Verdi hielt die Totenrede – in der Basilika Santa Maria Maggiore in Bergamo. Die „Vaterfigur“ Mayr ist auch aufs Schönste belegt in einer Äußerung Rossinis, der schrieb „Die Komponisten unserer Tage sollen die Opern unseres Papa Mayr studieren“.

Mayr-Renaissance

Dann aber war es erst einmal eine lange Zeit sehr still um das Werk des Mendorfer Meisters. Zu seinem 200. Geburtstag 1963 machte das Münchner Rundfunkorchester mit der Aufführung der Oper „Medea in Corinto“ im Münchner Herkulessaal einen ersten Anlauf zur Rehabilitierung oder weiteren Verbreitung des Mayrschen Oeuvres. Bis auf das Patronat für eine Realschule in Riedenburg ereignete sich bezüglich Popularisierung zunächst nichts. Es sollte bis in die 90er-Jahre dauern bis dieses Unterfangen klarere Formen annahm. 1995, im Jahr von Mayrs 150. Todestag, wurde in Ingolstadt die Simon Mayr Gesellschaft gegründet, seit 2000 gibt es ein regelmäßig erscheinendes Mitteilungsblatt für die heute rund 290 Mitglieder, 15 Prozent kommen aus dem Ausland. Einen Simon Mayr-Freundeskreis gibt es in Altmannstein seit 1987, seit 2002 trägt die städtische Sing- und Musikschule Ingolstadt den Namen des Komponisten. 2007 entsteht die Simon Mayr-Forschungsstelle an der Katholischen Uni, nachdem schon seit Anfang der neunziger Jahre wissenschaftliche Symposien und Ausstellungen zu Mayr organisiert wurden, Fachpublikationen erschienen und natürlich Aufführungen stattfanden. Zeitweise arbeitete in der Region auch eine Simon Mayr Kultur GmbH an der „Mayr-Renaissance“ mit. Dass Mayrs Geburtsort die Bedeutung seines großen Sohnes längst erkannt und gewürdigt hat, muss nicht eigens erwähnt werden.

In den vergangenen Jahren folgte dann auch eine Entdeckung alt-neuer Noten auf die nächste Premiere, Wieder- oder Neuaufführung; viele Tonträger und Partituren erschienen. Und Mayrs Messen wurden wieder dort gehört, wo sie hingehören, in den Rahmen der Liturgie. Etwa eben, am Pfingstsonntag im Ingolstädter Münster, wo die „Missa Es-Dur für Soli, Chor, Bläser und Orgel“ als Ergebnis eines Mitmachprojektes für sangesfreudige und bildungsfähige Stimmen zur Aufführung kam. Das ist, wie man so sagt, große Oper und fordert die Hör- und Feiergewohnheiten der Gottesdienstbesucher heraus.                

Michael Heberling, Kirchenzeitung Nr. 23 vom 9. Juni 2013