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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am Christkönigssonntag, dem 23. November 2014

Liebe Schwestern und Brüder!

Vorfreude auf die Geburt
Ein Ehepaar, das ein Kind erwartet, bereitet sich auf das Ereignis vor. Die schwangere Frau nimmt auf ärztliche Empfehlungen so mancherlei Verzicht auf sich. Die Kliniktasche steht lange vor dem Entbindungstermin griffbereit gepackt. Es ist die Freude, die alles leitet. Auch Verwandte und Freunde sind voller Erwartung. Mit dem ersten Advent am nächsten Sonntag beginnt auch für uns die Zeit dieser freudigen Erwartung. Dann bereiten wir uns auf das Fest der Geburt des Herrn vor. Gott wird Mensch in Jesus Christus!

Menschwerdung Gottes ist bleibende Einladung
Die Menschwerdung Gottes ist nicht einfach Vergangenheit, sondern bleibende Einladung Gottes an uns hier und heute, seinen Weg der Menschwerdung einzuschlagen. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt in der Konstitution über die Kirche in der Welt die Bedeutung der Menschwerdung des Gottessohnes für unser Menschsein:
Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. (…) Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf.(1)

Menschsein als Personsein in der Krise
Der Blick auf den Mensch gewordenen Gottessohn und seinen Weg als Mensch tut not für den Weg meiner Menschwerdung. Es scheint, als sei sich der Mensch von heute selbst zur Frage geworden, als sei die Anerkennung des Menschen als Person mit Würde in die Krise geraten.

Weltweite Krise der Menschseins
Trotz Fortschritt, Wissensmehrung und eines global gewachsenen Bewusstseins der Zusammengehörigkeit der Menschheit wird die Menschenwürde in vielen Bereichen der Welt mit Füßen getreten. Ökonomische und machtpolitische Interessen oder auch eine fanatisierte Religion werden sich zum Selbstzweck. Der Mensch in seiner Würde bleibt auf der Strecke. Wir erleben dies gegenwärtig dramatisch an den Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht, Minderheiten sind bedroht. Denken wir vor allem an Syrien und den Irak, wo gerade unsere christlichen Schwestern und Brüder Bedrängnisse bis hin zur Verfolgung erleiden.

Doch auch in unserer Umgebung zeigt sich die Krise des Menschseins:

Krise der Menschenwürde: Debatte um den assistierten Suizid
Wir stehen mitten in der Debatte um den assistierten Suizid. Hier wird mit den Ängsten vor unerträglichen Schmerzen, der finanziellen Belastung der Angehörigen und der Einsamkeit argumentiert, um letztlich die Beihilfe zum Selbstmord zu legalisieren. Auch wer „religiös unmusikalisch“ ist und daher die in der Gottebenbildlichkeit wurzelnde Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens nicht mehr nachzuvollziehen vermag, kann die darin liegende Gefahr erkennen. Die gesetzliche Erlaubnis einer Tötung auf Verlangen könnte dazu führen, dass kranke Menschen subtil oder offen dazu gedrängt werden, endlich sterben zu wollen. Diese Tendenz ist bereits jetzt deutlich erkennbar, wenn immer unverblümter darauf hingewiesen wird, wie hoch die Kosten für die Pflege Sterbender sind. In Wirklichkeit ist die Palliativmedizin mittlerweile schon so weit fortgeschritten, dass sie auf die vorhandenen Ängste reagieren kann, ohne Beihilfe zum Suizid zu leisten: Auch in schweren Fällen können die Ärzte ein Sterben ohne Schmerzen gewährleisten.(2)

Identitätskrise des Menschen: Theorie des Genderismus
Auch auf einem zweiten Feld zeigt sich die Krise des Menschseins. Die Ideen des Genderismus stellen sich gegen unser biblisch-christliches Menschenbild. Dieses Theoriegebäude postuliert, Mann und Frau seien in allen Lebensbereichen auswechselbar. Es seien primär Erziehung und kulturelle Bedingungen, welche die Geschlechterrollen von Mann und Frau prägen. Diese gelte es als kulturelle Klischees zu überwinden. Unter dem sanft klingenden Begriff Geschlechtervielfalt verbreiten manche, es gebe überhaupt kein objektives Geschlecht als Mann und Frau. Stattdessen propagieren sie eine Geschlechtervielfalt mit weiteren geschlechtlichen Identitäten. Der Einzelne könne sich sein Geschlecht selbst auswählen.

Diese Sicht auf den Menschen verwundert in einer Zeit, in der sich viele für die Bewahrung der Schöpfung engagieren. Sie übernehmen die Anwaltschaft für den Erhalt des ökologischen Gleichgewichtes, was nur zu begrüßen ist. Denn sie sind überzeugt, dass die in der Schöpfung vorgegebene Ordnungsstruktur dem Wohle dient.

Hingegen herrscht bei vielen in der Gesellschaft Desorientierung und Verwirrung, wenn es um die Natur des Menschen und die Bedeutung der menschlichen Person geht.

Gott schuf den Menschen als Mann und Frau
Am Beginn der Heiligen Schrift lesen wir: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. (…) Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte. Es war sehr gut. (Gen 1, 27.31)

Lassen wir uns als Getaufte in unserem Zeugnis für das Menschsein nicht entmutigen. Machen wir uns Gottes Wort und die Wegbegleitung der Kirche zu eigen. Der heilige Papst Johannes Paul II. hat uns als kostbares Vermächtnis die Botschaft von der Schönheit des Menschseins hinterlassen, das der Schöpfer als Mannsein und Frausein gewollt hat. In seinen als „Theologie des Leibes“ bekanntgewordenen Katechesen deutet er die Schöpfungsordnung als Ausdruck der Liebe des Schöpfers, denn der Mensch ist um seiner selbst willen von Gott gewollt und geliebt.

Die leibliche Unterschiedlichkeit offenbart bereits, dass Mann und Frau aufeinander verwiesen sind. Diese gegenseitige Verwiesenheit wiederum lässt erkennen, dass wir zum Menschsein in Fülle die Gemeinschaft mit einem personalen Gegenüber benötigen. Die höchste Form dieser personalen Gemeinschaft ist die gegenseitige Hingabe, das wechselseitige Sich-Verschenken von Mann und Frau im Liebesbund der Ehe.(3) Die gegenseitige Hingabe ist gleichzeitig natürlich auch ein wechselseitiges Empfangen und Annehmen des anderen. Wenn der jeweilige Partner dabei um seiner selbst willen angenommen wird, dann findet er sich selbst durch seine Hingabe. Aus dieser Selbstfindung heraus ist er wiederum in der Lage, sich selbst erneut und tiefer zu verschenken: Die Selbsthingabe wird zur neuen Quelle des Gebens.(4)

Von der Krippe strahlt das Licht des wahren Menschseins
Liebe Schwestern und Brüder, Weihnachten rührt auch heute viele Menschen an. Der tiefste Grund liegt doch darin, weil Gott in der Menschwerdung des Sohnes diese Ordnung der Liebe bestätigt und erneuert hat. Von der Krippe und aus dem Leben Jesu strahlt das Licht des wahren Menschseins. Offensichtlich spüren das selbst noch viele, die nicht mehr tief in der religiösen Praxis verwurzelt sind.

Lassen wir uns von Christus einladen auf seinen Weg der Menschwerdung, um selbst Mensch zu werden. Wir Getaufte können so dafür Zeugnis geben, wie erfüllend der Weg der Menschwerdung nach Gottes Schöpfungsordnung und im Geiste Jesu ist.

Begegnung als Schlüssel zu Menschwerdung
Der Schlüssel zu unserer eigenen Menschwerdung liegt in der Begegnung. Erst im Du des Gegenübers erkenne ich mich selbst und kann zu dem Menschen werden, der Gottes Plan von mir entspricht. In der Reaktion des anderen spiegelt sich sozusagen mein Ich, das ich sonst nicht zu sehen vermag. Deswegen kommt es wesentlich auf die Begegnung an.

Drei Ausformungen der menschlichen Begegnung können auf unserem Weg zur Menschwerdung eine besondere Rolle spielen. In gewisser Weise können sie auch als Antwort auf die oben skizzierten drei Symptome der Krise des Personseins verstanden werden.

Menschwerdung in der Gastfreundschaft
Schon das Gespräch mit Familienmitgliedern und Freunden, für das ich mir Zeit nehme, ist eine solche Begegnung, die zur Formung meines Ichs, zu meiner eigenen Menschwerdung beitragen kann. Aufgrund der Wechselseitigkeit der Begegnung gilt dasselbe natürlich für den, der mir begegnet. Dort, wo wir Gastfreundschaft üben und den Fremden in christlicher Nächstenliebe aufnehmen, kommt ein zusätzlicher Aspekt hinzu. In der Begegnung mit dem Fremden können mir Elemente offenbar werden, die im Austausch mit mir schon bekannten Menschen verborgen bleiben. Die Gastfreundschaft etwa gegenüber Flüchtlingen als Schritt der eigenen Menschwerdung kann so auch eine erste Antwort auf die Unmenschlichkeit in der Welt sein, die sich in Verfolgung und Unterdrückung äußert.

Menschwerdung in der Freundschaft
Eine zweite Weise der personalen Begegnung ist die Freundschaft. Das wesentliche Merkmal der Freundschaft als menschlicher Begegnung ist die personale Bindung an ein Du. Gerade die Freundschaft mit Christus gibt uns die Kraft für eine solche tiefe personale Verbundenheit. In der Freundschaft lernen wir, uns selbst zu überschreiten und über unser Drängen nach Selbstverwirklichung hinauszugehen. Die Annahme des Freundes um seiner selbst willen macht den Kern der Freundschaft aus. Echte und dauerhafte Freundschaften sind auch ein Heilmittel gegen den Wunsch nach legalem Suizid, der im Grunde ja nichts anderes als ein Ruf der Verzweiflung ist.

Menschwerdung in der Ehe
Die gegenseitige Annahme des anderen um seiner selbst willen findet seine höchste Ausformung in der gelingenden Ehe. Die personale Bindung der Freundschaft findet sich in der Ehe zwischen Mann und Frau noch einmal exklusiv auf einen einzigen Partner hin ausgerichtet. Durch ihre wechselseitige Hingabe und gleichzeitige Annahme des anderen um seiner selbst willen fördern sich die Partner in ihrer Selbstfindung und Menschwerdung.

Die Ehepartner, die in gegenseitiger Liebe und Hingabe leben, stärken sich nicht nur gegenseitig, sondern geben in der umsichgreifenden Identitätskrise des Menschen zugleich auch denen Orientierung, die noch auf der Suche sind nach dem Menschsein in Fülle.

Sie alle, die Sie als Weggemeinschaften zur Krippe hin unterwegs sind, als Familie, Freundeskreise, Gemeinschaften, Pfarreien und Verbände, segne der Dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Eichstätt, am Gedenktag der hl. Elisabeth von Thüringen, dem 19. November 2014

Ihr  

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt


(1)?Gaudium et spes 22.
(2)?Vgl. Gisela Klinkhammer, Mit großer Sorgfalt und klinischer Erfahrung, in: Deutsches Ärzteblatt 111 (38) , 19. September 2014, 1552f.
(3)?Vgl. Theology of the Body (TOB) 14,4; zitiert nach: Johannes Paul II., Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan. Eine Theologie des Leibes (herausgegeben v. Norbert und Renate Martin), 2. überarbeitete Auflage Kisslegg 2008, 161.
(4)?Vgl. TOB 17,6.