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Grundworte zur Exerzitienspiritualität

"Aus der Mitte leben"

Teil 6: Die Freiheit, die ich meine ...

aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 26, 27. Juni 2004.

„Freiheit“ kann ganz Verschiedenes bedeuten: „Ich mache, worauf ich gerade Lust habe“. „Ich nehme mit, was ich bekommen kann.“ „Ich möchte die Welt entdecken.“ Frei sein bedeutet hier: möglichst viel unternehmen, das Leben ausschöpfen, mir viele Türen offen halten. Mancher will frei sein, wenn er sagt: „Ich lege mich nicht fest, wenn es nicht unbedingt sein muss.“

Exerzitien wollen den Menschen frei machen. Es ist eine ganz eigene Freiheit, die hier gemeint ist. Früher oder später stößt fast jeder Exerzitienteilnehmer darauf. Die Frage nach der Freiheit klingt an, wenn ein Mensch überlegt: Was ist meine Zukunft? Wie soll ich mich entscheiden? Was hat Gott mit mir vor?

Für den heiligen Ignatius von Loyola, den „Erfinder“ der Exerzitien, ist klar: Wirklich frei ist der Mensch erst dann, wenn er Gott die Führung überlässt. Und wie sehr er dazu schon bereit ist, zeigt sich für Ignatius daran, wie gleichmütig sich ein Mensch verhält. Wie er zu den Dingen steht, über die er verfügen kann. Wie offen er in seiner Lebensplanung auch für Überraschungen ist. Wie wenig er auf seine eigenen Pläne festgelegt ist. Ignatius nennt Beispiele in der Sprache seiner Zeit: „Wir sollen von unserer Seite Gesundheit nicht mehr verlangen als Krankheit, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Schmach, langes Leben nicht mehr als kurzes“, schreibt er. Das ist ein hoher Anspruch. Er soll das ganze Leben prägen. Ignatius erläutert seine Überzeugung so: „Einzig das sollen wir ersehnen und wählen, was uns mehr zum Ziel hinführt, auf das hin wir geschaffen sind“. Und dieses Ziel ist Gott. In allem darf ein Mensch Ihn suchen und finden.

Was mit dieser Haltung gemeint ist, lässt sich am besten im Bild der Waage beschreiben: Eine Waage besteht aus zwei Waagschalen. Sie symbolisieren zwei Möglichkeiten, die einem Menschen offen stehen. Wirklich frei ist ein Mensch dann, wenn er sich weder auf die eine noch die andere Seite neigen möchte. Er kann es Gott überlassen, welcher Seite Gott den Ausschlag gibt. Eine junge Frau hat also zum Beispiel zu dieser Freiheit gefunden, wenn sie sowohl dafür offen ist, in ein Kloster einzutreten als auch dafür, in einer Ehe als Christin leben zu wollen. Je nachdem, was Gott von ihr möchte. Ein 70jähriger Mann lebt diese Einstellung, wenn er sagen kann: „Ich möchte noch einige gute Jahre leben. Aber wenn Gott es anders will, habe ich auch keine Angst. Ich kann morgen sterben oder erst in 10 Jahren. Bei Gott bin ich geborgen.“ Aber auch im Kleinen und Alltäglichen kann das Bild von der Waage helfen. Der Sommerurlaub der Familie, die Frage, ob die Tochter ein Instrument lernen soll, das nächste Auto, das gekauft werden muss – all das kann ich ausschließlich im Blick auf mich selbst, auf meine Wünsche und auf das, was die Nachbarschaft dazu sagen wird entscheiden. Oder ich kann versuchen, etwas Abstand zu gewinnen und mich fragen: Worauf kommt es eigentlich an?

Zu einer solchen Freiheit zu finden, ist nicht selbstverständlich. Sie kann aber eingeübt werden. Exerzitien sind dafür eine Chance. Das kann ganz unterschiedlich verlaufen. Ein Teilnehmer erfährt: „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ (Ps 18,30). Er gibt mir Schwung für mein Leben. Da kann ich Altes zurück lassen. Ein anderer hat schon viel mitgemacht. Er hat Schweres tragen müssen. Nach Jahren der Trauer spürt er in Exerzitien auf einmal: Gott ist mir trotzdem nahe. Er möchte mir etwas sagen. Und das lässt ihn staunen. Er kann neu daran glauben, dass Gott es gut mit ihm meint. Und ein dritter Teilnehmer merkt in den Exerzitien: Manches ist gar nicht so wichtig als ich bisher gedacht habe. Ich bin von Gott geliebt! Und das zählt.

Auch für einen Exerzitienteilnehmer gilt: Das Leben bietet verschiedene Möglichkeiten. Und die sind niemandem gleichgültig. Aber wer Gottes Liebe verkostet hat, für den werden sie mehr und mehr gleichwertig. Die Entscheidung darf Gott treffen. Denn was vor Gott zählt, macht frei.

Pfr. Dr. Michael Kleinert

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