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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am Christkönigssonntag, dem 25. November 2012

„Das ‚Jahr des Glaubens‘ als große Exerzitienzeit“

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Bei einer Bergtour während meines Sommerurlaubs in den Alpen berichtete mir ein Bergkamerad vom tragischen Unfall eines erfahrenen und allseits geschätzten Bergsteigers. Er war auf einer benachbarten Kletterroute zu Tode gekommen, obwohl diese nicht als übermäßig schwierig galt. Wie konnte es dennoch zum Absturz kommen? Der geübte Kletterer wollte sich an einem Felsgriff halten. Der brach jedoch aus. Der Bergsteiger verlor das Gleichgewicht und stürzte. Der letzte Sicherungspunkt mit einem Haken lag weit unter ihm. So konnte das Bergseil seinen Sturz aus großer Höhe nicht wirklich abfangen. Die Wucht des Aufpralls war zu groß. Ein kleiner Griff war ausgebrochen und verursachte eine große Tragödie!

Hat nicht auch unser Lebensweg gewisse Ähnlichkeiten mit einer Bergtour? Da gab und gibt es steile und mühevolle Streckenabschnitte, gefährliche Passagen, in denen wir abstürzen können, dann auch wieder schöne Streckenabschnitte mit wunderbaren Ausblicken. Welche Griffe sind es, an denen ich mich persönlich festmache in meinem Leben? Halten meine Griffe und Tritte in schwierigen Situationen?

„Mein Glaube hält mich“, so höre ich immer wieder gläubige Menschen über ihre Erfahrungen auf dem Lebensweg sprechen. Diese Menschen legen Zeugnis davon ab, dass der Glaube an Jesus Christus in der Gemeinschaft der Kirche in schwierigen Lebenslagen trägt.

In der Sixtinischen Kapelle in Rom findet sich Michelangelos berühmtes Deckengemälde von der Erschaffung des Menschen. Adam liegt Gott zugewendet da und streckt seinen Arm der Hand des Schöpfers entgegen. Sein Zeigefinger steht kurz vor der Berührung der Hand Gottes. Diese Szene scheint mir passend zu sein für das, was ‚Glauben’ meint. Glauben bedeutet, sich der Hand Gottes anzuvertrauen. Wer an Gott glaubt, der macht sein Leben nicht an irgendetwas fest, sondern dem glaubenden Menschen kommt eine Hand entgegen, die ihm Halt gibt und ihn leitet, die Hand Gottes.

Glaube gründet in der Begegnung mit der Person Christi
Freilich gibt es Lebenslagen, in denen wir nur schwer oder kaum glauben können. Gott scheint fern und unverständlich. Und dann wieder durchleben wir Situationen, in denen wir innerlich zerrissen und schwankend sind zwischen Glaube und Zweifel. Manche von uns haben Wünsche und Hoffnungen auf Gott hin, aber kein Vertrauen. Andere beten in bestimmten Anliegen und bringen doch keine Geduld auf oder trauen dem Gebet nichts zu.

Uns ergeht es innerlich wie dem Vater eines kranken, besessenen Kindes, von dem das Markusevangelium (Mk 9, 17ff.) berichtet. Voll Hoffnung auf Heilung hatte er seinen kleinen Sohn zu den Jüngern Jesu gebracht, aber sie hatten nicht die Kraft dazu. Da wandte sich der Mann an Jesus mit der Bitte: Wenn Du kannst, hilf uns; hab Mitleid mit uns! – Alles kann, wer glaubt, gab ihm Jesus zur Antwort, worauf der Vater ausrief: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben! Und Jesus heilte das Kind.

Glaube und Zweifel liegen im Leben manchmal nahe beisammen. Wenn unser Glaube schwach ist, kann uns geholfen werden durch die Gegenwart des Herrn, wie es damals der Vater des kranken Kindes erlebte. Wer voll Sehnsucht zu Christus hintritt, erfährt, dass Christus auch für uns glaubt. Bezeichnet doch der Hebräerbrief Jesus als den Urheber und Vollender des Glaubens (Hebr 12, 2).

Glauben heißt zunächst: Sich wie der Vater des kranken Kindes auf den Weg zu Christus zu machen, ihm nahe kommen zu wollen, in Gemeinschaft mit ihm zu sein. Glaube gründet in der Begegnung mit der Person Christi und im Wunsch, nach seiner Hand zu greifen. Ich glaube Dir, o Herr! Wer glaubt, geht an Gottes Hand durch das Leben.

Die Geste des Kreuzzeichens neu entdecken
Liebe Schwestern und Brüder, wir dürfen das Jahr des Glaubens als große Exerzitienzeit betrachten, in der wir konkrete Schritte auf dem Weg zu Christus einüben. Das Kirchenjahr geht zu Ende, in einer Woche beginnt der Advent, die Vorbereitungszeit auf das Fest der Geburt Christi. Ich lade Sie ein, sich für den bevorstehenden Advent einen besonderen Vorsatz zu fassen.

Aus den vielen Möglichkeiten, die es zweifellos gibt, schlage ich Ihnen etwas ganz Schlichtes vor: Entdecken Sie neu das Kreuzzeichen, das wir uns auf Stirn und Brust zeichnen, als geistliche Hilfe zur Vertiefung des Glaubens in Ihrem Alltag! Im christlichen Leben hat die Bezeichnung mit dem Kreuz an vielen Stellen ihren Platz, oft in Verbindung mit der Verwendung von Weihwasser. Einiges sei hier beispielhaft angeführt:

  • Eltern geben ihren Kindern am Morgen mit Weihwasser und einem Kreuzzeichen auf die Stirn den Segen für den Tag, ehe diese zum Kindergarten oder zur Schule aufbrechen.
  • Unser Morgen- und Abendgebet, das Gebet bei Tisch sowie den Engel des Herrn leiten wir ein und beenden wir mit dem Zeichen des Kreuzes und den dazugehörenden Worten: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes.
  • Jede Hl. Messe wird im Zeichen des Kreuzes eröffnet und beendet.
  • Unsere Zusammenkünfte in Pfarrei und kirchlichen Gruppen beginnen wir mit dem Zeichen des Kreuzes.
  • Beim Betreten einer katholischen Kirche nehmen wir Weihwasser und bezeichnen uns mit dem Kreuzzeichen.

Diese Anlässe sollen nicht fromme Routine bleiben. In jedem Kreuzzeichen kann ich bewusst nach Gottes Hand greifen und mich neu an ihm festmachen.

Das Kreuzzeichen als gebetetes Glaubensbekenntnis
Wir verbinden die Geste des Kreuzzeichens mit der Anrufung von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Die begleitenden Worte stellen eine Kurzformel unseres Glaubens dar. In der Nennung des Vaters bekennen wir Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde. Alles Leben ist also Geschenk von Gott her. In der Nennung des Sohnes vergegenwärtigen wir uns, dass Gott in der Menschwerdung des Sohnes einer von uns wurde und am Kreuz durch sein Lebensopfer die Barriere zwischen Gott und Mensch niedergerissen hat. In der Nennung des Hl. Geistes bekennen wir, dass der Geist Gottes, der in der Kirche und in den Herzen der Gläubigen wohnt, uns durch Christus den Zugang zum Vater ermöglicht und uns als Kirche in die Einheit des dreifaltigen Gottes führt.

Die Geste des Kreuzzeichens ist gebetetes Glaubensbekenntnis. Wo aber der Glaube gebetet wird, bleiben wir mit unserem oft schwachen Glauben nicht allein. Die Kirche betet mit uns, und Christus, der Vollender des Glaubens, glaubt mit uns. So wird gebeteter Glaube zum Segen, der Himmel und Erde, Gott und Mensch verbindet. Diesen Segen dürfen wir uns gegenseitig zusprechen.

Einander im Zeichen des Kreuzes segnen
So lade ich besonders die Ehepaare ein, aber auch die jungen Leute, die erst am Beginn einer Freundschaft stehen: Segnen Sie sich gegenseitig im Zeichen des Kreuzes, damit der Glaube wachse. Liebe Eltern, geben Sie Ihren Kindern regelmäßig den Segen im Zeichen des Kreuzes. Vergessen wir die alten und kranken Menschen nicht! Und auch jene Menschen, mit denen wir uns schwer tun, verdienen unseren Segen. Auch sie können wir in einen morgendlichen oder abendlichen Segen einschließen.

Gebeteter Glaube im Zeichen des Kreuzes wird zum Segen und verbindet Gott und Mensch. Befestigen wir unseren Alltag mit seinen Freuden und Nöten immer wieder daran. Und wenn unser Glaube manchmal klein zu sein scheint, mit Christus wirkt er doch Großes.

So segne ich Sie, liebe Schwestern und Brüder sowie euch, liebe Kinder und Jugendliche, auf dem Weg durch das Jahr des Glaubens und besonders für die bevorstehende Adventszeit

im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Eichstätt, am Gedenktag der Hl. Elisabeth von Thüringen, dem 19. November 2012

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt