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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB beim Requiem für Prof. Dr. Wolfram Menschick am 14. Dezember 2010 im Eichstätter Dom


Liebe Frau Menschick, liebe Familie Menschick,
liebe Freunde und Kollegen des verstorbenen Professor Menschick,
liebe Mitglieder der Eichstätter Dommusik,
Schwestern und Brüder im Herrn!

„Ich warte täglich auf den Tod und ich kann nichts anderes mehr machen als zu warten. Ich bin bereit. Das Weihnachtskonzert des Domchors werde ich nicht mehr erleben.“

Liebe Schwestern und Brüder, das waren in etwa Wolfram Menschicks Worte, als ich ihn gut drei Wochen vor seinem Tod besuchte. Und er sollte Recht haben.

Wir alle kannten ihn als leidenschaftlichen und auf Perfektion bedachten Kirchenmusiker. Da wundert es kaum, dass er selbst beim Takt seiner Lebensmelodie ein Empfinden wie ein Metronom hatte. Nur wenige Tage vor dem 3. Advent, dem Sonntag Gaudete, wurde die Partitur seines Lebens abgeschlossen. Kurz vor dem Tag, an dem der Domchor in jedem Jahr im meist übervollen Dom sein weihnachtliches Konzert gibt, eine Tradition, die auf Wolfram Menschick zurückgeht, durfte er den von ihm erwarteten Weg in die ewige Heimat antreten. Erfüllt hat sich für ihn die Verheißung des Herrn: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen. … Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten“ (Joh 14, 2-3).

Seit 1969 hatte Wolfram Menschick seine Lebenspartitur bei uns in Eichstätt geschrieben. Große Verdienste erwarb er sich um die Kirchenmusik am Dom und im Bistum, bis er 2002 aus Altersgründen in den Ruhestand ging. Ehrenamtlich engagierte er sich weiterhin für die Kirchenmusik. Die Partitur seines Lebens stellt ein vielstimmiges Werk dar, für das es heute zu danken gilt. Unter den Einzelstimmen dieser so umfassenden Partitur sind vor allem zu nennen seine Dienste als Domkapellmeister, als Domorganist und Diözesanmusikdirektor. Zudem erwarb er sich Bekanntheit als Komponist zahlreicher kirchenmusikalischer Werke, die es nicht nur großen und professionellen Chören, sondern gerade auch kleinen Chören mit nur begrenzten stimmlichen Ressourcen ermöglichten, die Liturgie würdig und festlich zu gestalten. Die kirchenmusikalische Landschaft in unserem Bistum, besonders die Verlebendigung der Chortradition in vielen unserer Pfarreien anstelle eines Rückgangs, wie es andernorts zu beklagen war, ist Wolfram Menschicks bleibendes Verdienst. Und fachlich Berufene werden sein kirchenmusikalisches Wirken zu würdigen wissen.

Nicht nur die Notenzeilen seines musikalischen Schaffens sind Teil der Partitur seines Lebens. Die helle Melodie des liebevollen Gatten und Vaters gehört ebenso dazu wie der warmherzige Ton seiner humorvollen Freundschaft, derer sich viele unter uns erfreuen durften. Heute danken wir dem Herrn für dieses Lebenswerk, das Klang in unsere Ortskirche brachte.

Wolfram Menschicks Sterbetag war nicht irgendein Tag. Ging er doch heim am 8. Dezember, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria. In seinem Tod wurde er gleichsam in den Armen der Gottesmutter aufgefangen. Das Marienfest schenkt uns den Schlüssel, um Wolfram Menschicks Lebenspartitur richtig lesen zu können, um deren Tonalität und deren Werkaufbau besser verstehen zu können. Über dem Leben Mariens steht von Anbeginn das Motto: Siehe, ich bin die Magd des Herrn – ecce ancilla domini. Ihre Berufung ist es, dem Herrn und der Welt zu dienen.

Dienen, um
- Christi Kommen in der Welt vorzubereiten und zu ermöglichen,
- um die Gegenwart Christi erfahrbar und spürbar zu machen,
- um Gemeinschaft mit ihm und um ihn herum zu bilden,
- um Christi Wiederkunft von der Himmelfahrt an zu erwarten.

Der Marienfesttag als Wolfram Menschicks Todestag weist uns auf den marianischen Geist seiner Lebenspartitur. Es geht darum, dem Kommen und der Gegenwart des Herrn zu dienen. Wolfram Menschick tat es durch die Pflege der Kirchenmusik und ihrer Schönheit, er tat es durch den Dienst als hingebungsvoller Gatte und Familienvater sowie durch seine Gabe, als humorvoller Freund viele Mitmenschen aufzubauen.

Eine solche marianische Glaubenshaltung im Dienen rechnet mit dem Kommen des Herrn, ohne dessen Ankunft der Dienst ja leer bliebe.

Wolfram Menschicks Einstellung zum eigenen Sterben ließ nochmals seine marianische Haltung aufscheinen: „Ich warte täglich auf den Tod und kann nichts anderes mehr machen als zu warten. Ich bin bereit.“

Dass eine solch adventliche Erwartung Ängste und Zweifel nicht ausschließt, ist nicht verwunderlich. Was hieße denn Warten, Erwartung, wenn nicht auch Unsicherheit und Spannung in dieser Haltung Raum fänden. Schließlich fragte sogar Maria, nachdem sie die große Botschaft des Verkündigungsengels an sich vernommen hatte: „Wie soll das geschehen?“

Die marianische Haltung enthebt unser Handeln, unsere Leistungen und Erfolge, aber auch unser Versagen der rein innerweltlichen Gesetzmäßigkeit. Unser Tun und Handeln wird zum Advent, verweist auf etwas, das erst noch kommt. Die marianische Haltung des Dienens lässt unser Tun einen Widerspruch gegen die Vergänglichkeit sein.

Der Theologe Hans Urs v. Balthasar schreibt in seiner Meditation „Leben aus dem Tode“: Die großen Werke in Kunst, Architektur und Literatur beweisen, „dass die Schaffenden den Mut nicht verloren haben, wider die Vergänglichkeit anzukämpfen.“ (p. 17). Wer den Widerspruch gegen die Vergänglichkeit wagt, der muss sich freilich wie Maria ganz hingeben und von sich lassen können. Er darf sich nicht verkrampfen.

Vom hl. Benedikt wird überliefert, dass er im Stehen gestorben sei, gestützt auf zwei seiner Schüler. Von sich lassend, ganz gelassen, voll Erwartung, ging er dem Tod entgegen. Das will dieses Bild ausdrücken.

„Ich warte täglich auf den Tod und kann nichts anderes mehr machen als zu warten. Ich bin bereit.“ Wolfram Menschicks Worte haben mich persönlich viel von dem erspüren lassen, was es bedeuten kann, aufrecht dem Tod entgegen zu gehen.

Wenn wir nach dieser Messfeier die Begräbnisfeier auf dem Friedhof begehen, wird der altehrwürdige Gesang gesungen:

„Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem. Die Chöre der Engel mögen dich empfangen“.

Ursprünglich handelt es sich um einen Gesang am Sterbebett, der eine festliche und zugleich himmlische Empfangsliturgie beschreibt. Da wird jemand Neuer erwartet und voll Freude mit Musik willkommen geheißen. Nicht Abbruch, sondern Aufbruch in das neue und eigentliche Leben kündet der Gesang an.

Das Gute und Schöne, das der dienende und dienstbare Mensch auf Erden vollbracht hat, wird zur Gesangsstimme, zur Chorstimme in diesem himmlischen Chor. So schreibt Gott nun auch die Partitur unseres Wolfram Menschick weiter.

Oder lassen sie es mich von der musikalischen Struktur einer Fuge her ausdeuten: Vergleichbar dem Aufbau einer Fuge stellt Wolfram Menschicks Wirken und Werk hier auf Erden erst die Exposition dar, die Stimme mit dem Thema und die Antwortstimme, also den ersten Teil der Fuge. Gott greift nun gewiss seine Melodie auf. Doch hebt jetzt der prachtvolle Durchführungsteil der Fuge ein, geschrieben von Gottes Meisterhand. Und wir? Verläuft das abseits von uns? Wenn wir einschwingen in die Haltung der Dankbarkeit gegenüber Gott, dass wir Wolfram Menschick bei uns haben durften, dann sind wir nicht mehr Zuschauer, sondern Beteiligte, Sänger in dieser Fuge.

Lasst uns danken, dem Herrn unserm Gott!

Amen