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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Willibaldsonntag, 6. Juli 2008, im Eichstätter Dom

 
Dank für unsere Stadtgeschichte – Blick auf die Missionsgeschichte

In diesen Wochen und Tagen feiern wir in Eichstätt ein für das Selbstverständnis der Stadt bedeutendes Jubiläum. Wir blicken zurück auf 1100 Jahre Markt-, Münz-, Zoll- und Befestigungsrecht. Vor mehr als 1100 Jahren muss es in der einst kleinen Klostersiedlung um Domkirche und Bischofskloster zu einem wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklungsschub gekommen sein hin zu einem lebendigen und starken Gemeinwesen. Vielleicht würden wir heute ein solches Phänomen als geglückte Kommunalentwicklung bezeichnen, wofür die moderne Politik mancherlei Förderprogramme entwickelt hat.

Wir haben Grund, für diese Entwicklung wie auch für die Geschichte der Stadt Eichstätt Gott Dank zu sagen. In unseren Dank soll auch die Freude über die wunderbare Lage und die architektonische Schönheit unserer Stadt eingehen, in der wir leben dürfen. Ist doch die Architektur der Stadt einer der besten Botschafter ihrer Geschichte. Vor allem aber umschließt unser Dank die Menschen, die vor uns an diesem Ort lebten und wirkten: nur wer auf den Schultern früherer Generationen steht, kann weiter schauen als die Menschen vor ihm. Das dankbare Wissen darum, dass wir auf den Schultern derer vor uns stehen, befreit uns von Selbstherrlichkeit und Größenwahn. Denn das heute Erreichte ist nicht allein unsere Leistung, wir teilen es mit denen vor uns. Somit deuten wir die Geschichte unserer Stadt mit ihren hellen und dunklen Seiten als Geschenk an uns.

 
Die Synthese von Glaube und Humanismus in der christlichen Mission

Es ist ein schönes Zeichen, die Dankfeier heute am Willibaldsonntag zu begehen. Der Blick in die Anfänge der Stadtgeschichte Eichstätts führt uns in die Geschichte der christlichen Mission. Unsere Stadt und ihr Weg durch die Jahrhunderte wären ohne den missionarischen Geist des Christentums nicht denkbar. Historisch greifbar wird Eichstätt durch unseren ersten Bischof Willibald und sein Missionswerk in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Willibald und die Geschichte unseres Ortes veranschaulichen, wie die christliche Mission auch darauf angelegt ist, eine Synthese aus Glaube und Kultur hervorzubringen. Der christliche Glaube gab und gibt unserer Heimat gleichsam eine Seele.

Trotz mancher Fehlinterpretationen des Evangeliums und menschlicher Irrungen, die in der Geschichte des Christentums und seiner Mission durchaus feststellbar sind, brachte die Verkündigung der Botschaft Jesu durch die Missionare einen christlichen Humanismus hervor, förderte ein Menschenbild, das uns bis heute und hoffentlich auch in Zukunft prägt. Menschenwürde und Menschenrechte, Fürsorge für die seelischen und leiblichen Nöte des Menschen sind Früchte des Glaubens an die Person Jesus Christus.

Gottes Sohn ist für uns Mensch geworden und hat uns in seinem Menschsein auch ein neues Menschenbild erschlossen. Da Gott einer von uns Menschen geworden ist, hat der Mensch Anteil an der Würde Gottes. Die Menschwerdung des Sohnes offenbart die Würde des Menschen, offenbart den Menschen als Bild, als Ikone Gottes in der Schöpfung. Weil der Auferstandene sein Menschsein in die Herrlichkeit des Vaters mitgenommen hat, darf der sterbliche Mensch seither über den Tod hinaus Zukunft bei Gott erhoffen.

 
Eine lebenswerte Kultur braucht den Glauben an den Mensch gewordenen Gott

Liebe Schwestern und Brüder, der Mensch braucht Hoffnung auf Zukunft. Zukunft generiert Lebenskraft. Wenn sich der Mensch nach der Zukunft bei Gott ausstreckt, erhalten die irdischen Werte und Güter ihren rechten Stellenwert, dann kann sich in der Gesellschaft eine Ordnung in Liebe und Gerechtigkeit entfalten.

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich gerade in Ländern mit einer christlichen Glaubensgeschichte die Idee der Menschenwürde und Menschenrechte entwickelt hat und von dort in der Gemeinschaft der Völker Aufnahme finden konnte. Die Welt bleibt daher auf gelebten christlichen Glauben angewiesen, wenn Menschenwürde und Menschenrechte Bestand haben sollen. Und mag der christliche Glaube von einer noch so kleinen Zahl gelebt werden, die Welt braucht sie.

Wenn hingegen der Glaube an den menschgewordenen Gottessohn schwindet, wenn sich Kirche und Gläubige nicht mehr als Zeugen dieses Glaubens erweisen sollten, verlieren Menschenwürde und Menschenrechte, die Grundkoordinaten unseres Zusammenlebens, einen wesentlichen Schutz.

Wir Christen messen daher gerade hierzulande religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit, besonders dem Kreuz, eine hohe Bedeutung zu, wissen wir doch, dass unsere Kultur weithin von den Früchten des Glaubens an Kreuz und Auferstehung Jesu geformt wurde. Jedes Kreuz hat Wegweiserfunktion. Wer solche Symbole im Namen der weltanschaulichen Neutralität des Staates und im Namen der Gleichstellung aller Religionen aus dem öffentlichen Leben unseres Landes verbannen will, muss wissen, dass er gegen die Wurzeln des Baumes vorgeht, an dessen Früchten er immer noch partizipiert.

Nicht die Neutralität des Staates oder die Gleichstellung der Religionen wird das Ergebnis solcher Maßnahmen sein, sondern allenfalls ein wachsender Indifferentismus in der Gesellschaft, der zur Korrosion der Werte führt. Eine Gesellschaft, die ihr Zusammenleben an Werten orientiert, kann auf religio, auf Rückbindung an Gott nicht verzichten, es sei denn man begnügt sich mit sogenannten Werten, die nicht mehr sind als augenblickliche Mehrheitsmeinungen.

 
Die Krise des Glaubens missionarisch leben

Liebe Schwestern und Brüder, als Christen sollten wir uns nicht paralysieren lassen vom Rückgang des Glaubens in unserer Gesellschaft. Wir Christen dürfen darin den Ruf der Zeit erkennen, unseren Glauben in der Öffentlichkeit stärker ins Wort bringen und missionarisch zu sein. Zu glauben ist kein Indiz intellektueller Schwäche. Glauben macht stark!

Vor wenigen Tagen hat Papst Benedikt XVI. das Paulus-Jahr eröffnet und uns an die missionarische Dimension der Kirche erinnert.

Es war der Völkerapostel Paulus, durch den die junge Kirche ihre missionarische Sendung verstehen und ergreifen lernte, die ihr von Jesus eingestiftet war. Paulus, der Exeget Jesu, so hat ihn kürzlich ein bedeutender Bibelwissenschaftler (Rudolf Pesch) bezeichnet. Sein exegetisches Werk bestand nicht nur aus Büchern, sondern vor allem auch aus unzähligen Begegnungen mit Menschen. Durch seine Person verkündete er die Botschaft Jesu und führte die Kirche in eine neue Weite.

Dieser große Missionar zeigte auf, dass Jesu Menschwerdung und Tod von universaler Heilsbedeutung sind und sich nicht allein an das jüdische Volk richten. Allen Menschen, so verkündete Paulus, eröffnet Jesu Tod die Versöhnung mit Gott, Juden wie Heiden, Beschnittenen wie Unbeschnittenen. Der Glaube an den Auferstandenen schenkt den Menschen die universale Geschwisterlichkeit. In-Christus-sein nennt es Paulus. Wenn wir in Christus sind, werden wir alle vor Gott zu Schwestern und Brüdern. So hat in Jesu Tod und Auferstehung die neue Schöpfung bereits begonnen, zu der Gott alle Menschen eingeladen hat.

Liebe Schwestern und Brüder! Weil sich Tod und Auferstehung Jesu an alle Menschen richtet, weiß sich die Kirche seit den Tagen des Paulus verpflichtet zu evangelisieren (Evangelii nuntiandi, 14). Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, sie ist begierig zu sehen, dass das Evangelium zu allen Menschen gelangt, so könnte man im Geist des Apostel Paulus sprechen.

Die Kirche ist missionarisch, weil die Sache Jesu missionarisch ist. Wie Christus Gesandter des Heilswillens Gottes ist, so haben seine Jünger, die Kirche, die Kunde vom Heilswillen Gottes allen Menschen anzubieten. Kirche eröffnet in der Welt den Lebensraum Gottes, den Raum für Hoffnung und Zukunft, die der Mensch in dieser Form sonst nirgendwo findet.

Liebe Schwestern und Brüder, die Kirche ist also keine Anstalt zur Verbesserung der Tugenden im gesellschaftlichen Miteinander, sie dient auch nicht als Anbieter einer Lebensphilosophie im Dienste einer guten Psychohygiene, sie versteht sich nicht als Erziehungsanstalt der Menschheit. Die Kirche ist der Ort, an dem das Feuer der Beziehung und der Begegnung mit Jesus Christus, dem Auferstandenen, zu brennen hat. „Brannte uns nicht das Herz,“ (Lk 24,32) so sprachen die beiden Emmausjünger nach der Begegnung mit dem Auferstandenen.

Was der Apostel Paulus im Großen wirkte, das führte der hl. Willibald, unser Diözesanpatron, in unserer Region fort. In seiner Person verbanden sich Kontemplation und Aktion, Innerlichkeit und Weltzugewandtheit, zwei tragende Säulen für jedes missionarische Engagement. So vermochte er das Feuer der Begegnung mit Christus in vielen Menschen in unserer Heimat zu entzünden. Dieses Feuer soll weiter brennen, daher muss die Kirche von Eichstätt missionarisch bleiben.

Der Theologe Karl Rahner schrieb im Jahre 1972: „Die Möglichkeit, aus einem unchristlich gewordenen Milieu neue Christen zu gewinnen, ist der einzig lebendige und überzeugende Beweis dafür, dass das Christentum auch heute noch eine wirkliche Zukunftschance hat. … Die missionarische Offensive … ist die einzig auf die Dauer Erfolg verheißende Defensive zur Bewahrung des alten Restebestandes aus der Vergangenheit des abendländischen Christentums.“ (Karl Rahner: Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance. In: Kirche der kleinen Herde, 1972)

 
Unsere Mission: Pfarreien und Verbände als geistliche Gemeinschaften

Liebe Schwestern und Brüder! Ich lade ein, darüber nachzudenken, wie wir dem Auftrag Jesu und dem Erbe des Paulus bzw. unseres Diözesanpatrons entsprechen, heute missionarisch Kirche zu sein. Nachzudenken darüber, wie unsere Pfarreien und Verbände noch mehr Räume der Begegnung mit Christus und untereinander werden können.

Einige Kennzeichen einer missionarischen Kirche heute:
1) Geistliche Gemeinschaft: Missionarische Sendung baut auf Begegnung, braucht folglich geistliche Gemeinschaft! Müssten sich unsere Pfarreien nicht noch stärker als geistliche Gemeinschaften formieren und zumindest kleinen geistlichen Zellen Raum geben? Geistliche Gemeinschaft entsteht dort, wo sich Kontemplation und Aktion verbinden, wo Gottes- und Menschenbeziehung gelebt und mitgeteilt wird, wo man sich ausrichtet auf das gemeinsame Ziel des Glaubens durch Hören auf Gottes Wort und durch die Feier der Liturgie.

2) Annahme der Welt: Wie Gott in Christi Menschwerdung die Welt zunächst einmal ohne Wenn und Aber annahm, so hat der Christ auf die Welt und ihre Nöte zuzugehen. Diese positive Offenheit ist Zeugnis für unsere und Jesu Sendung in die Welt. Jeder Getaufte hat teil an der Sendung. Das Gegenteil wäre eine Getto-Mentalität und Absonderung, die aber nicht der Sendung Jesu entspricht.

3) Die menschliche Begegnung: Die Weitergabe des Glaubens bedarf des Mediums der Begegnung, die Herz und Geist anrührt. In unseren Begegnungen sollen die persönliche Beziehung zu Christus, die Kraft des Gotteswortes und die Gegenwart Christi spürbar werden. Kurz gefasst: Ich habe dem Credo des Glaubens mein Gesicht und mein Herz zu geben. Der Glaube darf nicht zum Regenmantel degenerieren, der nur Verwendung findet, wenn Nässe droht. Die Begegnungen mit mir sollen immer auch Begegnungen mit meinem gelebten Glauben sein. Gebt dem Glauben an Jesus Christus Euer Gesicht und Euer Herz!

 
Amen.