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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB beim Pontifikalgottesdienst mit Erneuerung der Marienweihe am 16. Juli 2009 im Münster „Zur Schönen Unserer Lieben Frau“ in Ingolstadt

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

es erfüllt die Gläubigen der Stadt Ingolstadt und des ganzen Bistums Eichstätt mit Freude, Dankbarkeit, ja mit legitimem Stolz, dass im Jahre 1571 eine Kopie des bedeutendsten römischen Gnadenbildes Salus populi Romani („Heil des römischen Volkes“) in das Ingolstädter Jesuitenkolleg kam. Seit 1883 beherbergt diese Münsterkirche „Zur Schönen Unserer Lieben Frau“ das Gnadenbild der Dreimal Wunderbaren Mutter.

In der schweren Zeit nach der Reformation, im Jahre 1569, hatte Papst Pius V. dem damaligen Jesuitengeneral Francesco Borgia die Erlaubnis erteilt, einige wenige Kopien der in Santa Maria Maggiore verehrten Ikone anfertigen zu lassen und an Wirkungsstätten des Jesuitenordens zu geben.

Der aus Bregenz stammende Jesuitenpater Jakob Rem, ein heiligmäßiger, begnadeter Jugenderzieher und brennender Marienverehrer, versammelte täglich vor diesem Marienbild seine studierende Jugend zum Gebet. Hatte er doch während seines römischen Noviziates eine große Liebe zum Gnadenbild in Santa Maria Maggiore gewonnen. Geistliches Wachstum und spirituelle Fruchtbarkeit in schwieriger Zeit gingen vom Bild der Mutter Gottes in Ingolstadt aus. Das Gnadenbild wurde Kristallisationspunkt, ja Gnadenquelle einer Bewegung, des berühmten Colloquium Marianum, aus dem der Kirche in unserem Land reicher Segen und viel Kraft zur Erneuerung erwachsen sollte. Die Früchte der Bewegung von einst sind heute noch spürbar. Pater Kentenich, der Gründer der Schönstattbewegung, ließ sich vom Glaubensgeist und der Spiritualität des Colloquium Marianum anregen und wollte die geistlichen Schätze durch die Schönstattbewegung in die neue Zeit übertragen.

Wie meine Vorgänger im Bischofsamt seit Bischof Michael Rackl nehme ich heute die ehrenvolle Aufgabe wahr, das Bistum Eichstätt der Dreimal Wunderbaren Mutter zu weihen.

Nur wenige Meter vom Münster entfernt findet zeitgleich eine für die Wirtschaftsregion Ingolstadt durchaus bedeutende Veranstaltung statt, die vielleicht mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht als die Liturgie dieser Stunde. Ein Kontrast! Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Ereignisse weist uns darauf hin, wie sich unsere Zeit und Gesellschaft gewandelt haben. Und doch sind wir wie die Christen früherer Generationen gerufen, unser Christsein vertrauensvoll unter den gegebenen Bedingungen zu leben und nicht auf sogenannte bessere Zeiten zu warten. Diese Phänomene einer pluralen und säkularen Gesellschaft laden uns ein, die Zeichen der Zeit zu lesen und unsere Berufung auf diese Zeit hin zu leben. Statt zu klagen oder zu kritisieren haben wir den Dienst der Stellvertretung für unsere Zeitgenossen wahrzunehmen. Stellvertretend wollen wir daher die Freuden und Sorgen der Menschen in den Weiheakt an Maria hereinnehmen und alles gleichsam unter dem Schutzmantel der Gottesmutter einbergen.

Zuflucht unter ihrem Schutz und Schirm

Freilich stellt sich auch mancher Gläubige die Frage, ob denn bei aller Berechtigung der Marienverehrung eine Marienweihe am Ende nicht doch eine übertriebene marianische Frömmigkeitsform darstellt. Weihe im religiösen Sinne besagt ja: völlige Hingabe, Übergabe an Gott. Kann man denn als Christ sein Leben einem anderen als Gott weihen und übergeben? Welche Bedeutung sollte dann der Marienweihe zukommen?

Liebe Schwestern und Brüder, vielen von uns ist das Gebet geläufig: Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, hl. Gottesgebärerin – sub tuum praesidium confugimus, sancta dei Genitrix. Gerade dieses Gebet erschließt uns die Bedeutung der Marienweihe. Deshalb habe ich den Anfang dieses Gebetes als Inschrift an der Votivlampe beim Gnadenbild der Dreimal Wunderbaren Mutter anbringen lassen.

Verehrungswürdig wegen seines Alters und wegen seines Inhalts großartig nannte Papst Paul VI. dieses Gebet. Ein ägyptischer Papyrus, eine Papierhandschrift um das Jahr 250 n. Chr., bezeugt es bereits, d. h. es musste zumindest schon um das Jahr 200 Bestandteil des christlichen Gebetsschatzes gewesen sein und zählt damit zu den ältesten Mariengebeten der Christenheit.

Die einleitenden Gebetsworte Unter deinen Schutz und Schirm lassen uns an das Bild der Schutzmantelmadonna denken, vielleicht an jenes in der Sakramentskapelle des Eichstätter Doms, unter deren weiten Mantel sich schutzsuchend die von Sorgen geplagten Menschen flüchten, dort aber zur Weggemeinschaft geformt werden. Was die Kunst bildlich oder plastisch darstellt, vollziehen wir heute geistlich durch das Weihegebet an Maria. Menschen, die sich Maria weihen, suchen ihre Nähe, ihre Weggemeinschaft und ihren Schutz.

Himmelsleiter zur Begegnung zwischen Gott und Mensch

Nun steht aber Maria in engster Schicksalsgemeinschaft mit ihrem Sohn. Sie wurde dem Mensch gewordenen Sohn Gottes leibliche Mutter. Weil auch wir durch die Taufe eins geworden sind mit Christus, ist sie gleichfalls unsere Mutter. Ihre Nähe zu suchen, bedeutet also die Nähe Christi suchen. Wir weihen uns ihr, weil wir uns nach Christus sehnen, weil sie für die Nähe zu Christus steht. Liebe Schwestern und Brüder, Maria dient in der Heilsgeschichte als Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch, und zwar auf urmenschliche, auf mütterliche Weise.

Sie ist weit mehr als eine herausragende Heilige unter vielen anderen, sie ist in gewisser Weise die ‚Spitze der Menschheit’[1], die bereits in Gott hineinreicht. Ihr gehorchendes Ja-Wort vor dem Verkündigungsengel im Haus zu Nazareth und die Haltung ihrer Demut als Magd des Herrn machen andererseits kund, dass sie auch fest auf dem Boden der irdischen Wirklichkeit steht und Schwester der Menschen ist. Ihre Aufnahme in die Herrlichkeit des Himmels bürgt dafür, dass sie gleichsam Himmelsleiter ist, die von der Erde zum Himmel reicht.

Der alttestamentliche Patriarch Jakob sah die Begegnung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch im Traum voraus (Gen 28, 10ff.). Er schaute eine Treppe, eine Leiter, die auf der Erde stand und bis in den Himmel reichte. Engel stiegen auf und nieder, Zeichen der Begegnung zwischen Gott und Mensch. Etwas Unerhörtes erblickte der Patriarch Jakob: Die für den Menschen nicht zugängliche Herrlichkeit Gottes öffnete sich auf den Menschen, auf die Welt hin. Erschrocken rief er aus: „Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels“ (Gen 28,17). Die alttestamentliche Vision der Jakobsleiter findet ihre Erfüllung in Maria. In ihrer Person öffnete sich das Tor des Himmels zur Begegnung zwischen Gott und Mensch.

Ihr Dienst als unsere Mutter ist zugleich der der Türsteherin: Uns in Liebe und Freundlichkeit die Tür zu Christus zu öffnen, uns zu ihm zu führen, Christus sehen zu lernen mit ihren Augen!

Der hl. Augustinus bezeichnet Maria als die lebendige Grußform Gottes! Die Grußform Gottes an die Menschen und Grußform der Menschen an Gott, so könnte man den Gedanken des hl. Augustinus fortführen.

Maria dient auch heute als Leiter, auf der sich das Kommen Gottes zum Menschen und die Aufnahme des Menschen in Gott ereignen: Ort der Begegnung.

Im Schoß Mariens ist in seiner Menschheit durch Gott den Vater Christus aufgenommen worden. Maria spricht prophetisch davon im Magnificat: Suscepit Israel puerum suum – Er hat seinen Knecht, seinen Sohn Israel, sein Kind Israel angenommen, aufgenommen. Die Worte sind Verheißung auch an uns: Im Sohn des Vaters nimmt Gott zugleich sein ganzes Israel, das Gottesvolk, die Schwestern und Brüder des neuen Israel der Kirche auf.

Pädagogin, die zu Christus führt

Ja, Maria ist Bewegerin auf Christus hin, Sachwalterin unseres Gottesbezugs. Was er euch sagt, das tut! Diese Worte bei der Hochzeit zu Kana an die Diener gelten auch uns heute. In Maria treffen wir auf unsere große Pädagogin, die, wie Pater Kentenich es einmal formulierte, selbst christusgestaltet ist und christusgestaltend wirkt.[2] Ihre Pädagogik ist die der Christusgestaltung. Daher sollte Marienverehrung nicht als Umweg zu Christus gedeutet werden. Wo Menschen sich an die Hand Mariens begeben, will diese Pädagogin für Christus die Bewegung des Glaubens auf Christus hin auslösen. Sie doziert nicht, sondern bringt sich selbst bei jedem ihrer Weggefährten mit ihrem Dienst der Stellvertretung ein. Maria ist das große Beispiel christlicher Solidarität gegenüber den Menschen, marianische Existenz ist solidarische und stellvertretende Existenz. Ein großer Marienverehrer drückte ihre solidarische Wegbegleitung so aus: „Jedesmal, wenn du Maria lobst und ehrst, lobt und ehrt sie für dich den Herrn …Maria ist ganz auf Gott bezogen … (ist) die reine Gottesbeziehung, die nicht existiert, wenn nicht in Beziehung zu Gott … Wenn du Maria sagst, sagt sie Gott.[3]

Beschenkt und gestärkt durch die Solidarität Mariens wollen wir in der Haltung der Gottesmutter die Begegnung mit Christus suchen und im Geiste des Magnificat Aufnahme in Gott finden. Suscepit Israel puerum suum – Er hat seinen Knecht, seinen Sohn, seine Tochter aufgenommen.

Marienweihe heißt also, das Bündnis mit Maria eingehen, um unter ihrem Schutz und Schirm, in ihrer Weggemeinschaft und gestützt durch ihre Solidarität mit ihrem Sohn vereinigt zu werden.

Als Gottes Kinder an der Hand der Dreimal Wunderbaren Mutter

Liebe Schwestern und Brüder, wir kennen die Redeweise von einem wunderbaren Menschen: „Er/Sie ist ein wunderbarer Mensch.“ In einem solchen Menschen strahlt uns mehr auf als nur das Gewöhnliche. In einem solchen Kompliment steckt höchste Anerkennung und Verehrung. Heute richten wir stellvertretend für das ganze Bistum Eichstätt in tiefer Dankbarkeit durch die Marienweihe dieses Kompliment, dieses Lob an Maria: Maria, Du wunderbare, Du dreimal wunderbare Mutter, die du uns auf dem Weg zu Christus in Bewegung halten möchtest, die du allen im Bistum deine ganze geistliche Solidarität schenken und sie unter deinem Schutz und Schirm zur großen Weggemeinschaft Christi formen willst. Heute erneuert jeder von uns hier sein: Totus tuus – ganz und gar Dein, Maria!

In einer Vision des Jahres 1604 erfährt Pater Jakob Rem, dass die Gottesmutter unter all den Titeln der Lauretanischen Litanei hier in Ingolstadt besonders als Wunderbare Mutter angerufen werden möchte. Nach seiner Vision lässt der heiligmäßige Ordensmann beim Beten der Litanei in der abendlichen Andacht den Titel „Du wunderbare Mutter“ dreimal singen: Mater ter admirabilis, dreimal wunderbare Mutter!

  • Wunderbar ist Maria als Mutter, weil sie uns in die Haltung der wahren Kindschaft Gottes einführt. Wir sind berufen, Kinder Gottes zu sein und Gott Vater zu nennen. Maria lebt uns die Dimension des Kindseins vor, sie führt uns hin. Kind Gottes zu sein, entlastet von falschen Zwängen. Das Kind darf alles erwarten, das Kind darf um seine Schwäche und Bedürftigkeit wissen. In einer Leistungsgesellschaft, in der das Kind keine sonderliche Wertschätzung erfährt, sondern vor allem Leistung, Perfektion, Macht und Einfluss zählen, brauchen wir Mariens Begleitung für den Weg unserer Kindschaft.
  • Wunderbar ist Maria als Mutter, die der Nähe Gottes zum Menschen ein vertrauenswürdiges Gesicht verleiht. Als Glaubende auf unserem Pilgerweg brauchen wir die Erfahrung der Nähe Gottes und der Geborgenheit in Gott. Über die Mutter des Herrn werden uns solche Erfahrungen geschenkt. Ihr mütterlicher Dienst hält in uns gleichsam das Urvertrauen des Gotteskindes wach! Einen Glauben ohne kindliches Vertrauen, ohne dieses kindliche Urvertrauen, kann es nicht geben.
  • Wunderbar ist Maria, weil sie – anders als manche irdische Mutter - uns nicht an sich ketten, uns nicht besitzen will und kann. Ist ihre Existenz doch reine Gottesbeziehung. Sie ist wunderbar, weil sie einem Fluss, einem Strom gleicht, der immerfort ins Meer fließt, eben zu Christus. Von ihr geleitet wollen wir den Weg gehen, wie es das Tagesgebet des neuen Messformulars zu Ehren der Dreimal Wunderbaren Mutter formuliert:

Vater des Erbarmens, gewähre gnädig, dass auch wir, an der Hand Mariens den Spuren des Evangeliums folgend, den Lohn des ewigen Lebens erlangen.

Amen.


 

[1] Köster: cf. Hartmann, Die Magd des Herrn, 397-98.

[2] M. Levermann, Die Mitwirkung Marias im Heilsgeschehen und ihre Relevanz für den Menschen als altera Maria, Ms. Vallendar 2001, 75-86, cf. Hartmann, Die Magd des Herrn, 403.

[3] L.-M. Grignion von Monfort, Abhandlung über die wahre Marienverehrung, Vallendar-Schönstatt 1998, 200: zitiert nach Hartmann, Die Magd des Herrn, 407.