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Im Wortlaut

Ansprache von Bischof Gregor Maria Hanke OSB beim Neujahrsempfang des Diözesanrates der Katholiken am 17. Januar 2015 in Eichstätt

Eminenz, lieber Metropolit Serafim, lieber Bischof Walter, lieber Herr Regionalbischof Weiß, sehr geehrter Herr Diözesanratsvorsitzender Gärtner, liebe Vertreter der verschiedenen Gremien des Bistums, verehrte Gäste aus Politik, Behörden, Gewerkschaften und dem öffentlichem Leben, liebe Mitbrüder aus dem Domkapitel, liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst aus den Pfarreien, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ordinariat und aus den unterschiedlichen pastoralen Berufsgruppen!
Lieber Jugendbläserchor!

Das Jahr 2015 begann mit einer unmenschlichen und schockierenden Gewalttat in Frankreich. Wir alle sind erschüttert und trauern um die Opfer des Anschlags in Paris. Weil die brutalen Mordtaten die Einschränkung des Grundrechtes der Meinungsfreiheit zum Ziel haben, sind sie auch ein massiver Angriff auf die freiheitliche Wertordnung insgesamt. Das in Paris Geschehene ist Terror und nichts als Terror. Wir trauern um die Opfer!

Religion und Gewalt

Im Gefolge dieser Schreckenstat konnte man auch Äußerungen begegnen, dass Religionen grundsätzlich Gewaltpotentiale in sich trügen. Auch auf die dunklen Seiten des Christentums wird dabei verwiesen, weil von Christen im Laufe der Geschichte ebenfalls im Namen Gottes Gewalt angewendet wurde. Die einen warnen also pauschal vor der Religion wegen ihrer Gewaltpotentiale, andere setzen auf einen Prozess nach Art der Aufklärung, der die Religionen, in diesem Fall also den Islam, läutern soll.

Hierbei gilt es allerdings zu bedenken, dass gerade das junge Christentum, die Kirche und ihre Missionsbewegung im Römerreich, über die ersten drei Jahrhunderte nach Christus eine ausschließlich friedliche und friedliebende Bewegung war. Christen übten keine Gewalt aus, sie erlitten vielmehr selbst Gewalt bis hin zum Martyrium. Der Glaube an Jesus Christus aber verbreitete sich, die Kirche wuchs. Dabei deutete die junge Kirche auch das wegen seiner kriegerischen Passagen immer wieder als Beispiel für die gewalttätige Seite des jüdisch-christlichen Gottesglaubens herangezogene Alte Testament im Lichte Christi. Für die frühen Christen war klar, dass es nur im Geist der Bergpredigt und der Seligpreisungen gelesen und verstanden werden kann, also in einem geistlichen Schriftverständnis.

Verbindung mit dem Staat

Erst als es im 4. Jahrhundert zu einer Verbindung kam von christlichem Glauben und Staatssystem, von Kirche und Politik, und das Modell eines christlichen Staatswesens Gestalt annahm, das über Jahrhunderte Vorbildwirkung behalten sollte, wurde einem Missbrauch der Gewalt unter religiösem Vorzeichen die Tür geöffnet. Und selbst dann konnte sich kein christlicher Krieger im Falle von Gewaltausübung auf den Gründer der Religion, auf Jesus Christus berufen. Dieser hatte lieber bereitwillig den Tod am Kreuz auf sich genommen als irdische Gewalt anzuwenden. Denn sein Reich und seine Herrschaft sind nicht von dieser Welt, wie er vor dem römischen Statthalter Pilatus bekannte. Alles, was dem Gottesreich dient, soll auf irdische Gewaltausübung verzichten: Petrus, stecke dein Schwert in die Scheide. Denn wer zum Schwert greift, kommt durch das Schwert um. (Mt 26,52) Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. (Mt 22,21)

Die positive Säkularität des Gemeinwesens ist dem Christentum also nicht fremd. Diese Differenzierung ist dem Christentum als Potential auch nicht erst durch die Aufklärung zugewachsen. Es ist wichtig, daran zu erinnern, damit der Diskurs zum Thema Religion und Gewalt differenziert geführt wird und nicht in einen Kreuzzug gegen jede Religiosität und Religion abgleitet, was letztlich auch das Gut der Freiheit beschädigen würde.

Verteidigung von Presse- und Meinungsfreiheit

Meine sehr verehrten Damen und Herrn, angesichts des Pariser Massakers wurde auf das hohe Gut der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit hingewiesen, das es zu verteidigen gilt. Aber wie können wir dieses Grundrecht schützen?

Die Pressefreiheit stellt zunächst ein Freiheitsrecht gegenüber dem Staat dar, ein Schutzrecht zur Abwehr von staatlichen Eingriffen und Gängelungen. Dieses ursprüngliche Staatsabwehrrecht entfaltet seine positive Wirkung für das gesellschaftliche Zusammenleben erst dadurch, dass die dahinterstehende freiheitliche Idee in die Gesellschaft ausstrahlt und dort allgemein akzeptiert und anerkannt wird. Die breite gesellschaftliche Akzeptanz beruht allerdings darauf, dass das Recht in verantwortlicher Weise genutzt wird. Die freie Meinungsäußerung und die Verantwortung im Gebrauch des Rechtes gehören daher zusammen.

Auch Satire darf nicht alles

Charlie Hebdo ist ein Satiremagazin. Niemand kann ernstlich infrage stellen, dass die Satire integraler Bestandteil des freiheitlichen Presse- und Kommunikationswesen ist, auch wenn sie brüskiert und gesellschaftliche Kontroversen verursacht. Die Frage indes, was noch als religiöse Satire gelten kann und was nicht mehr, weil religiöse Überzeugungen einer Glaubensgemeinschaft über ein zumutbares Maß hinaus verletzt oder gar missachtet werden, ist nicht immer leicht zu beantworten. Eine säkulare Gesellschaft braucht allerdings schon aus Eigeninteresse einen praktizierten Grundrespekt vor religiösen Bekenntnissen, weil diese Konkretionen der Religionsfreiheit sind. Und Religionsfreiheit gehört zur Menschenwürde.

Gerade die Satire, die hart an der Grenze zur bewussten Verletzung anderer - besonders religiöser - Überzeugungen bewegt, muss von Verantwortungsbewusstsein unterfangen sein. Satire darf nicht einfach alles.

Ich muss nicht „Charlie sein“

Das in der Tradition eines antireligiösen französischen Laizismus stehende Magazin Charlie Hebdo wagt sich gern in diese Grenzzone und hat sich dabei des Öfteren über den Respekt vor religiösen Gefühlen hinweggesetzt, nicht nur über die von Muslimen, sondern gerade auch von Christen. „Je suis Charlie“, so konnte man in den letzten Tagen verschiedentlich lesen. Ich muss als Christ jedoch keineswegs „Charlie sein“, um dennoch ein entschiedener Befürworter der Pressefreiheit zu sein - und zutiefst betroffen angesichts der Pariser Mordopfer.

Verfassungswerte mit Leben füllen

Doch wie kann nun das Gut der Meinungs- und Pressefreiheit verteidigt werden?

Legen Ereignisse wie die in Paris es nicht nahe, den Blick wieder auf die Grundwerte unserer freiheitlichen Gesellschaft zu richten? Denn unser Staat ist zwar weltanschaulich neutral, aber wir leben keineswegs in einem wertneutralen Staat. Das Bekenntnis durch Wort und Tat zu den Werten, die die Väter unserer Verfassung aufgrund des Schreckens des Naziterrors im Dritten Reich als so hohes Gut erachteten, dass sie sie zu Verfassungswerten erhoben haben, ist ein heilsamer und heilender Weg für das gesellschaftliche Miteinander.

Nun ist die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gefragt, diesen Werten in Haltungen und Einstellungen Gestalt zu geben. Ich zähle stellvertretend einige auf: Die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Schutz der Familie.

Wir Christen können aus christlichem Geist heraus unseren Beitrag dazu leisten, indem wir aus dem Nährboden unseres Glaubens diese Werte mit Leben erfüllen. Verspüren die Menschen, wie die festgeschriebenen Werte in konkrete Haltungen übergehen, wird sich das gesellschaftliche Miteinander positiv gestalten und eine große Integrationskraft entfalten.

Solidarität und Menschenwürde konkret

Lassen Sie mich nur einige Fälle exemplarisch durchbuchstabieren. Nehmen wir die Würde des Menschen und die Solidarität:

Als Christ gehört das Bekenntnis zur Würde des Menschen zum Kern meines Glaubens, weil jeder Mensch unserer Überzeugung nach Gottes Ebenbild ist. Das christliche Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe ist zudem der Boden für die gelebte Solidarität.

Deshalb sollte es für uns Christen kein grundsätzliches Problem darstellen, den Fremden, den Asylbewerber, den Menschen in Not unabhängig von Glaube und Nation unseren Möglichkeiten entsprechend aufzunehmen oder ihm beizustehen. Die von Seiten des Bistums ermöglichte und unterstützte Flüchtlingserstaufnahme hier in Eichstätt sind ebenso wie die vielen großen und kleinen Hilfeleistungen und Unterstützungen in unseren Pfarreien Früchte der christlichen Lebenshaltung, die der Gesellschaft zugutekommen.

Weil wir von der Würde des menschlichen Lebens und von seiner Unantastbarkeit überzeugt sind, weil dem alten und schwerkranken Menschen gleichfalls Solidarität gebührt, wehren wir uns auch gegen die Zulassung der Tötung auf Lizenz, gegen den sogenannten „assistierten Suizid“.

Vielfalt und Religionsfreiheit gehören zusammen

Angesichts der Zuwanderung und des Zustroms von Asylbewerbern und aufkommender Ängste im Land ist verständlicherweise der Ruf vernehmbar, Deutschland solle bunt bleiben dürfen. Die Vielfalt, die Buntheit der Herkünfte, Religionen und Kulturen unter einem Dach, zu dessen Traggerüst auch Toleranz und Religionsfreiheit gehören, hat Zukunft. Diese Religionsfreiheit ist nicht allein eine vom Staat gewährte Freiheit gegenüber den Glaubensrichtungen, sondern auch eine, die sich die Menschen gegenseitig gewähren müssen. Menschen dürfen unter diesem Dach, in unserer Gesellschaft, nicht unter physische Bedrohung geraten, wenn sie etwa einen fremd erscheinenden Glauben haben oder ihren Glauben wechseln möchten. Wenn Buntheit in dieser Freiheit gelebt wird, steht es nicht schlecht um die Zukunft des Miteinanders.

Verehrte Gäste, liebe Schwestern und Brüder. Lassen Sie uns im Jahr 2015 Verantwortung übernehmen für die vor uns liegenden Herausforderungen. Wir Christen wollen und dürfen unseren Beitrag nicht schuldig bleiben. Wir sollten jedoch nicht unbedacht im öffentlichen Mainstream momentaner Trends mitlaufen, sondern die Potentiale unseres Glaubens bedenken und fruchtbar machen zum Wohle der Menschen und des Gemeinwesens. Dazu müssen sich Christen bewegen, am besten immer zu ihren Wurzeln und von ihren Wurzeln her in die Gesellschaft hinein. Gott gebe uns seinen Segen für das vor uns liegende Jahr!

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt