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Der Mensch steht im Mittelpunkt

Die diesjährige Woche für das Leben wurde im Klinikum in Ingolstadt eröffnet

Eine Diskussion, deren Podium prominent mit Vertretern aus Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und dem Gesundheitswesen besetzt war, stand nach dem ökumenischen Wortgottesdienst (s. gelber Kasten r.) zu Beginn der Woche für das Leben im Bistum Eichstätt. Die Moderatorin des Podiums, die Redakteurin des Bayerischen Rundfunks Jeanne Turczynski, führte mit dem Ergebnis einer Umfrage in das Thema ein, dass sich die Deutschen zwar den mentalen Wandel wünschten, aber nur neun Prozent daran glaubten, dass sich die Gesellschaft ändern werde. Mit der Frage an den Eichstätter Bischof Dr. Gregor Maria Hanke OSB, was konkret die Kirche für den mentalen Wandel tun könne, eröffnete die Journalistin die Gesprächsrunde. Bischof Hanke betonte die Bedeutung der inneren Werte, wie Solidarität, Nächstenliebe oder Leben aus dem Glauben. Sie würden zwar nicht zum Bruttosozialprodukt beitragen, dennoch sorgen gerade sie für ein „Mehr an Lebensqualität“. „Auch müssen wir als Kirche den ganzen Menschen ansprechen und immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass ein Mensch auf der Suche, sich entwickeln und entfalten und natürlich auch Fehler machen darf.“ Zur pessimistischen Einschätzung der Deutschen in Bezug auf Änderung der Gesellschaft meinte der Bischof, dass Mitteleuropa in der Gefahr sei, ein Gebiet der Resignation zu werden.

Das sah der evangelisch-lutherische Regionalbischof anders, der der Resignation keinesfalls das Wort reden wollte. Allerdings räumte er ein, dass es heute bereits in früher Kindheit schwierig sei, alles zu prüfen und dann das Beste zu behalten. Er untermauert dies mit Zahlen aus dem Grundschulbereich. So würden Kinder der ersten Klasse 42 Mal mit Nachfragen den Unterricht unterbrechen. In der vierten Klasse hätte sich das auf zwei Fragen reduziert.

Prof. Dr. Thomas Doyé, Vizepräsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Ingolstadt, sprach sich dagegen aus, alle paar Jahre das Schulsystem zu wechseln. Ja man versündige sich gar an der nächsten Generation, wenn man die Schule als ständiges, offenes Experimentierfeld betrachte. Bildung solle, so der Mann der Hochschule, auch dem Mit- und Füreinander dienen, doch werde zur Zeit an Schulen und Hochschulen mehr das Einzelkämpfertum gefördert.

Erfolg habe nur der, der den Menschen – Mitarbeiter wie Kunden – und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stelle, betonte Dr. Frank Dreves, Produktionsvorstand der Audi AG. „Wir überfordern unsere Mitarbeiter nicht, unterfordern sie aber genauso wenig, wir bilden sie weiter und wir bieten ihnen einen Gesundheitsrahmen.“ In seinem Haus wüsste man, dass ein Mitarbeiter, dem die Arbeit Spaß mache, der beste sei. „Dass wir nicht alles falsch gemacht haben, beweisen sowohl die verschiedenen Rankings, wie auch das Glitzern in den Augen der Mitarbeiter, wenn sie über ihre Arbeit sprechen.“ Audi sei bei den jungen Ingenieuren der begehrteste und beliebteste Arbeitgeber. „Ich gebe offen zu, das macht uns stolz“, so der Manager.

Kritische Anmerkungen kamen von Dr. Elzbieta Szczeback, der Pressesprecherin des Down-Syndrom InfoCenters. Sie mahnte zum einen den Mangel an Geld und Personal als scheinbar unüberwindbare Hürden in Punkto Inklusion an. Dabei möchte sie Inklusion als Erkennen und Anerkennen der Vielfalt des Lebens verstanden wissen. Zum Anderen rief sie im Sinne der Menschen mit Behinderung zu einer „Entschleunigung“ unserer Gesellschaft auf. Dazu könnten gerade Menschen mit einer Behinderung beitragen.

Auch der Ärztliche Direktor des Klinikums Ingolstadt, Prof. Dr. Günter Ochs, bestätigte, dass es darum gehe, für jeden Menschen eine richtige Aufgabe zu finden. Das sei im Klinikum Ingolstadt ganz gut gelungen. Hier wären acht Prozent der Arbeitnehmer Menschen mit Behinderung. Denn jeder habe Talente und Fähigkeiten und nicht jeder sei für alles geeignet. „In diesem Sinne ist jeder von uns ein Behinderter“, so Ochs. „Wenn es zum Beispiel um einen 100 Meter Sprint geht, bin ich persönlich total behindert!“

Motivation und Wirtschaftlichkeit seien die beiden Pole bei der Arbeit im Krankenhaus. Er wisse, dass bei Ärzten wie Krankenschwestern Menschen zu helfen die primäre Motivation sei. Das finde bisweilen seine Grenzen in der Wirtschaftlichkeitsrechnung. Aber sich nicht rechnen bedeute keineswegs, dass es unterlassen werde. Ein gutes Beispiel hierfür sei die Palliativstation hier im Haus – die wirtschaftlich nicht sinnvoll sei, aber trotzdem nicht dichtgemacht werde. Die Nachfrage aus dem Publikum, warum teure Autos gesellschaftlich Prestige bringen, die sinnvolle Arbeit von Hospizen aber nicht finanzierbar sei, beantwortete der Ärztliche Direktor, dass dies im gesellschaftlichen Konsens begründet sei. Momentan stünden die Zeichen der Zeit – leider – noch nicht für die Hospizarbeit.

Von Krankenhäusern in kirchlicher Trägerschaft wünsche sich der Eichstätter Bischof „etwas mehr“. Wenn das Mehr an Liebe, an menschlicher Begegnung in solchen Häusern nicht mehr möglich ist, wenn wir die Krankenhäuser nicht mehr im christlichen Sinn prägen können, dann brauchen wir sie nicht mehr“, so Hanke.

„Uns allen würde ein bisschen mehr Demut und Bescheidenheit gut tun“, merkte der katholische Oberhirte an. Denn nur ein Mensch der Grenzen anerkennt, werde sensibilisiert für die Grenzen des Anderen. Grenzerfahrung sei auch bereichernd. Das habe er bei der Umstellung der Nahrung in der Abtei Plankstetten am eigenen Körper gespürt, dass zum Beispiel Fasten den Geschmacksinn erhöhe. Von einer existenziellen Grenzerfahrung berichtete Regionalbischof Weiss, der vor zwei Jahren die Diagnose erhielt, dass er an Parkinson erkrankt sei. Sein behandelnder Arzt habe ihm den Rat gegeben, jetzt das Leben mehr als bisher zu genießen. „Ich bin glücklicher als vor zwei Jahren“, betonte Weiss, glaubhaft.

Veranstalter der Auftaktveranstaltung zur „Woche für das Leben“ waren das „Netzwerk Leben des Bistums Eichstätt“ und das „Gesundheitsnetzwerk Leben Ingolstadt“. Weitere Informationen unter „bistum-eichstaett.de/woche-fuer-das-leben“.                      

Klaus, Kreitmeir, Kirchenzeitung Nr. 16 vom 21. April 2013