Zum Inhalt springen

Grundworte zur Exerzitienspiritualität

"Aus der Mitte leben"

Teil 1: Alles beginnt mit der Sehnsucht...

aus: Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, Nr. 4, 25. Januar 2004, Seite 13.

Exerzitien liegen im Trend. Mehr als 250.000 Menschen nehmen pro Jahr in Deutschland an Exerzitien teil. Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist ganz sicher - die Sehnsucht. Am Beginn von Exerzitien drücken das die Teilnehmer unterschiedlich aus: "Ich möchte endlich wieder einmal Zeit für mich haben", sagt eine Frau. Sie arbeitet als Angestellte im Büro und hat zu hause zwei jugendliche Töchter. "Ich suche die Stille", erzählt ein Mann. "Sonst geht es bei mir immer so furchtbar hektisch zu". Und eine ältere Dame meint: "Mir haben Exerzitien immer gut getan. Gott hat mich schon so oft beschenkt. Hoffentlich ist das jetzt wieder so".

"Endlich", "ich suche", "hoffentlich". So drücken Menschen heute aus, dass sie Sehnsucht haben. Sie wünschen sich, zu sich selbst zu finden. Sie erhoffen sich, zur Ruhe zu kommen. Sie möchten an den guten Erfahrungen anknüpfen, die sie schon einmal gemacht haben. Und viele haben den Wunsch, in den Exerzitien etwas von Gott zu erfahren.

Die Sehnsucht steht oft am Anfang von Exerzitien. Die Teilnehmer kommen mit ihren leisen Wünschen, ihren stillen Erwartungen. Und das ist gut so. Denn immer schon war es die Überzeugung der Christen, dass Gott allein die Sehnsucht des Menschen stillen kann. "Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir", betet der heilige Augustinus. Und Augustinus weiß, wovon er spricht. Viele Jahre seines Lebens war er auf der Suche.

Auch die Bibel spricht von der Sehnsucht. In den Psalmen gibt es ein anschauliches Bild: Wie ein durstiger Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so "lechzt meine Seele, Gott, nach dir" (Ps 42,2). Der Psalmist ahnt: Nur wenn er etwas von Gott erfährt, wird seine Sehnsucht gestillt. Für den Apostel Paulus wartet die ganze Schöpfung sehnsüchtig. Und der Mensch wartet mit ihr. Paulus geht aber noch einen Schritt weiter: Die Sehnsucht, die der Mensch in sich wahrnimmt, ist ein Weg zu Gott! Sie hilft dem Suchenden, sich von Gottes Geist führen zu lassen. Das "Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können" (Röm 8,26) ist die Art und Weise, wie der Heilige Geist für uns eintritt. Allein wäre der Mensch zu schwach. Er würde aufgeben. Den Weg zu Gott vielleicht verlassen. Oder stehen bleiben. Wenn er nicht tief in sich eine Sehnsucht spüren würde. Durch sie führt Gottes Geist den Menschen weiter. Die Sehnsucht kommt also von Gott. Er legt sie in den Menschen hinein. Es ist seine behutsame Weise, den Suchenden zu sich zu führen.

Es ist schön, in der Bibel von der Sehnsucht zu lesen. Noch schöner ist es, das auch wirklich erfahren zu dürfen. Dafür sind die Exerzitien da. Sie beziehen die Sehnsucht des Menschen ausdrücklich mit ein. Denn zu Beginn einer jeden Gebetszeit darf sich der Einzelne fragen: Was möchte ich von Gott erbitten? Welche Sehnsucht trage ich in mir? Wer dabei in der Stille tief in sich selbst hinein lauscht, wird manchmal ganz überraschend von Gottes Geist geführt. So wie es schon Paulus geschrieben hat: "Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein" (Röm 8,26). Und ein zweites lässt sich in den Exerzitien erfahren: Auch Gott hat Sehnsucht. Er sehnt sich nach dem Menschen, den er erschaffen hat: In meinen Augen bist du wertvoll und teuer, weil ich dich liebe (vgl. Jes 43,4). Diese Zusage aus dem Buch Jesaja hat schon bei manchem Exerzitienteilnehmer ein freudiges Herzklopfen hervor gerufen. "Wenn ich das doch schon früher gewusst hätte ...", sagte einer, der mit dieser Stelle ins Gebet ging.

"Was soll ich dir tun" (Mk 10,51)? So hat Jesus damals die Menschen nach ihrer tiefsten Sehnsucht gefragt. Wer sich an Jesus wandte, der wurde nicht enttäuscht. In Exerzitien dürfen die Teilnehmer immer wieder staunend erleben: Diese Frage stellt Jesus auch heute noch. Wer deshalb aus Sehnsucht in Exerzitien kommt, ist auf einem guten Weg. In der Stille und im Gebet darf er erfahren: Alles beginnt mit der Sehnsucht...

Michael Kleinert

Exerzitienreferat Bistum Eichstätt

zurück zur Übersicht