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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB zur Christmette im Eichstätter Dom 2006

Liebe Schwestern und Brüder hier in der Domkirche,
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zuhause an den Rundfunkgeräten.

Kaum ein Fest ist in unserer Erlebniswelt und in unserer Erinnerung so tief verankert wie Weihnachten. Die Kinder freuen sich jedes Jahr neu auf den Heiligen Abend. Viele Ältere unter uns haben sich heute an die Heilige Nacht früherer Jahre oder in der Kinderzeit zurückerinnert. Und wir haben heute am Heiligen Abend das getan, was schon unsere Eltern und Großeltern machten: Glanz und Licht in unsere Wohnungen zu bringen durch das Aufstellen der Krippe und das Schmücken des Christbaums oder der Zweige, durch unsere Geschenke und guten Wünsche als Zeichen gegenseitiger Wertschätzung und Zuneigung, durch Weihnachtslieder.

Der weihnachtliche Glanz in unseren Wohnungen stellt freilich nur den Abglanz des eigentlichen Lichtes dar, das in dieser Nacht aufstrahlt. Die Nacht der Welt ist durchbrochen, Gottes Licht bricht in der Welt an. Daher wurde den Hirten auf den Fluren Betlehems inmitten der Nacht ein großes Lichtzeichen zuteil. Dessen Bedeutung erschließt der Verkündigungsengel den Hirten: Heute ist Euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, der Retter (vgl. Lk 2,11). Jesu Geburt ist das leuchtende Zeichen Gottes im Dunkel der Welt. Gott, ohne aufzuhören Gott zu sein, wird Mensch. Gott mengt sich im wahrsten Sinn des Wortes in die irdische Wirklichkeit ein, da er Menschengestalt annimmt und einer von uns wird.

Christi Geburt in Betlehem stellt somit das „Ja“ Gottes zu dieser Welt dar. Gott hebt die Trennlinie zwischen Weltsein und Absolutem auf, zwischen Himmel und Erde, zwischen Sakral und Profan. Er, der Ferne und Unnahbare, geht auf den Menschen und auf die Welt zu, um ein naher Gott zu sein. Er will fortan Mitspieler im Drama dieser Welt sein und Anteil nehmen an uns, an unseren Freuden und Lasten. Nicht wir Menschen waren es, die ihn gesucht und schließlich gefunden hätten, sondern er kam uns entgegen. Die Menschheit glich nämlich einem Gelähmten auf der Bahre und konnte sich nicht auf Gott zu bewegen, zudem waren die Augen des Menschen dunkel geworden, so drückt es der hl. Bernhard v. Clairvaux (+ 1153) in einer Predigt aus. Wie ein guter Arzt ergriff Gott die Initiative und setzte das beste Heilmittel ein: seine Nähe.

Diese Bewegung Gottes auf die Welt hin in Jesu Menschwerdung beschreibt der Evangelist Johannes im Prolog seines Evangeliums mit den Worten: „Er kam in sein Eigentum“ (Joh 1,11). Johannes deutet in diesen Worten die Menschwerdung Gottes als Rückkehr des einst abwesenden Eigentümers in seinen Besitz. Er kehrt zurück in das, was sein ist und wofür er Sorge tragen will. Die gesamte Wirklichkeit ist SEIN Eigentum, dessen Menschwerdung wir heute feiern.

Liebe Schwestern und Brüder, die Weihnachtsbotschaft befreit den Menschen von Verkrampfung und Zwang und verleiht ihm zugleich Würde. Was immer sich ereignet, all unsere Widerfahrnisse, unsere Freuden und Leiden, ja unsere Lebensgeschichte und wir selbst gehören letztlich nicht uns, sondern sind sein Eigentum. Herr, ich bin dein Eigentum, ich mit meinen Freuden, ebenso mit meinen Sorgen, Lasten und Schatten, mit meiner Krankheit, Trauer und Niedergeschlagenheit. Als Gottes Eigentum ist dem Mensch eine Würde eigen, die nicht aus seinem Können und seiner Kompetenz herrührt. Gottes Menschwerdung macht uns Mut, unser Leben aus der Haltung einer Leichtigkeit zu gestalten, aus der Leichtigkeit des Glaubens, dass er auch heute noch in sein Eigentum kommt und es mit göttlichem Licht erfüllen will.

Daher rief der Engel den Hirten auf den Fluren zu: Fürchtet euch nicht, große Freude verkünde ich euch! (vgl. Lk 2,10). Dort, wo Gott in sein Eigentum kommt, wo er Aufnahme findet, besteht Anlass zur Freude. Müsste uns der Engel heute nicht ebenso beschwören, das Geschenk der Freude Gottes anzunehmen? Wie es uns wohl erginge, wenn der Engel der Verkündigung jetzt vor uns stünde und uns die Botschaft zuriefe: Ich verkünde euch große Freude, Gott ist angekommen?

Es herrscht so wenig Freude unter uns Christen. Unser alltägliches Leben gestaltet sich vielfach grau und ohne Glanz. Oft verengt sich unser Leben, und die Botschaft von der Freude wirkt wie ein Fremdkörper. Wir schleppen uns dahin, Gleichgültigkeit zieht auf, ja Lustlosigkeit und Resignation. Manchmal liegen nur geringfügige Ursachen zugrunde, die unser Leben dunkel einfärben: zuviel Arbeit und Stress, das Aufeinanderstoßen unterschiedlicher Mentalitäten. Dann schwere Lasten wie die Trennung von einem lieb gewordenen Menschen, die Erfahrung von Einsamkeit oder eine Krankheit. Gerade in diese Situationen hinein verkündet der Engel des Hirtenfeldes auch heute: Ihr habt Anlass zur Freude, lasst die Traurigkeit.

Christliche Freude kann nicht als Produkt menschlicher Anstrengungen erwachsen. Der Christ soll zur Freude finden, weil Gott in diese Welt eingetreten ist. In welcher Lebenslage ich mich auch immer befinde, mit den Augen des Glaubens vermag ich als Christ durch die grauen Nebelwände auf dem Lebensweg hindurchzuschauen auf das Geheimnis der Gegenwart Gottes in meinem Leben, im Alltag. Gott ist mitten unter uns da. Daraus schöpfen wir „Hoffnung“ und sie ist der Ton, auf den christliches Leben gestimmt sein darf’ (L. Boros)

Aber wie können wir die Freude der Weihnachtsbotschaft über die Weihnachtstage lebendig halten? Unser Weg zur Freude ist der Weg, den Christus in seinem Kommen zu uns gegangen ist. Er entäußerte sich und wurde uns Menschen gleich. Seine Entäußerung wurde zur Quelle unserer Freude. Die Logik der Weihnachtsbotschaft besagt: Freude erwächst aus Selbstlosigkeit und Hingabe. Der Dienst am Bruder, an der Schwester ist die Bedingung für die Erfahrung tiefer Freude. Denn wer Freude bereitet, erfährt selbst Freude.

Liebe Schwestern und Brüder, wir verkünden ohne Worte die Gegenwart Gottes in der Welt, wenn wir aus der Haltung der Selbsthingabe leben. War nicht das Leben des Gottessohnes, der heute für uns geboren wurde, durchgängig bis zum Kreuz Treue im stillen Dienst?

Ein ehemaliger Gefangener eines sibirischen Konzentrationslagers fasste seine Erfahrungen so zusammen: „Ich suchte meinen Gott und er entzog sich mir. Ich suchte meine Seele, und ich fand sie nicht. Ich suchte meinen Bruder und fand alle drei.“

Der Engel auf den Fluren Betlehems hat uns Freude verkündet. Die weihnachtliche Haltung, selbst Freude zu spenden und so dem Menschgewordenen Raum zu geben, sei das ganze Jahr über in uns lebendig.

So wünsche ich Ihnen, die Sie hier zur Christmette im Dom versammelt sind, und Ihnen, die Sie über Rundfunk mit uns verbunden sind, ein gnadenreiches Weihnachtsfest, das weit in den Alltag hinausstrahlt. Möge die Botschaft des Festes unser Leben mit dem Licht Gottes erhellen.

Amen

© Pressestelle der Diözese Eichstätt