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Im Wortlaut

Predigt von Bischof Gregor Maria Hanke OSB am 2. November 2010, Allerseelen, im Eichstätter Dom

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder!

Mehrmals im Kirchenjahr werden wir mit dem Thema Sterben und Tod konfrontiert. In besonders dichter Form geschieht dies in den Tagen des österlichen Triduums, einschließlich des Ostersonntags. Christus ist für uns gestorben, aber er hat in seiner Auferstehung den Tod überwunden. Wenn wir uns mit Christus eins machen, wenn unsere Gemeinschaft intensiv wird mit ihm, wird auch unser Sterben Tor zum Leben. Der Osterjubel, das österliche Halleluja ist unsere Antwort auf diese befreiende Botschaft in den Ostertagen. Viele Menschen, die die Osternacht und den Ostertag liturgisch mitfeiern, gehen erfüllt von Freude über diese Zukunftsverheißung aus den Gottesdiensten zurück in ihre Familien und in ihren Alltag.

Gestern haben wir das Hochfest Allerheiligen gefeiert. Das Fest ist so etwas wie eine österliche Erinnerungsfeier der Kirche, die österliche Gemeinschaft ist. Durch Christi Tod und Auferstehung steht denen, die dem Herren nachfolgen, der Himmel offen. Unsere Zukunft ist die Herrlichkeit und Heiligkeit Gottes. Der Tod ist nicht Ende, sondern Tür. Heilige sind die österlichen Menschen schlechthin. Das Fest Allerheiligen ist also ein Freudenfest. Liturgisch begingen wir es mit der Farbe Weiß.

Heute nun feiern wir das Gedenken an all jene Menschen, die uns im Tod vorausgegangen sind. Wir denken besonders an die, welche uns nahestanden und deren Tod uns weh tut. Obwohl doch die Osterbotschaft auch jenen gilt, obwohl der Allerseelentag auf einer Linie liegt mit dem Allerheiligentag und dem österlichen Triduum, kommt in der Liturgie kein Osterjubel auf. Dunkle liturgische Farben, der dunkle Gesang des Requiems, unsere persönliche Trauer beim Gedenken an unsere lieben Verstorbenen.

Könnte es sein, dass die Osterbotschaft nur dann der Freude dient, wenn ihr Inhalt weit weg liegt vom eigenen Leben, während Ostern als Ernstfall im eigenen Leben, wenn es dort um Sterben und die Zukunft in Gott geht, Trauer auslöst? Oder anders gefragt: Darf Trauer und Traurigkeit angesichts des Todes sein, wenn wir an die Auferstehung des Herrn und die Konsequenzen dieses Auferstehungsglaubens denken? Darf der Jünger, darf die Jüngerin Jesu Trauer empfinden?

Blicken wir in das Neue Testament. Die Schriften des Neuen Testamentes berichten über Empfindungen und Gefühle des Herrn. Zwar kommt, vielleicht bedauern es manche, das Lachen nicht vor, wohl aber Freude, frohe Stimmung, Dankbarkeit. Und nicht fehlt die Trauer. Der Tod des Lazarus, seines Freundes, macht ihn traurig, lässt ihn weinen und innerlich erregt sein. Beim Abschiedsmahl von seinen Jüngern überliefert der Evangelist Johannes die tiefe Erschütterung des Herrn. „Einer von euch wird mich verraten“, sagt er innerlich tief bewegt, erschüttert. Auf dem Ölberg vor seiner Gefangennahme und dem Todesleiden ist er zu Tode betrübt.

Wo Leben herrscht, da muss auch Trauer ihren Platz haben können, wenn Leben bedroht ist. Leben ist eine Gabe Gottes, des Gottes, der der Gott des Lebens ist. Paulus bezeichnet den Tod im 1. Korintherbrief im 15. Kapitel als Feind, als letzten Feind Christi. Ja, der Tod bedroht den Raum Gottes, das Leben. Es ist natürlich, wenn der Jünger Jesu angesichts des Schreckens und der Schwere des Todes Trauer empfindet. Der Tod soll nicht verharmlost werden. Voll Trauer waren die Jünger des Herrn nach dem Karfreitag. Voll Trauer stand Maria Magdalena im Garten vor dem leeren Grab des Herrn.

Aber Ostern zeigt uns, dass die Trauer nicht alles ist. Dass sie Schwelle werden kann für die Erfahrung der neuen Wirklichkeit des Lebens, das aus Gott kommt. Der Mensch kann um diese Wirklichkeit des neuen Lebens in seinem Kopf wissen. Er soll sie glauben und im Credo, im Artikel von der Auferstehung, bekennen. Er kann darüber theologisch und philosophisch reflektieren, aber existenziell das eigene Leben betreffend findet er vielleicht erst Zugang dazu durch das Tor der Trauer. Die biblische Gestalt einer Maria Magdalena oder die Gestalt der Emmaus-Jünger legen das nahe. Trauer ist auch ein Wegabschnitt auf dem Weg der Osterbotschaft. Trauer muss nicht verdrängt werden. Im Gegenteil, der trauernde Mensch kann empfänglich werden für die Wirklichkeit des neuen Lebens, kann sensibel werden, wenn seine Trauer nicht Rebellion bleibt, sondern Hunger nach dem Leben Gottes wird.

Ostern, die Osterbotschaft lädt uns ein, nicht stehen zu bleiben auf der Schwelle der Trauer. Nicht stehen zu bleiben vor dem Grab wie Maria Magdalena. Nicht stehen zu bleiben auf der Schwelle der Trauer wie die Emmaus-Jünger, die von Trauer veranlasst waren, fort zu laufen. Nicht stehen zu bleiben auf der Schwelle der Trauer, wenn wir am Grab eines lieben Menschen oder am Bett eines Todkranken stehen. Ostern lädt uns ein, unsere Trauer als Schwelle zu begreifen, aus unserer Trauer eine heilsame Trauer zu machen, deren Inhalt Hunger nach Gottes Leben und nach Gottes Wort ist.

Liebe Schwestern und Brüder, diese Umwandlung unserer menschlichen Trauer in einen Durchgang, diese Umwandlung der menschlichen Trauer zur Tür hin zur neuen Wirklichkeit hängt davon ab, ob wir auf dieser Schwelle der menschlichen Trauer den Herrn vernehmen, den Herrn erkennen, wie Maria Magdalena. Den Herrn erkennen, in dem ich mich auf der Schwelle der Trauer angesprochen weiß, wie Maria und ihre Antwort: „Rabbuni“ - mein Herr.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott schenke uns die Gnade in den schweren Stunden unseres Lebens am Bett eines Krebspatienten, eines todkranken Menschen, der uns sehr nahe steht, am Grab eines lieben Menschen, dass wir da nicht stumm bleiben, sondern irgendwann diesen Ruf des Herrn vernehmen und ihm zu antworten vermögen: „Rabbuni!“ Dann geht der Weg der Osterbotschaft in unserem Leben weiter.

Amen.