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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Österlichen Bußzeit am 1. Fastensonntag, dem 26. Februar 2012

Liebe Schwestern und Brüder!
Liebe Kinder und Jugendliche!

Vor kurzem unternahm ich auf Einladung der koptischen Kirche eine Solidaritätsreise nach Ägypten. Die Christen dort befinden sich in einer schwierigen, ja bedrängten Lage, die an manchen Orten sogar die Gestalt der Verfolgung annimmt. Immer neu hören wir von Übergriffen oder gar Anschlägen gegen Kirchen und gegen Christen. Ein Ziel meiner Reise war der Besuch in der koptischen Gemeinde in Alexandria, auf die vor über einem Jahr ein schreckliches Bombenattentat verübt worden war. Es ereignete sich in der Nacht auf einen Sonntag bei der Sonntagsliturgie, denn der Sonntag selbst ist dort nicht arbeitsfrei. Zwanzig Gottesdienstteilnehmer fanden den Tod und mehrere wurden schwer verletzt. Allein ein glücklicher Umstand trug dazu bei, dass nicht eine größere Zahl von Todesopfern in der übervoll besetzten Kirche zu beklagen war.

Ergriffen von der Liebe zu Christus

Mich beeindruckte in dieser Gemeinde die Begegnung mit überlebenden Opfern und mit vielen Gläubigen, die Zeugen dieses menschenverachtenden Gewaltaktes gegen betende Christen waren. Während des herzlichen Empfangs in der Gemeinde stand ich in einer Runde von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Habt ihr Angst, Eueren Glauben angesichts dieser Gewalt zu praktizieren und zur Liturgie zu kommen?“, fragte ich sie. Darauf erwiderten mir die jungen Christen: „Und wenn wir wüssten, dass wir sterben müssen, weil wir zur Kirche gehen, wir wollten dennoch zur Liturgie kommen.“

Diese Antwort der jungen Christen zeugte von Glaubenskraft und Furchtlosigkeit. Sie beeindruckte mich tief. So denkt und spricht jemand, der Christus zutiefst liebt, der von ihm ergriffen ist und die Begegnung mit ihm in Kirche und Eucharistie schätzt. Diese Antwort erinnerte mich an die Weisung des hl. Mönchsvaters Benedikt, der in seiner Regel schreibt, dass man der Liebe zu Christus nichts vorziehen soll!

Wie sehr schon die Kraft menschlicher Liebe ein Leben erfüllen und bereichern kann, hat - so hoffe ich - jeder von uns schon erfahren, etwa wenn das Miteinander in Ehe und Familie gelingt. Verliebte junge Menschen erleben besonders intensiv, wie die Kraft der Liebe das Leben verändern und schön machen kann. Welch gewaltige Kraft vermag dann erst die Liebe zu Christus in meinem Leben und in dieser Welt freizusetzen! Jene Liebe zu Christus, die meine Antwort auf seine große Liebe zu mir ist.

Das Zeugnis der jungen Christen von Alexandria ließ mich etwas spüren von der Kraft der Liebe zu Christus. Die Liebe zu Christus befähigt uns, Jüngerinnen und Jünger Jesu zu sein in dieser Welt, selbst wenn diese sich ablehnend oder gar feindselig verhält. Es ist die Liebe zu Christus, die uns als Kirche glaubwürdig macht und uns Identität gibt.

Die Kirche als Raum der Liebe zum Auferstandenen

In seiner letzten Erscheinung vor den Jüngern am Ufer des Sees von Tiberias gemäß dem Johannesevangelium vertraut der auferstandene Herr dem Simon Petrus seine Herde, seine Kirche mit den Worten an: „Weide meine Schafe!“ (Joh 21,17). Doch ehe der Herr seine Herde Menschen übergibt und ehe die Sendung der Kirche in die Welt hinein Gestalt annimmt, fragt er Simon Petrus dreimal nach seiner Liebe: Simon, liebst du mich? Und beim dritten Mal: Liebst du mich mehr als diese?

Erst wenn er sich von der Liebe Christi ergreifen lässt, wird Simon Petrus befähigt zum Dienst an der Herde Christi. Er bedarf der größeren Liebe zu Christus, um dann sehend sein zu können für Christus in den Brüdern und Schwestern. Die größere Liebe zu Christus macht ihn liebesfähig über alle menschlichen Maßstäbe hinweg. Aus der Liebesantwort gegenüber dem Auferstandenen erwächst Petrus die Kraft, die Kirche als Herde Christi zu lieben und zu hüten. So ist die Kirche liebenswert als Raum der Liebe zu Christus.

Mein Weg in die Liebe als Glied der Kirche

Die letzte Frage des Auferstandenen am Ufer des Sees an Simon Petrus ist die erste Frage des Herrn an uns Getaufte, die Gott aus „Gnad in seine Kirch berufen hat“. Sie lautet: Liebst du mich? Liebst du mich mehr als diese? Unsere Antwort auf diese Frage ist entscheidend für unser Kirchesein, daran hängt unser Wirken und Zusammenwirken in der Kirche. Alles Nachdenken über den Weg der Kirche in die Zukunft und über Möglichkeiten der Neuevangelisierung muss sich zunächst dieser Frage stellen. Der Apostel Paulus bezeugt im Zweiten Korintherbrief, dass die Kirche missionarisch wird, sobald sie sich von der Liebe Christi ergreifen lässt: „Die Liebe Christi drängt uns“ (2 Kor 5,14)

Liebe Schwestern und Brüder, die österliche Bußzeit soll ein Weg der Begegnung zwischen uns und dem Auferstandenen werden. Wie damals am Ufer des Sees von Tiberias wartet der Herr auch heute auf uns, um die Liebe zu ihm zu erneuern. Aus ihr werden wir stark und befähigt, die Sendung der Kirche in die Welt zu verwirklichen. Stellen auch wir uns der Frage des Auferstandenen: Die Antwort wächst durch viele kleine Schritte. Lernen wir vom Weg der Jünger nach Ostern, in die Liebe Christi des Auferstandenen hineinzuwachsen. Folgende Schritte schlage ich Ihnen vor:

Erstens: In der Gemeinschaft bleiben

Der Auferstandene sammelte die verstreuten und mutlos gewordenen Jünger. Er eint sie erneut zur Gemeinschaft und spricht ihnen seinen Frieden zu. Geben wir uns in diesen Tagen ehrlich Rechenschaft über die Art und Weise, wie wir mit den Mitmenschen umgehen. Die Art, wie wir in unseren Pfarreien, Verbänden und Familien miteinander leben, kann nicht losgelöst gesehen werden von der Verbindung mit Christus. Die Liebe zu Christus bringt uns den Nächsten nahe.  Freilich dividieren uns unsere Fehler und Sünden oft auseinander. Gerade in der Beichte geht uns der Auferstandene nach, um uns zu reinigen und uns als seine Herde zu sammeln. Die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen entsteht nicht ohne das Sakrament der Buße.

Zweitens: In der Schule des Auferstandenen lernen

Die Jünger waren nach Jesu Auferstehung immer wieder von Zweifel und Trauer erfüllt, sie erkannten den Herrn oftmals nicht. Geduldig holte sie der Auferstandene erneut in seine Schule: er erschien ihnen und richtete sein Wort an sie. Begeben wir uns in der Zeit vor Ostern bewusst in die Schule des Auferstandenen, um an seiner Freude teilzuhaben. Vielen von uns stellen sich Fragen zum Glauben, andere haben mit Zweifeln zu kämpfen, oder sie werden ihres Glaubens nicht so richtig froh. Das Glaubensgespräch in der Familie, in der Pfarrgemeinde, die bewusste Lesung der Heiligen Schrift und des Katechismus sowie das persönliche Gebet können die Schönheit des Glaubens an den Auferstandenen zum Leuchten bringen.

Drittens: Die Begegnung mit dem Herrn suchen

Wie die Jünger damals, so bedürfen auch wir der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, ja seiner Berührung. Welchen Stellenwert hat für mich die Hl. Messe, die Feier der Eucharistie, in welcher der Gekreuzigte und Auferstandene wahrhaft zugegen ist? Habe ich auch über die Messe hinaus das Verlangen, dem Herrn zu begegnen, der im Tabernakel unserer Kirchen zugegen ist? Die Begegnungen mit dem Auferstandenen waren es, die in Simon Petrus die Liebe zum Herrn erneuerten.

Viertens: Mut zum Bekenntnis

Die Evangelien berichten, dass die Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen immer wieder in ein Bekenntnis einmündeten, bis sie schließlich vom Pfingsttag an den Glauben an den Auferstandenen freimütig öffentlich bekannten und Widerspruch nicht fürchteten. Der Mut, mein Christsein öffentlich zu zeigen und zu bekennen, ist nicht nur Frucht der Liebe zu Christus, sondern lässt diese Liebe weiter wachsen. Stecken wir den Kopf nicht in den Sand, wenn die Kirche und unser Glaube angegriffen oder gar geschmäht werden, mag es privat oder öffentlich geschehen. Leider scheinen die Schwellen des Respekts vor dem, was uns Gläubigen kostbar und heilig ist, mitunter niedrig geworden zu sein, wie etwa das Ende Januar in Hamburg aufgeführte Theaterstück „Golgotha Picnic“ nahe legt. Der Mut, den Glauben zu bekennen und ggf. Widerspruch zu wagen, soll geleitet sein vom Geist der Worte im Ersten Petrusbrief: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15)

Fünftens: Aus dem Vertrauen auf den Herrn leben

Schließlich soll der Weg durch die österliche Bußzeit unser Vertrauen auf den Auferstandenen mehren. Unser Fasten sowie der Verzicht auf Genussmittel, wie auch auf den übermäßigen Gebrauch elektronischer Unterhaltung soll uns frei machen und die Leichtigkeit des Zugehens auf den Herrn fördern. Mein Mühen beim Verzicht kann mir zudem anzeigen, wie es um meine persönliche Prioritätenskala bestellt ist. Es macht mich sensibel für Fragen wie: Woran hänge ich? Was fällt mir schwer, loszulassen? Wie steht es mit meinem Vertrauen auf den Herrn, wenn ich vielleicht an vielen Dingen noch hafte?

Verzicht als Einübung in die Haltung des Vertrauens auf den für uns sorgenden Herrn, führt in die Freude und weitet das Herz für den Nächsten. Solcher Verzicht will schließlich teilen mit dem Bruder und der Schwester in Not. Unsere katholische Praxis des Freitagsopfers durch Fleischverzicht könnte dazu eine sozial-ökologische Dimension entfalten, als Zeichen der Solidarität mit jenen Armen, die sich nicht so ernähren können wie wir. Angesichts des übermäßigen Fleischkonsums bei uns und der daraus resultierenden ökologischen Belastung wäre es ein kleines Zeichen der Bereitschaft, Verantwortung für die Schöpfung Gottes zu übernehmen.

Liebe Schwestern und Brüder, gehen wir in der Freude des Heiligen Geistes auf das Osterfest zu (vgl. Regula Benedicti 49). Der Heilige Geist, der in uns wirkt, möge unsere Liebe zum Auferstandenen wachsen lassen, damit auch wir antworten können: Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe!

Dazu segne Sie der Dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Ihr  

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt