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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB zur Eröffnung der Heiligen Pforte in der Heilig-Kreuz-Kirche in Eichstätt am 13. Dezember 2015

Ewige Strafe: Kann ein Prominenter, der gefehlt hat, wieder in die Gesellschaft zurückkehren? So titelte eine bedeutende Wochenzeitung  im vergangenen Jahr einen Artikel, in dem es um ein Vergehen eines populären Sportfunktionärs ging. [1]

Der eher kirchenferne Verfasser schrieb beachtenswerte Sätze: „Auf Schuld und Sühne folgt das Recht auf Rehabilitierung. Hier ist in Deutschland etwas dramatisch aus dem Lot geraten. Wo früher Prominente oder besonders Betuchte auf privilegierte Behandlung  hoffen durften, gibt es heute neben dem für Straftaten zuständigen Gericht ein öffentliches Verfahren, in dem jedes Maß verloren gegangen ist.“

Der Autor des Artikels spricht von einem neuen „Reinheitsgebot“ im öffentlichen Leben, das aber hohl ist, weil die öffentlichen Ankläger im Kleinen ebenfalls Fehler begehen, wie dies bei Menschen nie auszuschließen ist. Im Namen dieses Reinheitsgebotes werden Personen mit Versagen an den modernen Pranger medialer Erörterung gestellt. Verzeihen gibt es nicht. Mancher Kritiker würde dieses Vorgeführtwerden selbst nicht eine Stunde aushalten, so der Autor.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen, diese unbarmherzige Welt, auf die ein Artikel in einem säkularen Medium hinweist, erstreckt sich bis in unseren persönlichen Lebensbereich, selbst bei uns Christen. Denken wir an Konflikte und Feindschaften in unseren Familien, an Arbeitsplätzen und in Nachbarschaften, Bekanntenkreisen und an Arbeitsplätzen, nicht zu vergessen unsere stillen negativen Denkmuster über andere. Wie oft gilt da: Ewige Strafe!

Papst Franziskus lädt uns zu einem Exodus ein, aufzubrechen aus der Atmosphäre der Gnadenlosigkeit hinein in die Sphäre der Barmherzigkeit Gottes. Am 8. Dezember, am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis, dem Abschlusstag des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren, hat der Papst das Heilige Jahr der Barmherzigkeit in Rom eröffnet. Heute treten wir in den Bistümern der Weltkirche mit einem sinnenfälligen Ritus in das Heilige Jahr ein. Wir in Eichstätt haben uns in der von Passionistenpatres betreuten Hl. Kreuzkirche versammelt. An diesem Ort befindet sich seit der Mitte des 12. Jhs der Nachbau des Heiligen Grabes Christi, so wie es damals in Jerusalem ausgesehen haben mag. Der Eingang in das Grab Christi ist unsere heilige Pforte. Mit dem Durchschreiten wollen wir unserer Sehnsucht und unserem Vorsatz Ausdruck verleihen, aus der Sphäre der Gnadenlosigkeit, d.h. der Sünde und Schuld, in den Raum der Gnade und Barmherzigkeit Gottes einzutreten, d.h. in die Vertiefung der Beziehung mit dem Herrn und untereinander. Der 3. Adventssonntag liefert das Leitmotiv für den Beginn des Hl. Jahres. Gaudete – Freut euch, der Herr ist nah.

Was ist unter Gottes Barmherzigkeit zu verstehen? Dass der strenge Gott zwischendurch mal ganz nett ist und augenzwinkernd über unsere Fehler hinwegsieht. Oder ist Barmherzigkeit so etwas wie eine himmlische Generalamnestie, auf die wir ein Recht haben? Gar nicht barmherzig wäre es, Sünde und Schuld des Menschen zu verschweigen, zu vertuschen. Barmherzigkeit, die gegen die Gerechtigkeit in Stellung gebracht wird, endet in Willkür und Unbarmherzigkeit.

Unter Gottes Barmherzigkeit dürfen wir uns vielmehr jene göttliche Liebeskraft vorstellen, die dem Willen Gottes und seinem Heilsplan zum Durchbruch hilft. Die Erfahrung von Barmherzigkeit trägt somit stets etwas von Geburtswehen an sich, ist sie doch darauf ausgerichtet ist, neues Leben Gottes hervorzubringen. Pfingsten ist Manifestation der Barmherzigkeit Gottes. Die Glut des Geistes wandelt den Menschen. Da vollzieht sich etwas wie eine geistliche Energiewende! Ziel ist die Versöhnung des Menschen mit Gott, die Heilung und Heiligung des Menschen durch Neuschöpfung. Das Vater unser ist das authentische Gebet der Barmherzigkeit …Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

Wie die feurige Sonne Strahlen abgibt und nicht anders kann, so ist die erbarmende Liebe Gottes in die Welt hinein der Strahl des göttlichen Heilswillens. Barmherzigkeit ist so etwas wie der unsichtbare Fahrplan Gottes in seinem Verhalten Mensch und Welt gegenüber, damit sein Wille geschieht. Die Evangelien offenbaren Gottes Barmherzigkeit als einen anderen Ausdruck für seine radikale Liebe und Erbarmen zum Menschen: lieben, bis es weh tut. Sie geben dem ein Gesicht: Barmherzigkeit Gottes und Jesu Kreuz sind eine Wirklichkeit. Gemäß dem Hebräerbrief bildet sich in Jesu priesterlichem Dienst am Kreuz Barmherzigkeit ab: Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen. (Hebr 2, 17) Am Kreuz hat Gott das Schwache und Sündige von uns zum Seinigen gemacht, damit das Seine, nämlich die Liebeskraft Gottes, das Unsrige würde.

Wir sehnen uns nach Gottes Barmherzigkeit, um nicht in der Sphäre der Gnadenlosigkeit seelisch zu ersticken. Dazu müssen wir uns vom Gekreuzigten und Auferstandenen berühren, in seine Arme nehmen lassen. Liebe Schwestern und Brüder, sich von IHM umarmen zu lassen, an Christi Kreuz und Osterherrlichkeit Anteil zu haben, besagt freilich, dass ich nicht der erste Architekt meines Lebens sein kann. Ich bin es so gerne, ich möchte mein Leben selbst bestimmen und planen, sogar in Krankheit und Krisen. Meine Bitten an Gott sind oft davon geleitet, dass ich zu wissen glaube, wie es richtig laufen müsste. Herr, mache doch möglichst alles so, wie ich es will.

Gottes Barmherzigkeit wird hingegen erfahrbar, wo sein Wille geschieht, wie im Himmel so auf Erden. Für den Menschen erweist sich dies als Prozess der Verwandlung in den Armen des Gekreuzigten und Auferstandenen, d. h. in der Beziehung mit ihm und seiner Kirche. Das ist jedes Mal ein neues Pfingsten aus der Kraft des Hl. Geistes. Gottes Wort zu vernehmen, seine Gegenwart zu empfangen, seine Spuren im eigenen Leben wahrzunehmen und zu ihm umkehren, ihm im Du zu begegnen, kurzum seine Liebe aufzunehmen. Das sind Türen in die Barmherzigkeit Gottes, die mich wiederum begnadet, barmherzig zu sein.

Die Türe der Barmherzigkeit Gottes steht offen. In der Taufe haben wir die Schwelle überschritten. Die eigentliche Heilige Pforte unseres Lebens ist unsere Taufe. Diese Türe, einmal geöffnet und durchschritten, bleibt offen. Es gilt diese Schwelle immer neu zu überschreiten, vor allem im Empfang der Sakramente, besonders der Buße und der Eucharistie. Unser Eichstätter Heiliges Grab erinnert uns an Tod und Auferstehung des Herrn. Daran erhalten wir Anteil in der Taufe.

Das sinnenfällige Zeichen, durch die Heilige Pforte zu gehen, soll mit der Erneuerung unseres Taufbekenntnisses einhergehen. Der Schritt durch die Heilige Pforte mache uns bewusst, dass wir durch die Taufe von der Gnadenlosigkeit in das Reich der Gnade erhoben wurden, dass wir  vom Tod zum Leben, vom Land der Dornen und Disteln ins gelobte Land hinübergegangen sind. Ich lade Sie ein, als Familien, als Ehepaare, als geistliche Weggemeinschaften und als pfarrliche Gruppen, aber auch einzeln zur Heiligen Pforte zu kommen.

Das Überschreiten der Schwelle in unserer engen Heiligen Pforte lässt uns zugleich an die Hemmschwellen, Hindernisse und Hürden auf unserem Pilgerweg denken. Wir bedürfen der Vergebung und wir selbst müssen vergeben, damit der Barmherzigkeit der Weg gebahnt wird. Bewusst ist unsere Eichstätter Beichtkirche Hl. Kreuz als Jubiläumskirche ausgewählt worden. Die Barmherzigkeit des gütigen Vaters wird kaum anderswo so existentiell erfahrbar wie beim Empfang des Bußsakramentes.

Liebe Schwestern und Brüder, im Bußsakrament werden mir zwar meine Sünden vergeben, doch bleiben die Sündenfolgen. Wir erleben Ähnliches in der Umwelt, etwa wenn ganze Landstriche durch Chemieunfälle Schaden nehmen. Mag dann die Ursache des Übels, der Verschmutzung abgestellt sein, die Folgen des Übels bleiben: verseuchter Boden, vergiftetes Grundwasser. So zeitigen auch meine Sünden Folgen. Sie vergiften die geistliche Atmosphäre in mir und in der Gemeinschaft der Kirche. Zwar werden meine Sünden in der Beichte durch Reue und Lossprechung in Christi Wunden gelegt und geheilt, es bleiben die Sündenfolgen. Für diese Sündenstrafen bietet die Kirche im Heiligen Jahr den besonderen Ablass an. Die Kirche gewährt uns angesichts unserer Sündenstrafen, angesichts des geistlichen Umweltschadens, den unsere Sünden verursacht haben, ihr heilendes Beten und Opfern in Stellvertretung. Voraussetzung ist der Empfang des Sakramentes der Buße und die Haltung der Reue und Gebet beim Durchschreiten der Hl. Pforte. Ablass meint also nicht Vergebung der Sünden. Ablass ist die Nachsorge der betenden Kirche im Blick auf die Folgen unserer Sünden, Ablass ist so etwas wie geistlicher Umwelteinsatz der Kirche an mir.

In vielen Jubiläumskirchen dient als Heilige Pforte eine der Kirchentüren. Man geht durch die Heilige Pforte, kann aber die Kirche ohne den Rückweg durch diese Tür wieder verlassen. Nicht so bei unserer Heiligen Pforte am Eichstätter Heiligen Grab, und das ist eine Besonderheit. Man muss durch dieselbe Öffnung aus der Grabkammer in die Kirche zurückkehren, durch die man eingetreten ist. Es gibt keinen anderen Ein- und Ausgang zur Grablege als diese Heilige Pforte. Der Ritus des Durchschreitens der Heiligen Pforte vollendet sich erst, wenn du durch die Hl. Pforte zurückgekehrt bist in den Kirchenraum.

Das ist ein Zeichen: Gottes Barmherzigkeit empfangen und sich aus der Sphäre der Barmherzigkeit Gottes senden lassen in die Gemeinschaft der Kirche, in deine Lebenswelt, in die Welt. Erst wenn Du diese Sendung/Missio annimmst, bewahrheitet sich, was im 1. Johannesbrief steht: Wir sind vom Tode zum Leben hinübergegangen, wenn wir die Brüder lieben (1 Joh 3, 14). Die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit helfen uns bei diesem Hinübergang. Einige seien hier aufgezählt:

Hungernde speisen / Nackte kleiden / Fremde und Obdachlose beherbergen / Kranke und Arme besuchen.

Die Unwissenden lehren / Die Zweifelnden beraten / Die Trauernden trösten / Die Sünder zurechtweisen /Den Beleidigern gern verzeihen /Die Lästigen geduldig ertragen

Liebe Schwestern und Brüder, begeben wir uns auf diesen Pilgerweg des Hl. Jahres. Die ursprüngliche Heilige Pforte, die Taufe, ist stets aufs Neue von Christus kommend auf die Brüder und Schwestern hin zu durchschreiten und von den Schwestern und Brüdern kommend hin zu Christus. Nicht mein Warten auf die Barmherzigkeit anderer, sondern die von mir geübte Barmherzigkeit verändert die Welt und mich.

Amen.


[1]  Giovanni di Lorenzo, in Die Zeit online: 13. März 2014