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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB zum Jahresschluss 2013 im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung. Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden. Danach wurde er, Jesus, in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes, so der Evangelist Markus. Die Verkündigung des Evangeliums und seine Annahme im Glauben ist gemäß der soeben vernommenen Evangelienlesung das Anliegen Christi, an dem er sozusagen vom Himmel her Anteil nimmt. Denn unmittelbar vor seiner Himmelfahrt legte der Auferstandene den Jüngern den Auftrag zur Evangelisierung als seine letzten Worte ans Herz.

Christus und das durch ihn geschenkte Heil in der ganzen Welt zu verkünden, zum Glauben an den Auferstandenen einzuladen, auf alle Menschen, auf die ganze Welt zuzugehen, soll ein Kennzeichen der Jünger des Herrn auch heute sein. In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium rüttelt uns Papst Franziskus für diesen Auftrag wach und ruft uns auf, „hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen“ (Nr.20; ebenso Nr. 46).

Boten Christi überbringen keine fremde Nachricht, sondern stets die Botschaft, für die sie mit ihrem Leben stehen. Deshalb bedürfen sie, bedürfen wir, immer wieder der Vergewisserung und Vertiefung des eigenen Glaubens. Dazu braucht es die stetige Selbstevangelisierung. Dem sollte das noch von Papst Benedikt ausgerufene Jahr des Glaubens dienen, das Papst Franziskus mit dem Christkönigssonntag beendet hatte. Was soll solch ein Themenjahr, mögen manche gefragt haben. Glauben ist doch nicht die Aufgabe eines bestimmten Jahres.

Jesus selbst hat sich der Methode bedient, die Jünger zur Selbstvergewisserung und zur Vertiefung der Auskunftsfähigkeit anzuleiten. So überliefern die drei synoptischen Evangelien Mt, Mk und Lk wie Jesus seine Jünger danach fragt: Welche Meinung haben die Leute über mich? Wer bin ich in den Augen der Öffentlichkeit? Die Jünger trugen ihm die Meinungsvielfalt vor, die damals schon über ihn existierte. Doch wollte Jesus keine Mitläufer mit der öffentlichen Meinung. Wirklich wichtig war ihm, was seine Jünger von ihm hielten. Petrus antwortete für alle mit dem Bekenntnis: Du bist der Christus. Vergewisserung über die Person Christi und Sprachfähigkeit im Glauben waren auch Ziele des Glaubensjahres. Die Jünger sollen auf dem Weg hin zu den Rändern der Welt Auskunft geben können von der Hoffnung, die sie selbst trägt.

In vielen Impulsen haben uns Papst Benedikt und Papst Franziskus nahe gebracht, dass christlicher Glaube aus der Beziehung und Begegnung mit Christus lebt und wächst. Der Glaube der Jünger ist Frucht des gelebten Mitseins mit dem Herrn und mit der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder im Herrn. Glaube wächst, wo er geteilt, mitgeteilt wird.

Liebe Schwestern und Brüder, in den Familien, in den Pfarreien und Verbänden, in geistlichen Gruppen sollen Kraftzellen des Glaubens entstehen. Wir müssen „Leben teilen“ und dem Herrn begegnen, um in der Lage zu sein, den Glauben an die Frohe Botschaft Christi weiterzugeben. Dieser Prozess der Weitergabe des Glaubens gleicht oftmals dem Wunder der Brotvermehrung. Der Herr nimmt das Wenige in seine Hände, das wir ihm bringen, er segnet es und beauftragt uns mit der Verteilung. Erst im Teilen mehrt sich Glaube in uns und in der Kirche.

Für die vielfältigen Formen an Weggemeinschaften des Glaubens im Bistum danke ich als Bischof. Ich danke den Familien, die dem Glauben und dem Gebet Raum geben, ich danke den geistlichen Initiativen in den Pfarreien, in den Verbänden und Bewegungen, den Gebetskreisen und Gesprächsgruppen, überhaupt den geistlichen Gemeinschaften, ich danke denen, die sich für die Not der Schwestern und Brüder einsetzen. Auch wenn die Zahl derer mitunter klein ist, die sich auf Wege gemeinsam gelebten Glaubens begeben, besteht kein Grund, sich entmutigen zu lassen. Der Herr hat uns im Bild vom Senfkorn ein Hoffnungszeichen geschenkt. Obwohl eines der kleinsten Samenkörner, vermag es dennoch einen großen Baum hervorzubringen. In unserer jährlichen Willibaldswoche mit ihren Wallfahrten und thematisch gestalteten Tagen dürfen die Glaubenspilger auf dem Weg des Glaubens auch die größere Gemeinschaft und Bestärkung erfahren. Danken möchte ich allen, die für die Willibaldswoche inhaltlich und organisatorisch Sorge tragen.

Wurde das Jahr des Glaubens von Papst Benedikt eröffnet, beschloss es Papst Franziskus. Der von Papst Benedikt am 11. Februar angekündigte Rücktritt war ein Paukenschlag nicht nur für uns Katholiken, sondern für die Weltöffentlichkeit. Papst Benedikt trug mit dieser Entscheidung seinen geschwundenen körperlichen Kräften Rechnung. Mehr noch: mit diesem Schritt offenbarte Papst Benedikt die Spiritualität seiner Amtsführung. Gesunde Selbstdistanz und zugleich starkes Gottvertrauen. Nicht der konkrete Papst ist Mittelpunkt des kirchlichen Lebens - Benedikt wollte nie ein Star sein – Der Papst ist Diener und damit ersetzbar. Christus ist Herr und Mitte der Kirche. Auf ihn, hat die Kirche zu schauen und zu vertrauen!

Papst Franziskus als Nachfolger Benedikts begeistert die Menschen durch seine lebensnahen geistlichen Impulse und durch seine Nähe zum Volk. Die Bildersprache, der er sich bei seinen Auftritten bedient, ist für den modernen Menschen ansprechend: Seine Natürlichkeit, seine spürbare innere Nähe zu den Kranken und Armen, seine Solidarität angesichts sozialer und humanitärer Nöte, wie sie etwa beim Besuch der Flüchtlinge auf Lampedusa eindrucksvoll sichtbar wurde. Was arm und armselig am Menschen ist, greift Papst Franziskus in seiner Verkündigung gerne auf und stellt es in das Licht des Evangeliums.

Im deutschsprachigen Raum erfahren allerdings seine Zeichen und seine Worte nicht selten das Schicksal eines Selbstbedienungsladens. Kirchenpolitische Vorinteressen werden durch Selektion seiner Worte bedient, nicht selten um einen scharfen Gegensatz zwischen ihm und seinem Vorgänger zu skizzieren. Doch sagen die holzschnittartig gezeichneten Gegensätze wenig über die tatsächlichen Inhalte der Botschaft des neuen Papstes Franziskus aus, wohl aber etwas über die hierzulande vorhandene Hörschwäche gegenüber der Verkündigung von Papst Benedikt. Die Schnittmengen zwischen Benedikt und Franziskus erscheinen bei genauer Betrachtung weit größer als es manch innerkirchlichen Kreisen lieb ist.

Nehmen wir das Thema Armut der Kirche und Kirche der Armen bei Papst Franziskus. Dies wird von manchen als Kontrast zum Vorgängerpapst gedeutet. Doch sollte man nicht die persönliche Bescheidenheit und Bedürfnislosigkeit übersehen, die auch Papst Benedikt auszeichnete. Er lebte Bescheidenheit in einer anderen Akzentuierung. In seiner Verkündigung warb auch er um einen einfachen und glaubwürdigen Lebensstil der Christen. So sagte er bereits zu Beginn seines Pontifikates: „Der Glaube ist keine Theorie, die man sich zu eigen macht oder auch zurückstellen kann. Er ist etwas sehr Konkretes: Er ist das Kriterium, das über unseren Lebensstil entscheidet.“ (Cor unum Kongress 2006)

Sehr deutlich warb er in der sog. Freiburger Rede für eine arme Kirche. Sein Plädoyer für die Entweltlichung der Kirche brachte ihm gerade in seinem Heimatland viel Unverständnis und Kopfschütteln ein, ja sogar die Kritik, er habe gegen die Intention des II. Vatikanums die Fanfare zum Rückzug aus der Welt geblasen. Wofür Papst Franziskus heute wirbt, das lautete bei Papst Benedikt damals in Freiburg so: „Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht … wird deutlicher sichtbar.“

Liebe Schwestern und Brüder, gebe Gott, dass der Beifall, den Papst Franziskus’ Botschaft von der armen Kirche erfährt, kein Indiz dafür ist, dass wir auch ihn nicht verstanden haben, sondern dass vielmehr das bereits von Benedikt formulierte Anliegen nun in seiner Heimat angekommen und angenommen ist.

Ein weiteres Beispiel für die Skizzierung eines scharfen Kontrasts zwischen beiden Pontifikaten sei angeführt. Papst Franziskus wies darauf hin, die Kirche sei nicht in erster Linie eine Moralanstalt, die Regeln setzt und überwacht, sondern sie ist Raum der Beziehung mit Christus. Seine Worte wurden medial nicht nur mit Beifall bedacht, sondern als neue Ausrichtung der Kirche und befreiende Botschaft gepriesen. Übersehen hat man, dass Papst Franziskus thematisch fortführte, was Papst Benedikt nicht müde wurde zu verkünden: dass der Glaube in erster Linie ein Beziehungsgeschehen mit Gott, mit Christus ist. Der Glaube darf nicht als riesiges Gepäckstück mit vielen schweren Einzelstücken aufgefasst werden, nicht als Moralismus. Und wörtlich: „Wenn wir uns einfangen lassen in diese Diskussionen, dann fixiert man die Kirche auf ein paar Ge- oder Verbote, wir stehen da als Moralisten mit ein paar etwas altmodischen Ansichten, und die eigentliche Größe des Glaubens erscheint gar nicht. Daher meine ich, diese Größe unseres Glaubens immer wieder herauszustellen, ist etwas ganz Grundlegendes, wovon wir uns durch solche Situationen nicht abbringen lassen dürfen. Wichtig ist vor allem die persönliche Beziehung zu Gott zu pflegen, zu dem Gott, der sich uns in Christus gezeigt hat.“

Warum wird immer neu der Gegensatz von Franziskus und Benedikt betont, sodass die Wiederholungen fast schon nach Zwangshandlungen aussehen. Zwang ist oft der Wunsch nach dem, was nicht vorhanden ist. Warum diese Preisgerichte wer besser ist? Gewiss stehen in Benedikt und Franziskus zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten vor uns. Jedem sind andere Charismen anvertraut, aber doch gegeben für ein- und dasselbe Ziel, für das Wohl der Kirche. Geistlich auferbauend wäre es, die innere Einheit beider Pontifikate als versöhnte Vielfalt zu entdecken. Versöhnte Vielfalt ist ja das Indiz für das Wirken des Geistes Gottes. Statt Preisgerichte - Lobpreis für die Vielfalt in Einheit!

Liebe Schwestern und Brüder, diese Gedanken haben ebenso Gültigkeit für unseren Alltag, für unser Leben in der Pfarrei, im kirchlichen Verband. Der neue Pfarrer, die neuen pastoralen Mitarbeiter, der neue Vorsitzende, die neue Vorsitzende eines Verbandes haben nicht die Aufgabe, Gegensätze herauszubilden, zu dem was vorausging, sondern dem Geist Raum zu geben, damit bei allen Unterschieden das Wunder versöhnter Vielfalt in der Einheit um Christus erfahrbar wird. Das Wunder des Pfingstereignisses in der jungen Jerusalemer Kirche verdeutlicht dies als Wachstum. Die vielen Mentalitäten und Sprachen verständigen sich und dürfen sich in ihrer Vielfalt als Gemeinschaft des Hl. Geistes erfahren. So wollen wir danken und bitten für die Einheit im Hl. Geist in der Erfahrung von Vielfalt, für welche die beiden Pontifikate stehen. Papst Benedikt, dem Denker-Papst, gilt es herzlich zu danken für seinen hingebungsvollen und persönlich bescheiden versehenen Dienst, für seine theologisch brillante Verkündigung, für seine auch von Agnostikern und Nicht-Christen geschätzte intellektuelle Auskunftsfähigkeit gegenüber der modernen Geisteswelt. Für Papst Franziskus wollen wir Kraft und gute Gesundheit erbitten, dass ihm das Charisma erhalten bleibe, die Freude des Glaubens zu verbreiten, die Kirche zum missionarischen Aufbruch und zum Dienst an den Armen wachzurütteln, Menschen an den Rändern anzusprechen und sie in eine Kirche der offenen Türen einzuladen.

Das von Papst Franziskus immer neu aufgegriffene Thema der armen Kirche und der Kirche der Armen wurde jüngst in unserem Land durch die mediale Debatte „Kirche und Geld“ sehr konkret. Die Kirche in Deutschland ist wahrlich nicht arm, aber das Geld, das wir verwalten, ist nicht unser Geld, es ist das der Kirche, des ganzen Gottesvolkes. Deshalb ist das Interesse, auch das öffentliche Interesse am Umgang mit dem Geld der Kirche verständlich. Die Debatte hat uns eindringlich gezeigt, dass wir getreue Sachwalter sein müssen. Und wir wollen es nach bestem Wissen und Gewissen sein. Gerade in der katholischen Kirche Deutschlands ist aufgrund geschichtlicher Entwicklungen das Vermögen dezentral aufgeteilt: Da gibt es die Kirchenstiftungen vor Ort, andere selbständige Stiftungen und Körperschaften, etwa den Bischöflichen Stuhl, Rücklagenfonds, so für die Pensionen, für Notfälle, bedeutend ist vor allem der diözesane Steuerhaushalt, der sich aus Kirchensteuermitteln speist. Ich danke allen Aufsichtsgremien. So hat etwa der Bischöfliche Stuhl einen eigenen Verwaltungsrat, der den Haushalt beschließt. Der alljährlich veröffentlichte und einsehbare diözesane Haushalt wird vom Diözesansteuerausschuss beschlossen und kontrolliert. Ich danke den Mitgliedern dieses aus den lokalen Kirchenstiftungen gewählten Finanzparlamentes, wenn ich das Wort gebrauchen darf, für ihren Dienst. Soeben ist eine Legislaturperiode ausgelaufen, der neue Ausschuss nimmt seinen Dienst auf.

Die Kirchen in Deutschland sind wahrlich nicht arm im Vergleich zur weltkirchlichen Situation. Dass dies immer so bleiben muss, ist kein Dogma. Aber solange uns die Gläubigen Gelder anvertrauen, wollen und müssen wir umsichtig damit umgehen. Wir als Kirche machen in der Regel keine Schulden, wir sorgen durch Rücklagenbildung für die Pensionen, während die öffentliche Hand die Haushalte damit belastet und zudem mehr ausgibt als sie einnimmt. Wir hingegen treffen Vorsorge für extreme und nicht mehr kurierbare Notfälle des Haushaltes. Vor allem sind wir bemüht, das durch Kirchensteuer eingehende Geld zum Nutzen für die Pastoral, für unsere großen kirchlichen Schulen und deren Bauunterhalt, für Kindergärten, für Jugendarbeit, für Fortbildung, für soziale und weltkirchliche Zwecke einzusetzen, um nur einige Verwendungszwecke zu nennen.

Im zurückliegenden Jahr 2013 war das Thema Geld - zumindest vordergründig - auch ein anderer Anlass um eine mediale Erschütterung auszulösen. Der Limburger Bischof Franz Peter Tebartz van Elst und der Bau des neuen Dienstsitzes auf dem Limburger Domberg waren in heftige mediale Kritik geraten. Eine mediale Welle der Erregung und öffentlicher Zorn waren gegen den Bischof entbrannt. Die Vorwürfe kristallisierten sich an den Gesamtkosten des bereits vor seiner Amtszeit beschlossenen und nunmehr umstrittenen Bauwerkes. Die mediale Kritik war wohl von innerkirchlichen Kreisen, auch aus dem Umfeld des Bischofs, lanciert und gespeist worden.

Da war dann in den Gazetten und Talk-Shows die Rede vom Luxus-Bau, vom Protz-Bischof und Verschwendung. Die an die Öffentlichkeit kommunizierte Summe erscheint in der Tat sehr hoch, vor allem wenn nicht herüberkommt, was in dieser Summe alles enthalten ist. Das Bauprojekt umfasst ja keineswegs nur die Wohnung für den Bischof, sondern ist ein Maßnahmenpaket einschließlich der Sanierung eines baufälligen Fachwerkhauses aus dem 15. Jh. und eines Abschnittes einer alten Stadtmauer, die zum Ensemble gehören. Die eingesetzte Untersuchungskommission hat nun eine Reihe von Fragen zum Bau und zu den Entscheidungsprozessen um den Bauverlauf zu klären.

Mich als Zeitungsleser stimmte es nachdenklich, als zeitgleich zum medialen Sturmtief über dem Bischof von Limburg die letzten Scherben des Falls Bundespräsident a.D. Wulff vor Gericht gekehrt wurden. Ein Fall, ein tiefer Fall eines Menschen, der – nebenbei gesagt – von einigen der Medien ins Rollen gebracht worden war, die auch in Limburg zugange sind. Man sollte die Erregtheit, ja Gehässigkeit nicht vergessen, die dem damaligen Bundespräsidenten entgegenschlug. Vorteilsnahme, ja Korruptionsverdacht und Missachtung der Pressefreiheit wurden ihm vorgehalten. Zahlreiche Recherche-Journalisten und staatlicherseits eine Reihe von Ermittlern wurden tätig. Es kam sogar zur Hausdurchsuchung. Schließlich sah die öffentliche Meinung in ihm ein Staatsoberhaupt, dessen man sich schämen musste, das nicht mehr tragbar war. Der Druck wuchs an, der Rücktritt des Präsidenten war absehbar.

Nun ist der Hype vorüber. Geblieben sind die Scherben von Wulffs Privatleben und an gerichtlicher Verhandlungsmasse eine Hotelrechnung von weniger als 800 Euro, die ihm von Freunden bezahlt wurde. Und selbst hier bestehen Zweifel, ob es sich um ein Vergehen handelt. Überdies wird sich mancher Bürger die Frage stellen, ob ein Geldbetrag dieser Größenordnung tatsächlich ein Bestechungspotential in sich trägt? Wäre nicht mehr Besonnenheit angebracht gewesen?

Liebe Schwestern und Brüder, wir sind dankbar für die Pressefreiheit und das Recht freier Meinungsäußerung in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Die freie Presse ist eine wichtige Säule des freiheitlichen Systems. Eben deshalb wäre es bedenklich, wenn diese verantwortungsvolle Rolle eine Verdunklung erführe, weil der mediale Einsatz für Transparenz und Klarheit in unserer Gesellschaft ausfranst in einen Wettlauf um Stories und Sensationen angesichts sinkender Auflagenzahlen der Printmedien oder rückläufiger Zuschauerzahlen. Und wie wird sich angesichts einer solchen Drucksituation die innere Meinungsfreiheit in den Redaktionen gestalten?

Der Rückblick auf diese Hypes legt uns Christen nahe, mehr christliche Besonnenheit zu üben. Christen, die durch Taufe und Firmung zum Dienst in und an der Welt bestellt sind, sollten Meinungen nicht einfach nur ablesen, sie müssen sich eine eigene Meinung bilden. Einen beachtenswerten Impuls für die Meinungsbildung hat uns Katholiken Papst Franziskus gegeben. Wiederholt forderte er auf, es zu vermeiden, übereinander schlecht zu reden und sich von Tratsch beeinflussen zu lassen. Meinungsbildung braucht Sachlichkeit und Klarheit im Umgang miteinander.

Als Getaufte haben wir nicht nur ein biologisches Rückgrat, sondern sind Menschen des Kreuzes. Das Kreuz steht nach Paulus für die Weisheit Gottes, die nicht konform ist mit dem Takt der Gesellschaft und der Welt. Der Christ als Jünger Jesu hat’s buchstäblich im Kreuz. Das Kreuz Christi ermuntert uns, unserer Berufung zu entsprechen, d. h.  zur Eigenständigkeit, zur Entfaltung unserer Persönlichkeit im Blick auf Christus und seine Botschaft. Christen, die in der Vergangenheit danach lebten, bewahrten sich eine große Freiheit gegenüber politischen Systemen und öffentlichen Meinungen. Die Freiheit des Kreuzes hindert uns, vorschnell ein Urteil oder gar eine Verurteilung zu treffen.

Liebe Schwestern und Brüder, gerade das wünschen auch wir uns doch für unser Miteinander im Alltag des Berufs und der Familie, für unser Miteinander in kirchlichen Gremien, in Verbänden und in unseren Pfarreien.

Papst Franziskus hat entgegen der Forderung nach einer sofortigen Abberufung des Bischofs oder seiner Suspendierung vom Dienst ein Zeichen innerer Freiheit gesetzt. Er gewährte dem Bischof eine Auszeit vom Bistum, wohl um ihn und alle in der Verantwortung Stehenden zum Innehalten einzuladen.

Als Jesuit, der in der geistlichen Tradition des hl. Ignatius, des Gründers der Jesuiten, verwurzelt ist, weiß der Papst, dass inmitten aufgewühlter Gefühle und Erregungen ein geistlich tragfähiges Urteil schwerlich gefunden werden kann. Dazu bedarf es vielmehr jener inneren Einstellung, die der hl. Ignatius Indifferenz nennt, die sich aber nicht im Sturm einstellt, die der äußeren und inneren Ruhe bedarf. Indifferenz ist für den hl. Ignatius jene Haltung, in größter Bereitschaft nach dem Willen Gottes zu suchen und in liebender Selbstübergabe ihm dann entsprechen zu wollen. Suche nach dem Willen Gottes in unserem Alltag, in unseren Konflikten, eröffnet Perspektiven, sie bewahrt vor einer Politisierung des Miteinanders und fördert die Achtung voreinander.

In einem gewissen Kontrast zum geistlichen Anliegen des Papstes steht allerdings die kategorische Eindeutigkeit einiger kirchlicher Stimmen, die schon vor dem Abschlussbericht der Untersuchungskommission von Limburg öffentlich das Urteil gefällt haben, der Bischof könne keinesfalls zurückkehren. Gewiss ist die Lage im Bistum unübersichtlich und schwierig geworden, sie ist es für den Bischof, ebenso, sie ist es für die katholische Kirche in unserem Land. Einfache Lösungen wird es nicht geben.

Aber warum nicht erst einmal den Bericht der Kommission abwarten? Müsste derweil die Frage nicht zumindest erwogen werden, inwieweit der Versuch zu Aussöhnung und Neubeginn eine der möglichen Zukunftsoptionen sein könnte. Wollen wir als Kirche nicht Kontrastgesellschaft sein? Stünde es dann dem kirchlichen Miteinander nicht gut an, andere Maßstäbe wenigstens in Betracht zu ziehen als sie etwa in einem Parteiapparat Anwendung finden gegenüber einem in den Medien oder bei einer politischen Wahl durchgefallenen Vorsitzenden?

Liebe Schwestern und Brüder, während diese großen Fragen bedacht werden, finden wir uns schon mitten in unserem eigenen Leben mit seinen Problemen und Schwierigkeiten wieder. Wir sind mitten drin: in den Schwierigkeiten unseres Miteinanders bzw. Auseinanders in unseren Familien, in den Pfarreien, in der Verwandtschaft, überhaupt in unserem christlichen und manchmal weniger christlichen Alltag. Die großen kirchlichen Verwerfungen sind eher nicht der Ausnahmefall, sondern erweisen sich als Spiegelbilder, vielleicht als Vergrößerungen ungelöster Spannungen und Konflikte unseres Alltags.

Wir wünschen uns gerne ein friedvolles neues Jahr. Friede fällt nicht vom Himmel, Friede will errungen werden durch Kommunikation, durch Loslassen von Vorurteilen, durch die immer neue Einübung in die Selbstdistanz vor allem durch Versöhnungsbereitschaft und Vertrauen und durch Gebet. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Und die Welt verändert sich in jedem Fall dort, wo ich mich verändere. Lassen wir uns nicht durch Konflikte verwirren, entmutigen oder durch Grenzerfahrungen aneinander den gemeinsamen Weg im Glauben in Familie, Pfarrei, in unseren Gruppen und Verbänden eintrüben. Kommt Sturm im Leben auf, sind wir geneigt auf unseren Glauben an Christus und seine Kraft zu vergessen. Wir handeln dann fast reflexhaft menschlich allzu menschlich. Halten wir inne, mühen wir uns um Besonnenheit und bringen in solchen Lebenslagen unseren Glauben an Christi Nähe ein, damit innerer und äußerer Friede werde.

Papst Franziskus spricht in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium davon, Probleme oder Übel in Welt und Kirche als Herausforderungen zu betrachten, um zu wachsen, nicht aber als Entschuldigungen, um unseren Eifer zu verringern oder gar dem Pessimismus zu erliegen (EN 84). Er sagt wörtlich:

„Außerdem ist der Blick des Glaubens fähig, das Licht zu erkennen, das der Heilige Geist inmitten der Dunkelheit verbreitet. (EN 84) Liebe Schwestern und Brüder, das Licht zu erkennen, das der Hl. Geist in meiner, in unserer Dunkelheiten verbreitet, ließe mir, ließe uns das Leben oft leichter werden und würde das Wachstum des Friedens fördern. Möge Gott uns allen reichlich das helle Licht des Hl. Geistes in all unseren Dunkelheiten schenken und uns inneren und äußeren Frieden im Jahre 2014 gewähren.

In diesem Sinne grüße ich Sie alle dankbar mit einem Vergelt’s Gott für alles als Ihr Bischof!