Zum Inhalt springen

Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am Heiligen Abend, 24. Dezember 2013, im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder,

erinnern Sie sich an einen Ihrer Urlaube mit Schlechtwetter? Sie warteten und warteten angespannt auf Sonne. Wie befreiend war es, als endlich der Himmel aufmachte und die Sonne durchkam. Da kann man die Seele baumeln lassen und richtig Mensch sein.

Wie wohltuend stimmt es, wenn mich jemand in einer schwierigen Lebenslage versteht, wenn er mir ermunternde und aufbauende Worte schenkt. Mein Leben hellt sich auf, ich gewinne wieder Perspektiven. Es ist als ob sich der Himmel öffnet.

Zwar kennt das Leben keinen Dauerplatz an der Sonne. Aber um Menschsein zu können, braucht es immer wieder die Erfahrung des offenen Himmels.

Wie hoffnungsvoll ist es, dass heute Gott selbst den Himmel aufreißt und das Dunkel dieser Welt betritt, um unter uns Mensch zu werden.

Im soeben verkündeten Evangelium hörten wir von der Geburt Jesu, vom Lichtglanz, der die Hirten umgab, von den Engelschören, die über den Fluren von Betlehem das Gloria sangen. Das Evangelium schildert uns nicht nur Vergangenes. Der Himmel Gottes steht wirklich offen, auch heute. Nun kann der Mensch wahrhaft Mensch sein und Mensch werden.

In dieser Nacht feiern wir die bleibende Zusage Gottes, dass über jedem Menschen der Himmel Gottes offen ist. Hinter jedem Menschen steht das liebende Wort Gottes. Wir bekennen vom Jesuskind in der Krippe: Und das Wort ist Fleisch geworden. Das Kind ist Wort, es ist lebendiger Liebesbrief Gottes an den Menschen. Gott wurde Mensch, um die ganze Menschheit anzunehmen. Betlehem offenbart den tiefsten Sinn unseres Menschseins: Mensch, du bist geschaffen für den offenen Himmel. Du sollst Dich von Gott lieben lassen. Empfange seine Liebe, um sie zu verschenken.

Gott nimmt das Unsrige an, um dadurch sein Wort der Liebe in die gesamte Menschheit einzuschreiben und in alle Lebenslagen des Menschenseins hineinzusprechen.

Wie ernst es Gott darum ist, zeigt Jesu Lebensweg. Er durchschreitet die unterschiedlichen Phasen und Milieus des menschlichen Lebens, vom Kind im Mutterleib über den Säugling in der Krippe, zum Kind und Jugendlichen, schließlich zum Mann aus Nazareth. Er durchlebt wie wir Freude und Leid, an der Not der Menschen nimmt er Anteil, er begegnet Krankheit, Schuld und Sünde. Er nimmt das Schwerste und Härteste des Menschenlebens auf sich, den Tod, den Tod am Kreuz, um das Wort der Liebe Gottes gerade auch in die tiefste Finsternis einzuschreiben.

Durch Christi Menschsein wird allem das Wort der Liebe eingeschrieben: in der Finsternis des Menschenlebens kann Licht aufleuchten, in der Trauer Trost, in Verzweiflung Kraft und Stärke, in der Sünde neues Leben der Gnade.

Menschsein braucht den offenen Himmel: Das Kind in der Krippe eröffnet mir einen unvergleichlichen Weg, wenn ich zu ihm hinzutrete wie die Hirten, wenn ich mich mit ihm verbinde. Menschwerdung heißt: unter dem offenen Himmel Gottes leben und den Mensch gewordenen bei mir und in mir wohnen lassen.

Wir besingen diesen Weg im Lied: Zu Betlehem geboren ist uns ein Kindelein. Da heißt es in der zweiten Strophe heißt es:

In seine Lieb versenken, will ich mich ganz hinab. Mein Herz will ich ihm schenken und alles, was ich hab.

Ich vereine also meinen Weg mit seinem Weg und werde wahrhaft Mensch. Dann verblassen die Gründe, zu verzagen oder sich und andere aufzugeben. Wir sind doch kostbar für Gott. Ein Kirchenvater der Alten Kirche drückt dies so aus.

 „Du Mensch, warum missachtest du dich so sehr, da du doch für Gott kostbar bist? Da Gott dich so hoch ehrt, warum entehrst du dich so sehr? Warum suchst du nach dem, woraus du geschaffen bist, und nicht nach dem, wofür du geschaffen bist.“ (Petrus Chrysologus)

Liebe Schwestern und Brüder, in dieser Hl. Nacht halten wir inne und blicken auf das Wunder des offenen Himmels, der wahre Menschwerdung schenkt. Das Jahr über nehmen wir uns oft wenig Zeit für diesen Blick. Schnell wird das Leben dann zum blinden Trott. Der französisch-rumänische Schriftsteller Ionesco beschreibt die Bedeutung, den Blick auf den Himmel zu richten, damit sich unser Menschsein nicht in Vergeblichkeit erschöpft.

Er schreibt:

Im Kreis gehen die Menschen,
im Käfig ihres Planeten,
weil sie vergessen haben,
dass man zum Himmel aufblicken kann.       (Eùgene Ionesco)

Liebe Schwestern und Brüder, die Krippe hebt unseren Blick zum Himmel, der offen steht. Von ihm her hat sich das göttliche Wort der Liebe in unsere Wirklichkeit eingeschrieben. Es ist da! Wie die Hirten dürfen wir uns auf die Suche machen. Ja, es will gesucht und entdeckt werden in den Wüsten meines Lebens, in den Freuden und Leiden, in der Not der Mitmenschen, die mich umgeben. Darin ist es zugegen, klein und unscheinbar wie damals zu Betlehem auf dem Hirtenfeld. Wer ihm begegnet, erhält Anteil an der Kraft seiner Menschwerdung.

Wahrhaft Grund zum Feiern: Gott liebt den Menschen so sehr, dass er den Himmel öffnet, um unsere Menschheit anzunehmen. Und wir dürfen sein Wort der Liebe und darin seinen Himmel annehmen, um wahrhaft Mensch zu werden.

Amen.