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Im Wortlaut

"Herr, lehre uns beten"

Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Fastenzeit 2007

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Liebe Kinder und Jugendliche!

Im Evangelium der heutigen Sonntagsliturgie hörten wir die Überlieferung von Jesu Verklärung nach Lukas. Jesus führt drei seiner Jünger auf einen Berg, um mit ihnen alleine zu sein und zu beten. Gegenüber den Evangelisten Matthäus und Markus hebt Lukas die Bedeutung des Gebetes Jesu bei der Verklärung hervor: „ während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß “ (Lk 9,29). Gebet als Ausdruck des offenen Herzens öffnet den Himmel. Für Jesus war Beten wichtig, ebenso für seine Jünger, die darum baten, im Beten unterwiesen zu werden: „ Herr, lehre uns beten “ (Lk 11,1). Ich lade Sie ein, diese Fastenzeit als Schule des Betens zu gestalten.

Stellen wir zunächst einmal die Frage, was denn Beten für jeden von uns persönlich bedeutet. Ein bekanntes Sprichwort lautet: Not lehrt beten . Ja, in der Not geht vielen noch ein Stoßgebet über die Lippen, den Gläubigen und den weniger Gläubigen. Manchmal hilft eben nur noch beten , so sagt man. Welche Rolle nimmt das Beten sonst in unserem Leben ein? Wenn uns nur die Not beten lehrt, wird man es dann nicht bald wieder verlernen? Beten ist doch eine Herzenssache, die wie bei Jesus mitten ins alltägliche Leben gehört. Dort begleitet es uns, wie ein alter Freund, auf den man sich immer verlassen kann. Wie können wir diese christliche Lebenskunst wieder neu einüben?

Beten ist das Atmen der Seele

Ohne Atmen können wir nur wenige Minuten überleben. Das Atmen der Seele aber ist das Beten. Das schöne Bild vom Atmen hat Johann Wolfgang von Goethe in einem kostbaren Gedicht aufgegriffen:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich presst,
und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt!

Leiderfahrung einerseits und sich beschenkt wissen andererseits - diese zweifache Wirklichkeit unseres Lebens darf sich auch im Gebetsleben abbilden, wenn das Beten Atem unserer Seele sein soll.

Dank an Gott, das mag die erste Regung sein, um auf das Geschenk des Lebens zu reagieren. Wir kennen die Freude und den Dank junger Eltern über die Geburt ihres Kindes. Auch viele alte Ehepaare, die in guten und in bösen Tagen einander die Treue hielten, haben allen Grund, für Gottes Treue zu danken. Tagtäglich kann sich ein jeder von uns als Beschenkter erfahren. Oft sind es Kleinigkeiten, über die wir achtlos hinwegsehen, die unser Leben so reich machen. Im Blick auf das eigene Leben kann eigentlich jeder Mensch sagen: „ Ich will dir danken, Herr, mein Gott, aus ganzem Herzen “ (Ps 86,12) und immer wieder in die lobpreisenden Worte Mariens im Magnificat einstimmen: „ Meine Seele preist die Größe des Herrn ... denn der Mächtige hat Großes an mir getan “ (Lk 1,46-49).

Viele jedoch finden in ihrem Leben mehr Grund zu hadern, über all die Verwundungen zu klagen und mit Gott zu rechten. So hat es schon der biblische Hijob erfahren. Auf den Schattenseiten des Lebens wird das Gebet zur Klage. Auch Jesus klagt im äußersten Leiden am Kreuz mit dem Psalmwort: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2; Mt 27,46). Nicht selten fühlen doch auch wir uns mutterseelenallein und von Gott verlassen. Vielleicht müssen wir heute, da immer weniger Menschen aus der christlichen Quelle trinken, eine neue Klage anstimmen: Unser Gott, warum haben wir Dich verlassen?

Solange wir aber noch klagen können, haben wir eine vertraute Beziehung zu Gott. Daher dürfen wir auch alle Anliegen bittend und fürbittend vor ihn tragen. Ob es die kleinen Dinge des Lebens sind oder die großen Probleme, wenn eine eheliche Beziehung in die Krise gerät oder die Erziehung nicht glückt, wenn uns Krankheit oder Sorgen bedrücken: „ Bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott !“, ermuntert uns die Heilige Schrift (Phil 4,6). Im Gebet öffnen wir Gott unser Herz, leben in seiner Gegenwart, auch wenn wir nur schweigen. Oft wissen wir gar nicht, wie wir beten sollen, aber wir haben den Trost, dass dann der Geist selber für uns mit Seufzen eintritt (vgl. Röm 8,26).

Beten als Ant-Wort auf Gottes Gegenwart

Jede Lebenslage hat ihr eigenes Gebet, in dem wir unser Herz vor Gott ausschütten, wie immer uns zumute sein mag. Im Gebet atmet unsere Seele, öffnet sich das Herz zu Gott hin, ob wir loben und preisen, danken oder klagen, bitten oder fragen, schweigen und anbeten. Im Gebet atmen wir auf, weil Gottes Geist uns trägt. „ Du bist mein Atem, wenn ich zu Dir bete “, singt ein neues geistliches Lied (GL 621,3). Wir müssen Gott gar nicht erst bestürmen, damit er sich uns zuwendet. Er ist uns in Jesus Christus schon längst zugewandt und spricht zu uns. Wir brauchen nur im Glauben zu hören und zu antworten. Unser Gebet ist die Ant-Wort.

Wo können wir denn beten? An allen Orten, im „stillen Kämmerlein“ (vgl. Mt 6,6) und auf den Straßen der Stadt, an heiligen Orten und in Gottes freier Natur. Und wann sollen wir beten? Täglich, am besten zu einer gewohnten Zeit, morgens und abends, bei Tisch und nach der Arbeit, auch nachts, wenn es schwer wird ums Herz. Wie können wir beten? Sprechend oder schweigend, mit gefalteten Händen oder ausgebreiteten Armen, im Knien und Stehen. Und in allen Sprachen können wir beten, denn in der Weltkirche sind alle Völker und Sprachen zu Hause, und im Volk Gottes gibt es keine Ausländer.

Entscheidend bleibt, dass wir mit dem Herzen beten und uns in die weltumspannende Gebetsgemeinschaft der Kirche einfügen. Gerade die Mitfeier der Liturgie ist die große Schule des Betens. Liturgie und Tradition unserer Kirche halten einen reichen Schatz von geformten Gebeten für uns bereit. Viele davon finden wir in der Bibel, zum Beispiel in den Psalmen oder in den Evangelien. Dort erfahren wir, wie Jesus betete und seine Jünger das Beten lehrte, zum Beispiel das Vaterunser , das uns heute mit allen Christen verbindet. Eine große Anzahl dieser Gebetstexte ist in unserem Gotteslob enthalten.

Beten will gelernt sein, es braucht lebenslange Übung, sonst kommt die Seele mit der Zeit in Atemnot. Das gilt schon für die Kinder, denen wir das Beten nicht vorenthalten dürfen. Überlegen wir, was wir tun können, damit unsere Familien und Gemeinden zu Orten werden, wo Kinder, Jugendliche und Erwachsene das persönliche und gemeinschaftliche Beten lernen.

Beten und Arbeiten

Viele Zeitgenossen sind in spirituellen Kinderschuhen steckengeblieben; entweder haben sie nie das erwachsene Beten gelernt oder sie haben es wieder verlernt. Manche meinen gar, das Gebet lenke von den irdischen Aufgaben ab und vertröste nur aufs Jenseits. Aus der benediktinischen Tradition kennen wir den Leitspruch Ora et labora, bete und arbeite. Beides gehört zusammen wie die beiden Seiten einer Münze. Beten erspart nicht die eigene Anstrengung, sondern fordert sie heraus. Beten hält uns den Himmel offen und verhindert, dass wir auf die gängige Vertröstung aufs Diesseits hineinfallen. Beten und Arbeiten, daraus ist das Leben gemischt, wie Einatmen und Ausatmen.

In seiner Bergpredigt lehrt Jesus uns, wie das Gebet in Fasten und Almosengeben eingebettet ist (vgl. Mt 6,1-18).

* Der Verzicht, das Fasten macht uns frei von eingeschliffenen Abhängigkeiten, ungeordneten Neigungen und sündhaften Leidenschaften. Daher die erste Frage: Welcher Verzicht könnte mich freimachen?

* Das Gebet meint herzliche Hinwendung zu Gott und macht frei zu einer erneuerten Beziehung. Daher die zweite Frage: Welches Gebet hilft mir am besten zum freundschaftlichen Gespräch mit Gott oder mit Christus am Kreuz, wie wir es von Don Camillo kennen?

* Das Almosen meint die Hinwendung zum bedürftigen Nächsten und befreit zur Freigebigkeit. Daher die dritte Frage: Für wen kann ich mich einsetzen oder etwas Zeit opfern? Wie großzügig sollte ich bei der Fastenaktion von Misereor sein?

Wer betet, bleibt also nicht in sich selbst gefangen, sondern macht sich frei von Selbstsucht und „bekehrt“ sich zu Gott und dem Nächsten. Diesen inneren Zusammenhang betont auch unser Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika über die Liebe: „ Wenn die Berührung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt “, schreibt er, „ dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen. Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ‚fromm‘ sein möchte, nur meine ‚religiösen Pflichten‘ tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. [..] Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber .“ (Enzyklika Deus caritas est, Nr. 18).

Mögen wir alle in dieser österlichen Bußzeit 2007 wieder fühlsam gegenüber Gott und den Nächsten werden. Das ist mein Wunsch und mein Gebet. Dazu segne Euch, liebe Kinder und Jugendliche, alle Erwachsenen und besonders die Kranken auf die Fürsprache der Gottesmutter und des heiligen Willibald der gütige Gott: der +Vater und der +Sohn und der +Heilige Geist.

Eichstätt, am Fest des hl. Apostel Matthias, 24. Februar 2007

Ihr
Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt

© Pressestelle der Diözese Eichstätt