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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Österlichen Bußzeit am 1. Fastensonntag, dem 13. März 2011

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Was macht mir in meinem Leben Freude?

Wenn wir dieser Frage nachgehen, werden wir feststellen, dass es nicht unbedingt materielle Werte wie Besitz und Geld sind, die dem Menschen nachhaltig Freude schenken. Ich erinnere mich an Erzählungen älterer Menschen, die mir von ihren Lebenserfahrungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg berichteten. Damals erlebten sie inmitten bescheidener materieller Verhältnisse, ja trotz mancher Not, Zusammenhalt und Gemeinschaft, die Freude schenkten. Die Menschen waren eng zusammengerückt, die Sorge füreinander und das gegenseitige Interesse waren ausgeprägt. Als es den Menschen wirtschaftlich besser ging, waren diese Erfahrungen nicht mehr so breit gestreut.

Begegnung als Weg zur Freude

Wenn ich in mein Leben schaue, entdecke ich immer wieder, dass Freude vielfach und vielfältig mit Begegnung zu tun hat. Wo man Zeit und Interesse füreinander aufbringt, wenn man einander mitteilen kann, was einen bewegt, was einem kostbar ist, und dabei verstanden, ja angenommen wird, wächst einem Freude zu.

Freude, die aus der Begegnung kommt! Ist das nicht eine Erfahrung, die viele von uns teilen? Eltern, die sich nach ihren Kindern sehnen, wenn diese aus dem Haus sind. Ein frisch verliebtes Paar, das kaum erwarten kann, sich wieder zu sehen. Ältere Menschen in einem Altenheim oder auch Patienten, die auf einen lieben Besuch warten. Freunde, die sich gegenseitig viel bedeuten und die gemeinsam etwas unternehmen wollen. Ehepaare, die nach längerer Abwesenheit eines Partners wieder gemeinsam die Zeit verbringen können.
Begegnung ist mehr als nur beisammen zu sein. Begegnung ist Sprache von Herz zu Herz, die Freude wachsen lässt.

Kirche als Weg der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn

Gelungene Begegnung untereinander erfahren wir als Geschenk. Erst recht bereichert die Begegnung des Menschen mit Gott das Leben. Eine Erfahrung tiefer Begegnung und der daraus erwachsenden Freude durften die beiden Jünger von Emmaus machen. Der Evangelist Lukas überliefert uns die Begegnung mit dem Auferstandenen (Lk 24). Voll Trauer waren die beiden Jünger am Ostertag auf dem Weg. Ihr Herr und Meister hatte in Jerusalem den Tod am Kreuz erlitten. Dieses scheinbare Scheitern ihres Meisters konnten sie nicht verstehen. Nach ihrem Empfinden hätte alles anders laufen müssen und können. Nun sahen sie für sich keine Zukunft mehr als Jünger Jesu und gingen von Jerusalem weg. Unterwegs gesellte sich ihnen der auferstandene Herr zu. Sie aber waren so in ihrer Trauer gefangen, dass sie ihn nicht erkannten, obwohl sie eine ganze Weile zusammen waren und sich über die Geschehnisse des Karfreitags austauschten. Der Unbekannte erklärte ihnen die Hl. Schrift und brach schließlich mit ihnen das Brot. Da erkannten sie ihn. Der Weg der Trauer und Resignation wurde zur Begegnung mit dem auferstandenen Herrn. Große Freude erfasste die Jünger. „Brannte uns nicht das Herz?“, sagten sie zueinander.

Liebe Schwestern und Brüder, Kirche ist der Weg der Begegnung mit dem Auferstandenen. Auch heute ist es möglich die Freude zu erfahren, die aus der Begegnung und der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen erwächst, die unser Leben verändert und Gemeinschaft untereinander stiftet. Christus ist gegenwärtig in seiner Kirche, im Wort und in den Sakramenten, besonders in der Feier der Eucharistie.

Das II. Vatikanische Konzil sagt uns, dass die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament ist, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Vereinigung und Einheit sind Frucht der Begegnung mit dem Herrn. Zum Wesen der Kirche gehört Begegnung: die Begegnung Gottes mit dem Menschen. Und diese Dimension befähigt uns zur Begegnung als Brüder und Schwestern.

In den zurückliegenden Monaten und Wochen konnte man immer wieder Klagen und mitunter heftige Kritik an unserer Kirche hören, häufig sogar aus den eigenen Reihen. Resignation, Kirchenverdrossenheit und Freudlosigkeit am Kirchesein sind immer wieder spürbar. Gleichen wir hierin nicht den Emmaus-Jüngern, ehe sie die Erfahrung tiefer Begegnung mit dem Auferstandenen hatten?

Kirchesein heißt unterwegs sein auf dem Weg der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn. Mein Kirchesein bedarf also immer neu der Begegnung mit dem Auferstandenen. Gerät dieses Ziel aus dem Blick und erlischt meine Sehnsucht danach, reduziert sich Kirche allzu leicht auf einen bloßen Zusammenschluss von Menschen, auf eine Art wohltätigen und sinnstiftenden Verein, in dem dann Fragen der Struktur und Organisation in den Vordergrund treten.

Kirche als Weggemeinschaft von Menschen und zugleich Leib Christi

Freilich wird trotz unserer Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Auferstandenen die Kirche immer auch ein menschliches, oft allzu menschliches Gesicht behalten. - Und trägt dieses Gesicht der Kirche nicht auch die Spuren meines Lebens? Das II. Vatikanum sieht diese menschliche Seite der Kirche realistisch. Die Kirche, so sagt das Konzil, ist auch ein sichtbares Gefüge, das Sünder umfasst (vgl. LG 8). Und zugleich ist die Kirche geistliche Gemeinschaft, beschenkt mit himmlischen Gaben. Sie ist der geheimnisvolle Leib Christi. Das Konzil wehrt sich dagegen, die beiden Seiten der Kirche als zwei verschiedene Größen zu verstehen. Die Kirche stellt eine einzige komplexe Wirklichkeit dar, die „aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (LG 8). Sie ist beseelt von Gottes Geist (vgl. LG 7).

Das macht uns Mut, trotz eigener Schwächen und der Schwächen anderer unseren Weg als Kirche im Vertrauen auf die Gegenwart des Auferstandenen gemeinsam zu gehen. Christus ist in der Kirche gegenwärtig, er geht mit ihr durch die Zeit, so wie er damals mit den Emmaus-Jüngern gegangen ist und sie von Trauer und Resignation befreit hat. In der österlichen Bußzeit sind wir besonders eingeladen, wie die Emmaus-Jünger uns vom Auferstandenen ansprechen zu lassen, ihm zu begegnen und so die Freude zu erfahren, die aus der Gemeinschaft mit ihm erwächst. Der hl. Benedikt schreibt in seiner Mönchsregel, dass man in der Freude des Hl. Geistes dem Osterfest entgegen gehen darf. Die Vorbereitungszeit auf Ostern als mein, als unser Emmaus-Weg ist ein Weg in die Freude.

Unser persönlicher Emmaus-Weg

Wie könnte nun so ein Emmaus-Weg aussehen? Was könnten die Wegmarken der Emmaus-Jünger für unser Glaubensleben bedeuten?

Wenn wir uns die Schriftstelle aus dem Lukas Evangelium noch einmal vor Augen stellen, so sehen wir, dass Christus den beiden Emmaus-Jüngern zunächst die Schrift auslegte. ,,Er legte ihnen dar, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht” (Lk 24,27). Dies war gleichsam die Vorbereitung ihres Herzens, damit sie den Herrn am Zeichen des Brotbrechens erkennen konnten. Aus diesen beiden Elementen – Schrift und Brotbrechen, die urchristliche Bezeichnung für die Eucharistie – besteht die Feier der hl. Messe. In der Mitfeier der hl. Messe erfahren wir sozusagen die dichteste Form des Emmaus-Weges heute. Im Hören der Schrifttexte (Lesung und Evangelium) und in ihrer Auslegung durch die Kirche begegnet uns Christus und bereitet uns auf seine Gegenwart im Sakrament der Eucharistie vor.

Nicht das Absitzen der Messe oder die Haltung bloßer Pflichterfüllung eröffnet uns die Begegnung mit dem Herrn. Damit ich dem Auferstandenen begegne, ist es notwendig, sich den Worten der Schrift und der Verkündigung zu öffnen. Eine entscheidende Wegmarke auf unserem Emmaus-Weg ist daher das Lesen der Schrift. Nehmen Sie jeden Tag ein Wort der Hl. Schrift mit in den Alltag, teilen Sie es mit Menschen in Ihrer Umgebung. Lesen Sie die betreffenden Schriftlesungen der hl. Messe schon im Voraus. Die Vertrautheit mit dem Wort Gottes ist unabdingbar für jeden Christen.

Wenn unser Herz durch das Wort Gottes vorbereitet und gleichsam erwärmt ist, kann es Christus im Zeichen der Eucharistie erkennen und von der Freude entflammt werden, die aus der Begegnung mit dem Auferstandenen entstammt. Christus selbst lädt uns ein, uns ganz mit ihm zu vereinen. Damit daraus eine echte Begegnung werden kann, die das Herz brennend macht, ist es freilich notwendig, dass die Vereinigung mit dem Herrn, die in der Eucharistiefeier, besonders in der Kommunion geschieht, auch im alltäglichen Leben verwirklicht ist.

Die Emmaus-Jünger änderten ihren Weg. Sie kehrten voll Freude nach Jerusalem zurück und legten im Kreis der Jünger Zeugnis von der Begegnung mit dem Herrn ab. Wer dem Herrn begegnet, der ist bereit, umzukehren wie die Emmaus-Jünger. Er korrigiert seinen Weg. Begegnung mit dem Herrn und Umkehr gehören zusammen. Das Sakrament der Buße, die Beichte macht uns sozusagen gemeinschaftsfähig mit Gott und untereinander. Das Jüngersein, das von der Begegnung mit dem Auferstandenen lebt, kommt nicht ohne das Sakrament der Buße aus. Dieses Sakrament dient der Freude und befähigt uns für die Gemeinschaft der Kirche.  

Liebe Schwestern und Brüder,
herzlich lade ich Sie ein, den Weg durch die Österliche Bußzeit als Ihren persönlichen Emmaus-Weg zu gestalten.  Meine Bitte an den Herrn ist, dass er uns allen helfen möge, ihm zu begegnen und seine Kirche dadurch aus Trauer und Resignation zur Freude über seine Gegenwart zu führen, der den Tod überwunden hat.

Dazu segne Euch, liebe Kinder und Jugendliche, alle Erwachsenen und besonders die Kranken der barmherzige Gott: der + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist.

Eichstätt, am Hochfest der Hl. Walburga, dem 25. Februar 2011
 
Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt