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Im Wortlaut

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am 1. Adventssonntag, dem 28. November 2010

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!Liebe Kinder und Jugendliche!

 Ich sehe schwarz:
Es sieht zappenduster aus.
Da gehen bald die Lichter aus.

Wir kennen solche und ähnliche Redeweisen. Sie drücken Pessimismus, ja Hoffnungslosigkeit aus. Leben jedoch braucht Licht, braucht Klarheit, um den nächsten Schritt zu erkennen und den Weg in die Zukunft. Licht und Klarheit geben den Blick frei. Wo es an Licht fehlt, nützen die besten Augen nichts.

Zu Beginn der Eucharistiefeier des ersten Adventssonntages wurde die erste Kerze am Adventskranz entzündet. Ein netter Ritus? Eine kindliche Zählhilfe für die Sonntage bis Weihnachten? Kerzen als Verzierung der Feier wie bei einer festlichen Tafel? - Die neu entzündete Kerze ist gewissermaßen eine Kurzpredigt zum Adventsbeginn. Die brennende Kerze will uns verkünden, wie Christus in unserem Leben wirksam werden möchte.

(1) Kann Christus, kann der Glaube an ihn unser Leben wirklich hell machen? Liebe Schwestern und Brüder, vor nicht langer Zeit berichteten mir einige Menschen von ihrem Lebensweg, in den Christus Licht brachte. Eine Gruppe von ehemaligen Strafgefangenen und deren Helfern besuchte mich zu einem geistlichen Austausch im Bischofshaus. Wiederholter Rauschgifthandel und sogar Totschlag waren die Delikte, die zur Verurteilung einiger in dieser Gruppe geführt hatten. Sie berichteten mir, dass sie meist schon als Jugendliche in dunkle Kreise geraten waren. Eine Spirale krimineller Taten hatte sie immer tiefer nach unten geführt. Im Gefängnis hatten sie das Glück, durch den regelmäßigen Kontakt mit anderen tiefgläubigen Menschen ihr Leben hinterfragen zu können. Allmählich wuchs das Verlangen nach einer tiefen Freundschaft mit Jesus und nach dem Weg des Glaubens. In den Gefängnissen, in denen sie einsaßen, hatten sich durch überzeugende Helfer kleine Weggemeinschaften des Glaubens gebildet, in denen man betete, das Wort Gottes teilte und sich auf die Feier der Liturgie vorbereitete. Besonders berührte mich an diesem Abend der Begegnung das Zeugnis eines Mannes, der zu neun Jahren Haft verurteilt war und seit seiner Freilassung schon viele Jahre mit seiner Ehefrau gemeinsam den Weg des Glaubens geht und sich in der Kirche engagiert. Er berichtete, wie befreiend er die Person Jesu und den Glauben an ihn in einer solchen Kleingruppe im Gefängnis erfahren hatte und wie wichtig die Freundschaft mit Jesus Christus, das Gespräch mit ihm sowie die Mitfeier der Eucharistie auch heute noch für seinen Weg in der Ehe ist. Ohne die Begegnung mit Christus hätte er sich aus seiner schlimmen Geschichte nicht lösen können. Die Begegnung mit Christus wurde für ihn zum Licht, das ihm erst den Weg zum anderen eröffnete, zur Erfahrung von Erlösung.

(2) Wo Christus in ein Leben und in die Lebensgeschichte eines Menschen eintreten kann, ziehen das Licht Gottes und Klarheit ein. So nannte die frühe Kirche die Taufe „Photismos“ Erleuchtung, Sakrament der Licht-Mitteilung. Sie wollte ausdrücken: Das Licht des Herrn ist im Leben des Getauften wirksam. Der Weg in die Zukunft Gottes tut sich auf im Licht Christi. Der Glaubende ist ein wahrhafter „Hell-seher“ im eigentlichen Sinn des Wortes. Er sieht über alle Hindernisse dieses Lebens hinaus bis in Gottes Zukunft. Denn von dorther kommt ja das Licht Christi.

Durch die Begegnung mit der Person Christi und durch die Kraft des Wortes Gottes, durch die Berührung seiner Kirche und durch das Zwiegespräch mit dem Herrn springt vom Licht Christi der Funke auf uns über, bis er schließlich in uns als Licht brennt und unser Leben hell macht. - Doch damit der Funke überspringt und das Licht Christi das eigene Leben hell macht, genügt es nicht, wie ein Zuschauer aus der Ferne den Herrn zu betrachten. Der Funke springt über und die Beziehung wird spürbar lebendig, wenn ich die Nähe zu Christus suche und die Begegnung mit ihm tagtäglich pflege.

Freilich kann auch dann noch unser Weg durch Dunkelheiten und finstere Täler führen. Die Erfahrung von Schuld und menschlichen Grenzen, das Leiden an einer bedrohlichen Krankheit, Zweifel am Sinn des Lebens und das Gefühl, von Gott und Menschen verlassen zu sein, geistliche Trockenheit mit der Unfähigkeit zu beten – all das kann solch ein finsteres Tal sein.

Die erste Kerze auf dem Adventskranz hier in der Kirche und bei vielen von Ihnen und von Euch zuhause sei uns ein Hoffnungszeichen: Wo immer wir gehen, ob durch Hell oder Dunkel, wir tragen als Getaufte stets Christi Licht in uns.

(3) Liebe Schwestern und Brüder, das Adventslicht möchte daher nicht für sentimentale Stimmung sorgen, einschläfernd wirken. Nein, das Adventslicht will ein Weck-signal sein, vom Schlaf aufzustehen. Das Kerzenlicht will in uns die Worte des heiligen Apostels Paulus wach halten, die wir in der Lesung hörten: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe.“ (Röm 12, 11-12)

Von Christus her verbreitet sich Gottes Licht durch die Welt und durch die Geschichte. Der Tag ist nahe, es wird Tag. Ja, „Christus ist Gottes Tag, der sich nun wachsend ausbreitet über die Erde. Nun können wir im Licht leben, indem wir mit ihm und für ihn leben. – Bitten wir den Herrn, dass wir mit ihm Menschen des Tages seien, Lichter für unsere Zeit.“

Möge das Licht Christi Ihnen und Euch allen immer wieder neu geschenkt werden durch die Kirche, durch sein Wort und in den Sakramenten, besonders in der Eucharistie.

Ich lade Sie ein, sich in dieser Adventszeit auch ganz persönlich Zeit zu nehmen, um die Nähe zu Jesus Christus zu suchen und zu finden, z. B. in einer täglichen Zeit der Besinnung und des Gebets oder der Schriftlesung. Und ich lade Sie ein, mit anderen zusammen Weggemeinschaften des Glaubens zu bilden und so dem Kommen des Herrn den Weg zu bereiten.

Das ist mein Wunsch und mein Gebet. Dazu segne Euch, liebe Kinder und Jugendliche, alle Erwachsenen und besonders die Kranken der gütige Gott: der +Vater und der +Sohn und der +Heilige Geist.

Eichstätt, den 18. November 2010,
dem Weihetag der Basiliken St. Peter und St. Paul zu Rom

Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt