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Im Wortlaut

Ansprache von Bischof Gregor Maria Hanke OSB beim Neujahrsempfang des Diözesanrates der Katholiken am 16. Januar 2016 in Eichstätt

Verehrte Damen und Herrn,

nur wenige Tage liegen zurück seit meiner Rückkehr aus unserem indischen Partnerbistum Poona/Pune, das ich als Bischof erstmals besucht habe, zusammen mit einer kleinen Delegation meiner Mitarbeiter.

Vor über 60 Jahren hat das Bistum Eichstätt als eines der ersten Bistümer in Deutschland die Fenster zur Welt geöffnet und mit dem indischen Bistum Poona eine sogenannte Patenschaft geschlossen. Obwohl bei uns nach dem Zweiten Weltkrieg noch Mangel und Armut herrschten, haben wir als Bistum Eichstätt mit Ärmeren geteilt. Jährlich wurden aus unserem Bistum die Spenden der damals noch nicht deutschlandweit zentral gesteuerten Sternsingeraktion dem Bistum Poona zur Verfügung gestellt.

Allen Sternsingern der zurückliegenden Jahre gilt unsere Dankbarkeit. Ich durfte mit eigenen Augen sehen, welche Früchte die Eichstätter Hilfe bewirkt hat und noch weiter bewirkt: in Schulen der Diözese Poona, in Kinderprojekten und Kinderheimen für Straßenkinder, im Pastoralzentrum, in einem Heim für kranke und sterbende Menschen, die von der Straße aufgelesen werden, das von Mutter-Teresa-Schwestern geleitet wird usw. Großes wurde von Bischof Valerian geleistet. Der amtierende Diözesanbischof Bischof Thomas Dabre kann dies Pfund einer strukturierten Diözese für seinen interessanten pastoralen Ansatz einsetzen: er selbst will den Armen nahe sein und drängt auch seine Priester dazu, er wirbt für die Bildung kleiner christlicher Gemeinschaften, als ausgewiesener Fachmann für interreligiösen Dialog sucht er das Gespräch mit anderen Religionen.

Allen im Eichstätter Bistum und allen Förderern bin ich beauftragt den innigsten Dank des dortigen Diözesanbischofs Dr. Thomas Dabre und seines Generalvikars zu überbringen, natürlich auch von Bischof em. Valerian D’Souza. Das Bistum Poona/Pune entwickelte sich, aus Patenschaft ist heute Partnerschaft geworden.

Es war mir eine große Freude, im Namen des Bistums Eichstätt Bischof Thomas und Bischof em. Valerian mit der höchsten Auszeichnung zu ehren, die unser Bistum vergibt, der Bistumsmedaille.

Verehrte Gäste, der Blick über unseren Tellerrand auf andere Kulturkreise und junge Kirchen ist für uns Christen in Europa hilfreich. In der Begegnung mit vielen Katholiken unseres Partnerbistums durfte ich erleben, wie offen die Menschen für den Glauben sind, wie der Glaube an Christus unmittelbar auf das Leben einwirkt und Freude bringt, wie kurz der Weg vom Kopf zum Herz und umgekehrt ist. Der längste Weg in der Welt ist ja bekanntlich jener vom Kopf zum Herzen und zurück. Dies gilt besonders für uns in Europa, auch für uns Christen. Wir legen an alles gern die Parameter des Skeptizismus, vor allem an die Botschaft des Glaubens an Christus. Gewiss können wir unsere Tradition kritischer Reflexion und des methodischen Zweifels nicht einfach abstreifen. Aber unser Europa wirkt mehr und mehr als Patient. In diesen Zeiten, in denen das vereinte Europa nicht nur äußerlich leidet, sondern besonders an seiner Seele, sollten wir Christen, anstatt der Politik die Schuld zuzuweisen, die selbstkritische Frage wagen, ob sich nicht in der Schwäche Europas auch die Schwäche unseres christlichen Glaubens spiegelt.

Der große Europäer und sozialistische Politiker Jaques Delors formulierte noch in den 90-er Jahren gegenüber einer fest installierten Gesprächsgruppe aus Äbten verschiedener Orden und Konfessionen, dass ein geeintes Europa das Bewusstsein braucht, wo seine Wurzeln herkommen: unter anderem aus den mittelalterlichen Domschulen und klösterlichen Kreuzgängen. Ich gehörte dieser Gruppe an und war angetan, unter dieser Perspektive mit europäischen Verantwortungsträgern ins Gespräch zu kommen.

Kreuzgänge, Klosterschulen als Stätten humanistischer Bildung, und später die Universitas aus denen die geistigen Kräfte erwuchsen! Das moderne Europa setzt statt umfassender Bildung auf Ausbildung nach den Regeln der Ökonomie und des Marktes (eine der Schwächen des Bologna-Prozesses). An die Stelle der Kirchen, Klöster, Schulen und Bibliotheken traten als impulsgebende Stätten die Skylines der Banktürme und die Börsenhallen. In der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel führten Maßlosigkeit und blinde Fortschrittsgläubigkeit zur Sprachverwirrung, zur Orientierungslosigkeit. Am Ende verstanden die Menschen einander nicht mehr, sie gingen auseinander. Mir scheint, dass wir derzeit in der Staatengemeinschaft eine Art babylonische Sprachverwirrung und Misstrauen erleben.

Man denke nur an die Flüchtlings- und Asylthematik mit der immer mehr zutage tretenden Orientierungslosigkeit, die sich in Sprachverwirrung ausdrückt. Einst Willkommenskultur gegenüber allen ankommenden Flüchtlingen – heute wachsende Ängste, Rufe nach Veränderungen, wöchentlich veröffentlichte Stimmungsbarometer mit fallender Zustimmungskurve. Was sich in den letzten Tagen in der Politik über Parteien hinweg als Mainstream-Position herauszukristallisieren beginnt, wenn auch noch unter differierender Sprachetikettierung, wäre vor vier oder fünf Monaten medial als rechts vielleicht sogar gar rechtsradikal, fremdenfeindlich und islamophob gebrandmarkt worden.

Und dann die Vorkommnisse der Silvesternacht in Köln, ohne Frage nicht hinnehmbar, entsetzlich! Warum aber jetzt diese aufgeregte Berichterstattung? Die Flüchtlinge sind bereits lange bei uns. Sollten sich die Flüchtlinge in ihrem Verhalten plötzlich verändert haben? Oder beginnen wir uns zu verändern? Wenn ja, warum? Gilt „Willkommen“ nicht mehr? Fragen, über die nachzudenken lohnend ist, auf die es keine schnellen Antworten gibt.

Eines sollte in jedem Fall weiterhin beachtet werden: Menschen in Not muss geholfen werden. Das galt vor fünf und drei Monaten, das gilt auch heute und morgen. Das „Wie“ ist sachlich und nüchtern anzugehen. Wenn wir nicht Getriebene veröffentlichter Meinungen, Getriebene des pragmatisch gerade Machbaren, Getrieben unserer eigenen Emotionen (positiver wie negativer) und unserer Ängste sein wollen, braucht es eine Besinnung auf unsere geistig-geistlichen Wurzeln. Konkret: ich brauche diese Besinnung für mich persönlich. Nicht die Zeitung oder die öffentliche Meinung kann mir meine Standortbestimmung abnehmen. Ohne den Rückbezug auf die Wurzeln wird unsere Identität in Deutschland und Europa schwach ausgeprägt bleiben. Wie soll da Integration gelingen? Wohin und in was integrieren? Wir Christen brauchen die Rückbesinnung auf den Glauben, die zugleich Ferment für die Gestaltung einer guten Zukunft sein soll. Keine Nostalgie, eher Prophetie, die kommt aber nicht ohne den Rückblick aus. Unser christliches Glaubenszeugnis ist gefragt. Salz der Erde, Licht in der Welt sind wir. Das Salz entfaltet sich erst wenn es etwas beigegeben wird.

So wünsche ich uns allen für das Jahr 2016 die Bereitschaft, danach zu suchen: Was ist mein Auftrag vom Herrn her, was ist unser Auftrag vom Herrn her als Pfarrgemeinde, als kirchlicher Verband. Was ist unsere Sendung? Gottes Segen möge uns auf diesem Weg begleiten im Jahr 2016!