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Im Wortlaut

Festpredigt am Reformationstag, 31. Oktober 2017, in St. Andreas, Weißenburg:

Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern, Bischof Gregor Maria Hanke, Regionalbischof Stefan Ark Nitsche

Gemeinsam mit den Nürnberger Regionalbischöfen Elisabeth Hann von Weyhern und Stefan Ark Nitsche sowie dem Bischof der anglikanischen Diözese Hereford, Richard Frith, hat der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke am Reformationstag in der St. Andreaskirche in Weißenburg einen Festgottesdienst im Gedenken an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren gefeiert. In einer Trialog-Predigt legten die beiden Regionalbischöfe und Bischof Hanke das Evangelium aus.

 

Teil 1 Stefan Ark Nitsche

Kanzelgruß

Das was bisher galt, hat seine Tragfähigkeit verloren. Was bisher so selbstverständlich war, hat seine unhinterfragte Gültigkeit verloren.
Das Leben in Sicherheit und beruhigenden Bahnen ist zunehmend bedroht.
- Man hatte sich ja gut und bequem drin eingerichtet in einer Gesellschaftsordnung, die nicht immer nur ideal war, aber doch für viele gutes brachte. -
Jetzt aber: Schleichend, unbemerkt zuerst, sind die Fundamente brüchig geworden. Für immer mehr wurde es spürbar und dann war es ein allgemeines Gefühl: Was scheinbar für immer galt, steht jetzt in Zweifel. Die Unsicherheit nimmt zu. Konjunktur für apokalyptische Bilder vom Untergang des Abendlandes. Große Marktchancen für Polemisierer und Radikalvereinfacher, für Geschäftemacher mit der Angst.
Mittendrin der Ruf nach Sicherheit, nach Rettung durch einen starken Heilsbringer.

Das ist 500 Jahre her. Der Vorabend des Zeitalters der Reformation. Martin Luther war nicht der Einzige, der damals auf der Suche nach festem Halt war, nach einem Fluchtweg aus der sein Lebensfundament zerfressenden Angst, auf der sehnsuchtsgetriebenen Suche nach Sinn.
Viele waren  unterwegs damals: Die einen suchten im Abschied von der Welt als Mönche und Nonnen ihr Heil; sie flüchteten in Sonderwelten.
Andere übertrugen die merkantile Logik des global werdenden neuen Wirtschaftslebens auf die Bereiche der Seele: ihr Heil lag in der Verlässlichkeit des Berechenbaren.
Intellektuelle ließen sich inspirieren durch die wieder entdeckten antiken Schriftsteller und Philosophen für ihren neuen Humanismus und für mit Optimismus getränkte Rezepte für eine neue Gesellschaft der Besonnen.
Wieder andere versuchten mit Gleichgesinnten das Reich Gottes hier auf Erden zu errichten und landeten in frühen Formen eines radikalen Gottesstaates ohne Freiheit.
Die altgewordenen Institutionen, das Reich und die Kirche spürten das Schwinden ihrer Wirksamkeit und zogen in einem beinah verzweifelten Versuch die Daumenschrauben an.

Ein Kettenkarusell auf dem Jahrmarkt der Angst.
Und mittendrin wurde die Reformation geboren.

Denn inmitten all dessen gab es auch andere Stimmen, oft unspektakulär, leise manchmal, manches Mal überhört, manchmal aber auch wie ein glimmender Docht, der auf den entscheidenden Luftzug / Hauch wartet, um ein helles Licht zu entzünden, wie es ja auch hier in Weißenburg war.
Radikale Sucher braucht es dazu und behutsame Begleiter: der Reformator Martin Luther,  und Johannes Staupitz, der Zeit seines Lebens katholisch gebliebene, waren so ein Paar.

Unsere Fragen buchstabieren wir heute anders als die Reformatoren, aber ihre durch Besonnenheit begleitete Radikalität, das nicht locker lassen, bis ein tragfähiger Grund gefunden ist, ihr Bohren, ihre Zuversicht, im Fundament der Kirche, im Evangelium von Jesus Christus, diesen Grund auch zu finden – die brauchen wir:
ihren Mut, das wichtigste für das Leben nicht selbstverständlich zu nehmen, sondern es als Geschenk zu erkennen – den wünsch ich mir;
ihre Kraft, statt auf Sicherheit auf Gewissheit zu setzen – die erhoffe ich mir.

Wenn wir heute der symbolischen Initialzündung der Reformation vor 500 Jahren gedenken, dann geht es nach meiner Überzeugung nicht um eine Geburtstagfeier. - Die Kirchen der Reformation sind so alt wie alle anderen auch: das erste Pfingstfest war vor knapp 2.000 Jahren. –
Wenn wir heute gemeinsam mit unseren Geschwistern aus der Familie der christlichen Kirchen diesen Tag feiernd begehen, dann feiern wir eine zentral wichtige Wegmarke der Kirche Jesu Christi auf dem Weg durch die Zeit: die Wiederentdeckung der Antwort Gottes auf unsere Sehnsucht nach Geborgenheit, Glück, geliebt werden mitten im Chaos menschlicher Versuche.

Lied: Da wohnt ein Sehnen tief in uns … (Strophe 1)

Da wohnt ein Sehnen tief in uns,…
Diese Sehnsucht ist nicht selbstverständlich da. Manchmal muss sie freigelegt werden unter Staubschichten enttäuschter Erfahrung, unter den Lasten des täglichen Überleben müssen, unter niederdrückenden Sorgen um die Familie, um so vieles …
Da wohnt ein Sehnen tief in uns, das nicht ins Leere geht. Es findet Resonanz.
Auch das ist alles andere als selbstverständlich.

Vor 2.500 Jahren sang genau davon ein Prophet, dessen Lieder wir im 2. Teil des Buches Jesaja finden. Damals, als die Stadt Jerusalem in Trümmern lag und niemand den Mut fand, aus der babylonischen Gefangenschaft zurück zu kehren und die Heimat wieder aufzubauen, da warb dieser Sänger darum, seinem Gott etwas zuzutrauen.
Er entdeckte in seiner Bibel die Erzählungen von der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten und vom Finden eines Landes, in dem es eine Lebensperspektive.
Er schöpfte daraus Mut und Zuversicht für seine Gegenwart:

Und nun spricht der Gott, der dich geschaffen hat:

         „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
         ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
         du bist mein!
         Weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist
         und weil ich dich liebhabe.
         So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.“ (Jesaja 43,1.4.5)

Einblick in die Theo-Logik, die Logik Gottes: Gottes radikaler Verzicht auf die Logik der Berechenbarkeit, der Rede vom Preis, den alles habe, was wirklich etwas wert sei.
Der Prophet singt von seiner Entdeckung über Gott: Nicht die Logik der Ökonomie gilt, wenn es um Menschen geht, sondern die Beziehungslogik!
Gott will nicht recht haben über seine Menschen, sondern uns nicht allein  lassen in unseren Verstrickungen, die uns die Luft zum Atmen abschnüren. Er will uns herauslösen aus der Macht, die uns Angst auf die Seele stempelt und uns daran hindert, befreit aufzuatmen.
Und er will das nicht deswegen, weil wir es uns verdient haben durch was auch immer: brav sein, fromm sein, gut sein, erfolgreich sein, …
Er will es:
„weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe“.

Das ist Beziehungslogik, das haben die Reformatoren „Rechtfertigungs-Botschaft“ genannt.

Da wohnt ein Sehnen tief in uns nach Glück, nach Liebe, nach Glückseligkeit , das nicht ins Leere geht. Das feiern wir. Und es ist ein Geschenk der ökumenischen Freundschaft, das wir dies gemeinsam tun.

 

Teil 2 Gregor Maria Hanke

In diesem Gottesdienst zum Reformationstag 2017 gedenken wir ökumenisch der vor 500 Jahren einsetzenden Reformation und beenden gemeinsam betend das Gedenk- bzw. Jubiläumsjahr. Es ist eine mutige geistliche Vorgabe der evangelischen Geschwister des Kirchenkreises Nürnberg, in der heutigen Feier weniger Rückschau zu halten auf die Feierlichkeiten, auf die Begegnungen und das Miteinander des Jahres, auch nicht auf die Geschichte der Reformation und den Prozess der Trennung mit all den immer noch offenen Fragen, sondern vielmehr nach vorne zu blicken.

Dazu haben uns die evangelischen Geschwister bereits während des Reformationsgedenkjahres eingeladen, wenn sie vom Christusfest sprachen, das sie mit uns Katholiken und Orthodoxen gemeinsam feiern wollten.

Nach vorne schauen! Das bedeutet für uns Christen, den Blick auf Christus zu richten, der Alpha und Omega ist. Gemeinsam auf Christus schauen! Liebe Schwestern und Brüder, wer auf einen anderen blickt, der kreist nicht ständig um sich selbst, der kann von sich absehen. Für Christus gilt dies vor allem. An ihm mögen sich künftig unsere Blicke noch fester einen.

Was heißt es aber konkret, gemeinsam nach vorne auf Christus zu schauen? Woran soll sich unser Blick orientieren, um Christus zu finden im Leben unserer Kirchen, unserer Pfarrgemeinden, im Alltag unserer Familien und der Arbeitswelt, in Krisen und in Freuden, im ökumenischen Miteinander?

Diese altehrwürdige St. Andreas-Kirche weist uns eine Richtung. Nach alter christlicher Bauweise ist sie geostet. Die Gemeinde versammelt sich vor dem Altar und richtet ihr Gebet nach Osten, in jene Himmelsrichtung, die gemäß frühchristlichem Verständnis auf den wiederkommenden Herrn hindeutet. Als der Auferstandene vom Ölberg, also im Osten Jerusalems, in den Himmel auffuhr, rief nach der Überlieferung der Apostelgeschichte der Engel den Jüngern zu:

„Was steht ihr hier und starrt nach oben? ... Eines Tages wird er genauso zurückkehren, wie ihr ihn gerade habt gehen sehen.“ (Apg 1,11)

Daher die Orientierung der frühen Christenheit beim Beten in Richtung Orient, nach Osten hin, vor allem aber die Lebensorientierung auf den wiederkehrenden Herrn. Schaut nach vorne!
Nicht die Gebetsrichtung bewirkt dies, sondern die Haltung der Erwartung, an die das Gebet ad Orientem den Beter erinnern will. Denn beten heißt: den Herrn erwarten und ersehnen, mit ihm rechnen. Marantha – komm, Herr Jesus.

Ohne diese Sehnsucht nach ihm kann man plappern, aber nicht wirklich beten, wenn Gebet Sprache der Sehnsucht ist. Nach vorne blicken, auf Christus schauen braucht deine, meine Sehnsucht nach ihm, damit ich die weltliche und die kirchliche Wirklichkeit als durchlässig für sein Kommen erfahre. Die Haltung der Sehnsucht und der Erwartung ist Tür für den Anbruch des Gottesreiches.

Gemäß dem Engelswort auf dem Ölberg wird der Herr wiederkommen; wir sollen nach vorne schauen, ihn also erwarten. Wie die Jünger ihn haben gehen sehen, kehrt er wieder. Er kommt als der, den sie kennenlernen durften.
Sich auf den wiederkehrenden Herrn auszurichten, braucht die Begegnung mit ihm hier und jetzt, man muss ihn schon hier kennenlernen. Denn auf uns kommt zu, der bereits da ist. Wir dürfen ihn erwarten als denjenigen, dem wir hier begegnen und begegnet sind.

Jesu Worte, seine Taten und sein Leben, die ganze Heilige Schrift, sind nicht einfach Geschichte und Vergangenheit. Die Rückschau auf das geschichtliche Leben Jesu macht Menschen noch nicht zu Jüngerinnen und Jüngern Jesu. Christsein ist eben keine Rolle rückwärts in die Geschichte Jesu. Ein Christentum, das Jesu Wirken wie eine Art göttliches Archiv behandelt, könnte allenfalls zu ethischem Verhalten motivieren, nicht zu tatsächlichem Glauben. Jüngerschaft wächst durch Begegnung mit ihm. Christi Leben und Person haben meinem Leben gleichzeitig zu werden wie auch mein Leben dem seinigen.
Liturgische Texte fassen diese Gleichzeitigkeit in den Ruf: Heute! Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so beginnt Zukunft.

Das Engelswort gilt auch uns: So wie wir ihm begegnet sind, kommt er mir, uns als Zukunft entgegen. Und er möchte bei seinem Kommen sich selbst in uns finden. Er will in uns finden, was er uns bringen wird: sich! (Frei nach Karl Rahner)
Die Lähmung unseres Christseins entsteht, wenn wir Person und Leben Christi in der Vergangenheitsform belassen, statt sie als uns gleichzeitige Wirklichkeit anzunehmen. Die Sache Gottes und das alltägliche Leben sind dann leicht zu trennen. Kirchesein erstarrt zur Organisation, Glaube zur Konvention.
Christus ist aber mitten unter uns und kommt als Zukunft auf uns zu. Bedenken wir, was es im alltäglichen Leben bedeutet, ein großes Ereignis oder eine wichtige Person zu erwarten. Wie sich in der Erwartungshaltung Lebensvollzüge verändern, Prioritäten verschieben.

Diese Überlegungen lassen uns verstehen, weshalb im Matthäusevangelium Jesus sein öffentliches Wirken nicht mit einer Rückschau, mit einer Ist-Analyse und einer Grundsatzerklärung beginnt, sondern mit einer eschatologischen Rede, d.h. mit einem Blick auf Gottes neue Welt, mit göttlicher Zukunftsmusik, eben mit den Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5). Jesus schaut nach vorn!
Von Anfang an scheint in seinem Auftreten das Ziel durch, für das er lebt: Gottes Zukunft. Selig, die arm sind vor Gott, selig die Trauernden, selig die Sanftmütigen, selig die Frieden stiften. Jesus skizziert in der Bergpredigt geistliche Zustände und Haltungen, in denen das kommende Gottesreich bereits aufscheint. Er lädt ein, nach vorne zu schauen in diese Zukunft Gottes.

Die sich anschließenden Verse sagen jenen ungeahnte Kräfte zu, die im Blick auf Gottes Zukunft leben. Ihr seid das Salz der Erde, Ihr seid das Licht der Welt. Salz: das Wenige verleiht einer viel größeren Menge Geschmack und Haltbarkeit. Jedoch um den Preis, dass sich die Salzkörnchen auflösen. Und Salz macht durstig - nach dem Wasser des Lebens.
Licht: der johanneische Jesus bezeichnet sich als Licht der Welt. Eben diese Qualität, Licht zu sein gleich ihm, verheißt Jesus jenen, welche geistliche Haltungen des kommenden Gottesreiches annehmen. Ihr seid Licht. Die Finsternis weicht euch, ihr ermöglicht Orientierung. Salz und Licht bewirken eine neue Qualität.

Dieses Aufleuchten der Zukunft Gottes in der Bergpredigt steht konträr zu dem, was gesellschaftlich gilt und anerkannt ist, was wir im eigenen Leben und aus den Nachrichten erfahren, so dass man Chestertons Urteil folgen könnte:
„Liest man die Bergpredigt zum ersten Mal, hat man den Eindruck, dass alles auf den Kopf gestellt wird.“ Aber der Autor fügt an: „Beim zweiten Mal entdeckt man, dass alles genau richtig gestellt wird. Zuerst denkt man, ein derartiges Leben sei unmöglich, um dann festzustellen, dass nichts anderes möglich ist.“

Gemeinsam auf Christus schauen und seinen Blick nach vorne teilen! Dieser Blick stellt vieles richtig, im eigenen Leben, in unseren Kirchen und in der Gesellschaft.
Es sollte nicht übersehen werden, dass die geistlichen Haltungen des Gottesreiches zugleich eine Verbesserung des Lebens für andere bedeuten. Licht strahlt nicht für sich, Salz würzt nicht sich selbst. Es geht um den anderen. Der Blick nach vorne auf Christus und mit Christus wird uns frei machen von den vielen Herren dieser Welt, von Vorurteilen und frei machen für den einen Herrn der Welt und sein kommendes Reich!

Schenken wir uns aus unseren unterschiedlichen geistlichen Wegen und Traditionen heraus diesen Dienst, das Leben in unseren Pfarr-und Kirchengemeinden, das ökumenische Miteinander der Kirchen vom Ende, vom Ziel her, vom Blick nach vorn auf den wiederkehrenden Herrn her zu deuten und zu gestalten. Damit wir Salz und Licht sind, füreinander, für die Gesellschaft, für die Welt, damit wir als Jüngerinnen und Jünger Jesu vieles richtig stellen können!

 

Teil 3 Elisabeth Hann von Weyhern


Da wohnt ein Sehnen tief in uns nach Glück, nach Liebe, nach Glückseligkeit , das nicht ins Leere geht.

Selig.
Ein Baby. Satt. Eingeschmiegt in den Arm seiner Mutter. Zufrieden. Geborgen. Selig.
Dieses Bild zeichnet das kleine wunderbar lautmalerische Wort auf meine innere Leinwand: selig.

Geht „selig-sein“ nur ganz am Anfang des Lebens oder dann nach dem Ende - in Abrahams Schoß? Wenn wir noch nichts oder nichts mehr selbst in der Hand haben?
Oder gibt es auch eine erwachsene Form dieses Selig-seins?
Ich glaube: ja.
Ich muss nicht zurückfallen in eine zweite Kleinkindphase (, die Psychologen nennen sowas Regression).
Ich brauche auch nicht - auf Teufel komm raus – zum Heimproduzenten meiner eigenen Glückseligkeit werden, weder durch Selbstoptimierung von Körper oder Geist noch durch jährliches Erreichen neuer hochgesteckter Lebensziele.
Das hieße doch, alles selbst in die Hand zu nehmen, mich selbst zu rechtfertigen - Dabei wird man schnell selbstgerecht und macht sich selbst fertig.

Es bleibt dabei, es ist dieses Sehnen tief in mir:

Lied „Es ist ein Sehnen tief in mir …“ 2. Strophe Langzeitstudien haben gezeigt: Die Erfahrung von Glücklich-sein hat wenig damit zu tun, ob ich eigenen oder fremden Maßstäben genüge – ob ich ihnen gerecht werde.Sondern: ob ich Resonanz erfahre.  Ob ich Widerhall finde, ob die Tatsache, dass ich bin und dass ich so bin, wie ich bin, etwas, jemand, zum mitschwingen bringt; ob ich in Bindungen lebe, in denen ich Anerkennung erfahre und Wertschätzung.„Weil du in meinen Augen so wert geachtet

und auch herrlich bist
und weil ich dich liebhabe.
Lass die Angst nicht über dich herrschen, denn ich bin bei dir.“

Mit Martin Luthers Worten: „Gott liebt mich nicht, weil ich schön bin, sondern: ich bin schön, weil er mich liebt.“ Diese Umkehr der Logik, das ist die Logik  der Rechtfertigung.
Liebe kann ich mir nicht verdienen.

Aber: „Sola fide!“ – noch ein Lutherwort zur Sache: Allein durch Glauben!

Glauben: Kann ich es für wahr halten, dass ich mit diesen Zeilen des Prophetenliedes gemeint bin und dass es stimmt, was da gesagt wird? Obwohl ich doch weiß, wie ich wirklich bin!
Direkter gesagt: Glaube ich Gott, dass er mich wertschätzt, dass ich herrlich bin in seinen Augen, dass er mich liebt? Glaub´ ich ihm das?
Das würde ja heißen: Ich kann unvollkommen sein, es schadet mir nicht, dass mein Leben aus Bruchstücke, aus Fragmenten besteht.
Das würde ja heißen, dass ich mich nicht dauernd selbst beweisen muss, nicht ständig irgendjemand etwas beweisen muss, dass ich nicht immerfort rechthaben muss, damit ich anerkannt bin. Das würde ja alles ändern.
Ja. Das würde es heißen: Sola fide, allein durch Glauben.
Glauben können, dass ich geliebt werde, setzt Energie frei.
Einer Liebeserklärung vertrauen können, macht mich selig.
Mich trauen, so ein Geschenk anzunehmen, das verändert. Viel. Mich. Und vielleicht auch meine Beziehungen.
Die richtige grammatikalische und theologische Verwendung des Wortes Rechtfertigung ist ein passiv, das mich aktiviert: gerechtfertigt werden.

Befreit vom Zwang zur Vollkommenheit, befreit vom Zwang zur Rechthaberei, befreit vom Zwang zum dauernden Selbstbeweis, befreit vom Zwang mich größer machen zu müssen als ich bin! Die Reformatoren würden sagen: Befreit von der beziehungsstörenden Macht der Sünde über mich.

Es könnte mich frei machen, selbst anzufangen, mit dieser Logik zu leben: die Beziehung wichtiger zu nehmen als das Rechthaben. Überall dort, wo es darauf ankommt: Am Familientisch, im Treppenhaus, am Gartenzaun, am Arbeitsplatz, auf den Straßen und in den Parlamenten, zwischen Menschen und zwischen Staaten, …
Das ist die Freiheit eines Christenmenschen
und das ist unsere gemeinsame Verantwortung in diesen Zeiten.

Da wohnt ein Sehnen tief in uns nach Glück, nach Liebe, nach Glückseligkeit , das nicht ins Leere geht - auch für Erwachsene nicht.
Sola fide. Allein durch Glauben.
Das verleihe Gott uns allen. Amen