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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Österlichen Bußzeit am 1. Fastensonntag, dem 14. Februar 2016

Liebe Schwestern und Brüder!

In den ersten Tagen des Jahres 2016 brach ich mit einer kleinen Delegation zu einem Besuch unseres indischen Partnerbistums Poona(1) auf. Seit über 60 Jahren besteht die Partnerschaft zwischen unseren beiden Diözesen. Sie ist eine der ältesten weltkirchlichen Beziehungen, die ein deutsches Bistum eingegangen ist. Der emeritierte Bischof von Poona, Valerian D‘Souza, betont immer wieder voll Dankbarkeit, dass Eichstätt bei Beginn der Partnerschaft zu den armen Diözesen Deutschlands zählte und doch bereit war, mit den noch ärmeren Schwestern und Brüdern im Bistum Poona zu teilen.

Barmherzigkeit bringt Segen
Dabei gilt es besonders den Sternsingern unseres Eichstätter Bistums zu danken, die über die Jahrzehnte hinweg für unsere Partnerdiözese gesammelt haben, und ebenso all jenen, die zum Teilen mit den Schwestern und Brüdern in Indien bereit waren und sind. Unsere Sternsinger sind Segensbringer, nicht nur für unsere Wohnungen und Häuser, sondern auch für viele Bedürftige in Poona, für Kinder in Heimen und Schulen.

Viele Begegnungen zeigten mir und unserer Eichstätter Delegation, dass unsere beständige Unterstützung nun wiederum uns segensreiche Erfahrungen bringen kann. Manches, was wir erlebten, war wie eine Katechese zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit. Einige dieser Erfahrungen möchte ich in diesem Hirtenbrief mit Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, teilen und in den geistlichen Kontext stellen, den uns Papst Franziskus in seinem Brief zur Fastenzeit 2016 mit Blick auf das Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnet hat.(2)

Liturgie und persönliches Gebet als Begegnung mit der barmherzigen Liebe Gottes wandeln das Herz des Menschen
Unser Heiliger Vater beschreibt am Anfang seiner Botschaft, wie sich das Geheimnis der Barmherzigkeit, das überreiche Erbarmen und die Liebe Gottes, die um den Menschen ringt, im Bund mit seinem Volk offenbaren. Das göttliche Liebesdrama mit dem Menschen erreicht im menschgewordenen Sohn seinen Höhepunkt. Papst Franziskus lädt uns ein, die Fastenzeit in diesem Heiligen Jahr noch bewusster als eine besondere Zeit zu begehen, in der die göttliche Barmherzigkeit erfahren und gefeiert wird.

Liebe Schwestern und Brüder, wir begegnen Gottes Barmherzigkeit und dürfen sie erfahren. Unsere liturgischen Feiern sind eine Vergegenwärtigung der Barmherzigkeit Gottes. Vor allem gilt dies für die Eucharistiefeier und den Empfang des Bußsakramentes, des Sakramentes der Versöhnung, aber auch für die persönlichen Begegnungen mit dem Herrn in seinem Wort, in den verschiedenen Formen der Anbetung und des persönlichen Betens. In allem ereignet sich das, was die Kirche täglich im Benedictus lobpreisend besingt: Es besucht uns das aufstrahlende Licht aus der Höhe durch die barmherzige Liebe unseres Gottes (vgl. Lk 1,78). Wir lassen uns nur mit unserem Herzen oftmals nicht ein auf diesen Kern. Wirkliche Begegnung mit dem aufstrahlenden Licht und der barmherzigen Liebe Gottes ereignet sich nicht, weil wir das religiöse Leben nur als Pflichtveranstaltung betrachten. Wir leisten es ab wie einen Kurzbesuch bei lästigen Verwandten, dessen einzige Attraktivität in seinem ersehnten Ende besteht.

Wo hingegen das Herz in der Liturgie und im persönlichen Gebet Begegnung feiert mit der barmherzigen Liebe Gottes, wird Wirklichkeit, was Papst Franziskus schreibt: „Die Barmherzigkeit Gottes verwandelt das Herz des Menschen, lässt ihn eine treue Liebe erfahren und befähigt ihn so seinerseits zu Barmherzigkeit.“

Mir fiel sehr positiv auf, wie bei den Messfeiern, die ich an verschiedenen Orten des Bistums Poona erlebte, durch kleine Zeichen sinnenfällig in Erinnerung gerufen wurde, dass die Liturgie Vergegenwärtigung der Barmherzigkeit Gottes ist. Vor der Messe oder am Ende der Heiligen Messe betete man gemeinsam das Gebet von Papst Franziskus zum Jahr der Barmherzigkeit. Die Homilie und die Fürbitten standen vielfach in Bezug zum geistlichen Anliegen des Heiligen Jahres. In nahezu allen Kirchen fand sich das entsprechende Logo gut sichtbar aufgestellt, dieses Bild, das Christus als guten Hirten zeigt, der den Menschen gleich einem verlorenen Schaf auf seinen Schultern heimträgt. Diese Zeichen halten das Bewusstsein wach, dass die Begegnung mit dem barmherzigen Vater in den vielfältigen liturgischen Feiern bewirken soll, dass in meinem Handeln seine Barmherzigkeit aufscheint. Liturgie und persönliches Gebet sind auf unsere Verwandlung ausgelegt. Liebe Schwestern und Brüder, es braucht unser verwandeltes Herz, an dem die Welt Gottes Barmherzigkeit als prophetische Botschaft ablesen kann.

Die Teilhabe an der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes erhebt uns in die Weggemeinschaft mit dem barmherzigen Christus
Der Weg der Verwandlung führt über die Gemeinschaft der Eucharistiefeier, über die Gemeinschaft im Gebet und im Wort Gottes: „Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20), verheißt uns der Herr. Die Bedeutung der Gemeinschaft für den Weg der Jüngerschaft bezeugten uns in Poona die Vertreter der sogenannten „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“, die aus dem ganzen Bistum zu einem Treffen mit der Eichstätter Delegation zusammenkamen.

In einer Reihe von Pfarreien im Bistum Poona bilden Frauen und Männer, ebenso Kinder und Jugendliche, nach dem Vorbild der frühen christlichen Hauskirchen miteinander kleine Gemeinschaften, die sich regelmäßig zum Gebet und zur Betrachtung des Wortes Gottes versammeln. Gemeinsam fragen sie, was ihnen Gottes Wort konkret in ihre Lebenssituation hinein sagen will und wozu sie der Herr hier und heute sendet. Dieser letzte Aspekt, der Blick für die Not anderer und die Bereitschaft, Werke der Barmherzigkeit verbindlich zu übernehmen, steht am Ende einer jeden Zusammenkunft.

Bischof Thomas Dabre wirbt in den Pfarreien des Bistums für diese Form christlichen Lebens. Man kann nicht alleine Jüngerin oder Jünger Jesu sein, so der Bischof.

Christsein ist Berufung in eine neue Existenzweise, weil wir durch Christus in die Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes berufen sind. Gott gewährt uns durch die Taufe und die anderen Sakramente Anteil an seinem Leben der Gemeinschaft. Dadurch werden wir als Jünger in Christi Sendung hineingenommen, Leben zu teilen und mitzuteilen an die Schwestern und Brüder in Christus.

Ein solcher Weg der Jüngerschaft wandelt die Perspektive meines Christseins. Statt der Frage, was die Kirche tun muss, wie sie sich ändern sollte, um mich zufriedenzustellen, erkenne ich den Anruf Gottes an mich und stelle mich der Frage: Was braucht Christus von mir? Was kann und will ich der Kirche und der Welt geben?

Gemäß den Worten des Papstes ist diese veränderte Perspektive keine pastorale Strategie, sondern ein Wunder. Er formuliert es so: „Es ist ein stets neues Wunder, dass die göttliche Barmherzigkeit sich im Leben eines jeden von uns ausbreiten kann, uns so zur Nächstenliebe motiviert und jene Werke anregt, welche die Tradition der Kirche die Werke der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit nennt. Sie erinnern uns daran, dass unser Glaube sich in konkreten täglichen Handlungen niederschlägt, deren Ziel es ist, unserem Nächsten an Leib und Geist zu helfen, und nach denen wir einst gerichtet werden: den Nächsten zu speisen, zu besuchen, zu trösten, zu erziehen.“ Liebe Schwestern und Brüder, ein Wunder hat Gott zum Ursprung, nicht menschliche Kompetenz. Unser Weg als Gemeinschaft, die verbunden ist durch Liturgie, persönliches Beten und Hören auf Gottes Wort, soll als beständige Einladung an den Herrn begriffen werden, seine Barmherzigkeit durch uns wirksam werden zu lassen.

Die Haltung der Barmherzigkeit, die dieser Wurzel entspringt, ist kein bloßer sozialer Dienst, sondern selbst wieder Begegnung mit Christus in anderer Form. Papst Franziskus schreibt dazu: „Im Armen nämlich wird das Fleisch Christi erneut sichtbar; es wird erneut sichtbar in jedem gemarterten, verwundeten, gepeitschten, unterernährten, zur Flucht gezwungenen Leib …, damit wir Ihn erkennen, Ihn berühren, Ihm sorgsam beistehen.“

Das Zeugnis der Mutter-Teresa-Schwestern in Poona
Geistlich beschenkt wurden wir durch Schwestern der Seligen Mutter Teresa, die uns durch ihr geistliches Leben und ihr Wirken diesen Weg veranschaulichten. Sie betreuen ein Sterbehospiz in den Trabantenstädten um Poona. Der Bau des Heimes konnte mit Hilfe des von Sternsingern unseres Bistums gesammelten Geldes ermöglicht werden. Beim Unterhalt des Hauses und bei der Versorgung der Kranken lebt die Schwesterngemeinschaft im Vertrauen auf die Vorsehung Gottes.

Jeden Morgen nach Meditation, Stundengebet und Feier der Heiligen Messe gehen Schwestern vom Hospiz in die umliegenden Stadtviertel, wo sie kranke und sterbende Menschen von der Straße sammeln. Arme und mittellose Familien in den Elendsvierteln legen hoffnungslos kranke oder sterbende Angehörigen oft auf der Straße ab, weil sie eine Belastung darstellen. Die Schwestern nehmen diese Ärmsten der Armen in das Hospiz auf, versorgen sie, pflegen die Kranken gesund und begleiten die Sterbenden bis zum Tod. Ich wollte die Kraftquellen der Schwestern für diesen harten und fordernden Dienst kennenlernen. Neben Stundengebet und Meditation, die zeitig am Morgen stattfinden, und der anschließenden Heiligen Messe kommt der täglichen eucharistischen Anbetung am Abend große Bedeutung zu. Eine Schwester berichtete, wie wichtig für sie nach einem arbeitsreichen Tag gerade die tägliche Anbetung ist, um den Dienst an den Ärmsten der Armen innerlich gut bewältigen zu können. Sie sagte: Wir knien vor dem Herrn und schauen ihn an, damit wir ihn auch in den Ärmsten der Armen erkennen. Ohne diesen täglichen Blick auf Christus in der Eucharistie würden wir ihn irgendwann in den Kranken und Armen nicht mehr sehen können.

Gottes Barmherzigkeit im Alltag begegnen
Liebe Schwestern und Brüder, unsere Gebetsgemeinschaft in der Familie, unsere Zusammenkünfte in unseren kirchlichen Gruppen und Vereinen, die Feier der Liturgie in unseren Kirchen dürfen wir uns als Begegnung mit der barmherzigen Liebe Gottes bewusst machen. Nicht Pflichterfüllung soll unser Motiv sein, sondern die Sehnsucht nach ihm und die Freude, dass sich Gottes barmherzige Liebe uns öffnet. Dies lässt uns seine Nähe suchen im Morgen- und Abendgebet sowie im gemeinsam gebeteten Engel des Herrn in der Familie, in den Gottesdiensten der Pfarrei, in der Betrachtung seines Wortes, im Empfang des Bußsakramentes. Wie die Schwestern im Sterbehospiz bei Poona sollten wir den Blick auf den Herrn nicht vernachlässigen. Und dann braucht es das Du, die Gemeinschaft, damit unser Herz der Sehnsucht folgt und sich verwandeln lässt. Durch das Du in der Familie und in der Pfarrei, durch das Du in einer Gebetsgemeinschaft kann ich erfahren, was der Herr heute und hier von mir will, wozu er mich sendet.

Liebe Schwestern und Brüder, nutzen wir diese Fastenzeit, um uns der barmherzigen Liebe des Vaters wieder zuzuwenden und durch uns seine Barmherzigkeit sichtbar zu machen.

Dazu segne Euch der allmächtige und gütige Gott: + der Vater, + der Sohn und + der Heilige Geist.

Amen.

Eichstätt, Aschermittwoch, den 10. Februar 2016

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt


(1) Die vom Bistum Poona verwendete Schreibweise entspricht der früher gebräuchlichen englischen Umschrift für die Stadt Pune, nach der das Bistum benannt ist.
(2) Vgl. Franziskus, „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13). Die Werke der Barmherzigkeit auf dem Weg des Jubiläums (Botschaft zur Fastenzeit 2016).