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Grundworte zur Exerzitienspiritualität

"Aus der Mitte leben"

Teil 10: Vertraut sein

aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 48, 28. November 2004.

„Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna“, heißt ein Buch, in dem die kleine Anna ihre Gedanken über Gott und die Welt erzählt. Millionenfach wurde es gekauft. Zu „Mister Gott“ hat Anna einen direkten Draht. Auf kindliche Weise erzählt sie, was sie von Gott erfahren hat. Und das rührt an. „Mr. Gott wird mich bestimmt in den Himmel lassen“, sagt Anna, als sie im Sterben liegt. Der Leser spürt: Anna ist mit Gott vertraut. Sie weiß, von wem sie spricht.

Mit Gott vertraut zu sein, das war schon immer ein Wunsch der Menschen. Die Bibel bezeugt das. Mose steigt dafür ganz alleine auf den Berg. Der Prophet Elija erfährt Gott in der Wüste. Und auch Jesus zieht sich zurück. Immer wieder verbringt er den frühen Morgen oder die ganze Nacht im Gebet. Es braucht geschützte Zeiten, um mit Gott ins Gespräch zu kommen. Wer mit Ihm vertraut werden will, muss Ihm begegnen können. Dazu braucht es Gelegenheiten, um zu erzählen und hören zu können. Das kann auf ganz verschiedene Weise geschehen. Der eine reserviert sich zu Hause eine stille Zeit am Morgen. Ein anderer hält auf dem Weg zur Arbeit regelmäßig an einer Kirche, an der er vorbei fährt. Und ein dritter versucht, auf einem besinnlichen Spaziergang mit Gott in Kontakt zu kommen. Auch Exerzitien sind dafür gut. Die Begegnung mit Gott steht hier im Mittelpunkt. Bis zu vier Mal am Tag nehmen sich die Teilnehmer Zeit, um vor Gott da zu sein. Das geschieht über mehrere Tage. So kann eine Beziehung wachsen und gepflegt werden. Denn wie für einen Menschen braucht es auch für Gott Zeit und Raum. In den Exerzitien geht das oftmals leichter.

Die Chancen mit Gott vertraut zu werden, sind auch deshalb groß, weil in Exerzitien Gottes Wort ein fester Bestandteil ist. Immer wieder nehmen die Teilnehmer einen Text aus der Bibel zur Hand. Und im Beten dürfen sie spüren: Sein Wort ist lebendig. Es hat auch heute noch Kraft. Es erreicht mein Herz. „Ich habe mich richtig angesprochen gefühlt“, sagte ein Mann im Rückblick über seine Erfahrung. „Ich wusste gar nicht, dass so etwas in der Bibel steht“, staunte eine Frau. „Ich habe mich im Zöllner Zachäus wieder gefunden. So bin ich Jesus begegnet“, erzählte ein junger Mann im Begleitgespräch. Wer so etwas erleben darf, der ahnt: Gott meint mich ganz persönlich. Er sucht den Kontakt zu mir. Er möchte mit mir verbunden sein. Hier beginnt Vertrautheit zu wachsen. Wer sich von Gottes Wort angesprochen weiß, der kann Ihm auch leichter antworten. Mit Gott zu reden, scheint auf einmal nicht mehr unmöglich. Deshalb steht am Ende jeder Gebetszeit ein Zwiegespräch mit Gott. Was den Einzelnen gerade bewegt, darf er Gott erzählen. Er kann Ihm danken oder Ihn bitten, Ihn fragen oder Ihm seine Sorgen sagen. Immer wieder berichten Teilnehmer, wie viel sich in der Beziehung zu Gott dadurch verändert.

Fester Bestandteil eines Exerzitienkurses ist auch der Tagesrückblick. Am Abend schaut jeder Teilnehmer noch einmal auf seinen Tag. Wie einen Film lässt er vor seinem inneren Auge ablaufen, was alles gewesen ist. Und er bittet Gott, mit ihm auf diesen Tag zu blicken. Das Schöne eines Tages darf noch einmal erspürt und verkostet werden. Und auch was an diesem Tag schwierig war, sieht in Gottes Licht vielleicht noch einmal ganz anders aus. Mancher staunt am Abend, wenn er merkt: Auch da war Gott dabei. Meine Schwierigkeiten sind Gott nicht fremd. Dann wird auf einmal verständlich, warum der Beter in der Bibel auch über Not und Angst mit Gott sprechen kann. Selbst die eigenen Fehler müssen vor diesem Gott nicht versteckt werden. Gott wendet sich nicht ab. Er geht alle Wege mit. Ganz gleich, was geschieht. Das gilt für jeden Tag. Das zählt im ganzen Leben. Die Bibel sagt das so: „Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen“ (Ps 139,3). Für manchen ist das eine richtige Überraschung! Gott ist vertraut mit mir. Und ich darf es auch mit Ihm sein. Dazu wollen die Exerzitien beitragen.

Pfr. Dr. Michael Kleinert

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